Aber die meisten Pflegekräfte leisten doch eine hervorragende Arbeit

Niels H. (3. von links) Mordprozess gegen Krankenpfleger Landgericht Oldenburg Foto nach Abschlussprüfung Krankenpflegeausbildung St.-Willehad-Hospital Wilhelmshaven

Aktuell stehen ein Krankenpfleger wegen hundertfachen Mordes und ein Hilfspfleger wegen  sechsfachen Mordes vor deutschen Gerichten.  Wie viele Menschen diese beiden tatsächlich umgebracht haben, wird sich wohl nicht aufklären lassen.  Ebenfalls muss man davon ausgehen, dass während diesen der Prozess gemacht wird, weitere Pflegekräfte ihre Macht „über Leben und Tod“ missbrauchen,  ohne vielleicht jemals entdeckt zu werden.

In den Medien blitzen diese Morde kurz in Nachrichten und Zeitungen  auf, bevor sie im Gemenge weiterer  Tagesereignisse untergehen.   Politik und Verbände reagieren darauf mit pflichtgemäßer Entrüstung,  um im nächsten Atemzug zu betonen, dass es sich (wie immer) um bedauerliche Einzelfälle handelt. Keinesfalls dürfe man daraus ein systemisches Versagen ableiten, zumal die meisten Pflegekräfte eine hervorragende Arbeit leisten würden.

In der Süddeutschen  war  dazu am 31.10.2018 ein kurzer, treffender Kommentar von Heribert Prantl zu lesen, der mit folgender Feststellung endet:

„Der Klinikmörder hatte Helfer und Helfershelfer, die ihm das Morden leicht gemacht haben. Eine Gesellschaft, die sich mit untragbaren Zuständen in Kliniken und Heimen abfindet, gehört dazu.“

Auch die häusliche Pflege muss hier eingeschlossen werden,  die auf  Heerscharen von Helfer*innen aus Osteuropa angewiesen ist.   Der wegen 6 fachen Mordes vor Gericht stehende Hilfspfleger, war einer von denen, die unseren altersgebrechlichen Bürger*innen ein Leben im eigenen Zuhause ermöglichen.   Viele machen das zur vollen Zufriedenheit, andere nutzen die Notlage aus, zumal wenn sie  Tag und Nacht alleine mit dem Pflegebedürftigen in der Wohnung sind, der ihnen völlig ausgeliefert ist.  Zumeist handelt es sich um illegal beschäftigte, ohne Papiere oder Agenturen, die bei Problemen einschreiten.  Hier ist das Risiko besonders groß, an zwielichtige Personen zu geraten.  Außerdem müssen diese nicht befürchten, rechtlich belangt zu werden, weil der Gang zur Polizei mit einer Selbstanzeige der Angehörigen verbunden wäre.

Gefährdet sind vor allem altersschwache, verwirrte  Menschen,  die keine Angehörige haben die sich bei der Betreuung zu Hause, bei Klinikaufenthalten oder im Heim persönlich für den   Pflegebetroffenen  einbringen.  Ohne besorgte Angehörige gingen diese schon vor dreißig Jahren im Medizin- und Pflegebetrieb unter.

Claus Fussek schickte mir kürzlich einen Artikel der Zeitschrift  ALTENPFLEGE  9/1987, mit dem Titel:  Wir wollen nicht mitschuldig werden!  Es handelt sich um die Rede von Günter Langkau, Vorsitzender des DBVA  (Deutscher Berufsverband Altenpflege), anlässlich einer Protestaktion in Hannover.  Mit selten deutlichen Worten beschreibt er die Verantwortung  der Gesellschaft, gegenüber den Alten.

„Unsere Einrichtungen leiden am Fachpersonalmangel. Es sind vorwiegend Minikrankenhäuser, in denen nach dem Verwahrprinzip verfahren wird. Viele der behandelnden Ärzte sind fachlich überfordert. Der Mißbrauch von Psychopharmaka steigt ständig.
….. Es zeigen sich Bilder einer völlig aus den Fugen geratenen Institution, welche zwar perfekt funktioniert, aber an den wirklichen Bedürfnissen der Betroffenen vorbei agiert.  Es ist entsetzlich mit anzusehen, wie ehemals aktive und lebensfreudige Bürger nun im Alter verwaltet werden.  Viele verlieren ihre Habe, ihre Persönlichkeit und vielfach sogar ihre Identität.
…   Wir stehen heute hier in Hannover, um für diese Menschen zu protestieren.  Als Altenpflegerinnen und Altenpfleger wollen wir nicht mehr schweigend diese Zustände erdulden und mitschuldig werden.“   (Günter Langkau, 1987)

Auf diese und andere Protestaktionen,  reagierte die Politik mit der Einführung der Pflegeversicherung.   Zeitgleich wurden jedoch Liegezeiten für Krankenhauspatienten durch die  Fallpauschalen  reglementiert, ohne die Auswirkung für Patienten zu bedenken.    Konnte beispielsweise der Patient nach Schlaganfall vordem solange im Krankenhaus bleiben, bis ein Rehaplatz  gefunden oder seine Pflege zu Hause sicher gestellt war, zahlt die Kasse jetzt nur für die wenigen Behandlungstage, die pro Diagnose festgelegt wurden.  Die Verkürzung der Liegezeiten in den Krankenhäusern führte dazu, dass der Bedarf an Heimplätzen schlagartig stieg, weil gerade alte Menschen selten so schnell auf den Beinen sind, wie sie sein müssten, um nach Hause entlassen werden zu können.  Oft wird Angehörigen von über  80-Jährigen Patienten bereits bei der Aufnahme, ein Adressverzeichnis von Heimen in die Hand gedrückt.  Und da die Heime nicht auf Rehabilitation und Aktivierung ausgerichtet sind, endet die Kurzzeitpflege regelmäßig in einer dauerhaften Unterbringung.  Die Betroffenen werden selten gefragt.  Ihnen wird keine Wahl gelassen. Sie sehen sich genötigt, ihr früheres Leben zu vergessen, in das sie nicht mehr zurück dürfen.  Fremde Personen  bestimmen ab diesem Zeitpunkt über ihr Leben.  Wer aufbegehrt, wird ruhig gestellt.

Genauer betrachtet, haben Pflegeversicherung und Fallpauschalregelung  die Lage insgesamt verschlechtert.
Im September 1999, gibt Prof. Dr. Otto Speck seinen Eindruck wieder.    Selbst schon hochbetagt und zeitlebens um Teilhabe  hilfebedürftiger Menschen bemüht, schreibt er:

„Was hier in den letzten Jahren an unerträglichen Zuständen in Altenpflegeheimen ans Tageslicht gefördert worden ist, wäre an sich unerhört genug.  Außenstehende halten es nicht für möglich, wie hier die Menschenwürde missachtet wird. Altenpflege stumpft zur bloßen Restversorgung ab. Hilf- und wehrlose Menschen werden in reine Passivität versetzt. Ihr Leben kann nur noch als ein Vegetieren bezeichnet werden. Was sie erleben, ist ihre Erniedrigung. Gewalt wird ihnen vielfach angetan.

Prinzipien einer aktivierenden Altenpflege sind nicht gefragt. Der viel zu enge Stellenschlüssel überfordert Pflegerinnen und Pfleger. Sie fühlen sich ausgebeutet und ihr Berufsethos verraten. Sie dürfen nur das allernötigste tun, minutenweise geregelt. Für persönliche Zuwendung ist keine Minute vorgesehen.  …. Die finanziellen Engpässe dienen als Rechtfertigung und dies in einem Land, das zu den reichsten der Welt gehört!  Im Grunde aber ist solche Art passivierter Pflege teuer; sie zerstört alle Selbsthilfekräfte: Ein Teufelskreis wird in Gang gesetzt – und sich selbst überlassen!

Und das ist der zweite Skandal: Die öffentliche Wirkung solcher Berichte über nicht zu verantwortende Zustände ist bislang minimal!  Obwohl hier eine durch rechtliche Bestimmungen bedingte, reihenweise praktizierte Inhumanität zutage tritt, wie wir sie in unserem Lande seit 1945 nicht mehr erlebt haben, nimmt eigentlich alles wie gewohnt seinen Lauf. Das Schicksal alter Menschen beunruhigt wenig; man braucht sie nicht mehr. Sie sind überflüssig.  Sie schlagen nur noch als Kostenfaktor zu Buche. Fassungslos sind einzelne, aber keine politischen Gruppen. ..

Gegen das Ignorieren ist eine unablässige Information der Öffentlichkeit nötig. Sie muss wissen, was sie zulässt, und welcher moralische Preis dafür letztlich von allen gezahlt werden muss. Sie macht sich unglaubwürdig, wenn sie die allgemeinen Menschenrechte auf ihre Fahne schreibt, ansonsten aber zur Tagesordnung übergeht, wenn eine ganze Gruppe von Menschen fallengelassen wird. Die Menschenrechte sind unteilbar oder sie verlieren ihren Wert.“

Prof. Dr. Otto Speck, München im Sept. 1999

Heute, 30 bzw. 20 Jahre später, beklagen wir die gleichen unwürdigen Zustände, wobei eine noch viel größere Zahl betroffen ist.  Denn die Nation hat sich daran gewöhnt, ebenso wie die Pflegekräfte und Ärzte und alle die  sich als Rädchen in diesem System bewegen.  Haben wir aus der Geschichte so wenig gelernt?  Heute werfen wir einem der letzten noch lebenden SS-Männern  Mittäterschaft vor, weil er nicht den Mut aufgebracht hat sich gegen das NS-Regime zu stellen.   Morgen müssen sich hoffentlich Ärzte,  Pflegekräfte und andere Akteure dafür verantworten, wie sie mit den hilfesuchenden  Alten  in unserem Land umgegangen sind.  Auch Richter und Gerichte schauen hier weg. Sie verlassen sich auf die Beurteilung der Fachleute, die  es normal finden,  dass verängstigte, verwirrte, verzweifelte alte  Menschen medikamentös in grauenhafte Zustände hineinkatapultiert werden.    Kein Arzt wird dafür belangt, wenn er Medikamente verordnet, die den Kranken schädigen oder umbringen, es sei denn ihm kann Vorsatz nachgewiesen werden.  Keine Pflegefachkraft wird belangt, wenn sie die angeordneten Medikamente verabreicht, obschon sie die schädliche Wirkung sehen kann.   Vor allem trifft dies auf Neuroleptika zu, mit denen anstrengende Menschen mit Demenz gefügig gemacht werden.  Ihr Fühlen wird blockiert, ihr Wille wird gebrochen, ihr Eigenantrieb gelähmt.  Man tötet diese pflegebedürftigen Alten  nicht direkt, sondern  bemüht sich darum, sie möglichst lange in einem wehrlosen Zustand zu halten.   Je höher der Pflegegrad, desto mehr Geld.  Ärzte verweisen auf Diagnosen, obwohl sie wissen müssten, dass es Medikamente sind, die solche Zustandsbilder hervorrufen.

Seitens der Ärztekammern wird diese Praxis ebenso hingenommen, wie seitens der Pflegeverbände. Auch die deutsche  Alzheimergesellschaft (DALZ), die sich heute als Selbsthilfeorganisation verstanden sehen will,  unternimmt nichts gegen die grauenhafte Praxis.  Im Verbund mit der Pharmaindustrie haben die Akteure ihre eigenen Vorteile im Blick und scheuen sich nicht finanziellen Nutzen aus der Not Pflegebetroffener zu ziehen.   Dies alles ganz legal, verpackt als Therapie, bezahlt von den Kassen und geduldet von der Gesellschaft.

Angesichts der Leidenszustände in die zigtausende Menschen am Lebensende hineinkatapultiert werden, kann wohl niemand  von einer hervorragenden Arbeit sprechen.  Viemehr haben wir diese Situation, weil zu wenige Pflegekräfte sich ihrer Verantwortung gegenüber den Pflegebetroffenen bewusst sind.  Die meisten sehen sich vor allem ihren Vorgesetzen gegenüber verpflichtet und versuchen deren Erwartungen zu erfüllen.  Die meisten verhalten sich angepasst und abgestupft gegenüber der Not der alten, kranken und sterbenden Menschen. Es sind zu viele. Jeden Tag dieses Elend mit anzusehen, das verkraften viele nur, indem sie sich auf die vorgeschriebene Versorgung der Körper  konzentrieren und die darin lebenden Menschen nicht an sich heranlassen.

Der Pfleger Niels H. ist vermutlich auch, wie wohl alle Kolleginnen und Kollegen, mit  guten Vorsätzen in den Beruf gestartet.  Er wollte helfen und nicht töten.    So unterstelle ich niemandem, der diesen Beruf, ergreift böse Absichten.  Fast alle Bewerber*innen geben als Motiv für die Berufswahl an: Menschen helfen zu wollen. Wenn sie dann jedoch feststellen, dass ihnen dies unter den Umständen in kaum einem Falle  gelingt,  geraten viele unbemerkt  in eine Anpassungshaltung hinein.  Man strengt sich an, um es wenigstens den Vorgesetzten Recht zu machen und verliert dabei die Pflegebetroffenen aus den Augen.   Niels Högel schaffte Gelegenheiten um sich als Intensivpfleger hervorzutun.  Wer tausende Menschen hat sterben sehen, für den ist der Tod nichts besonderes mehr. Während ein gerade Verstorbener in die Leichenhalle gebracht wird, füllt der nächste Intensivpatient seinen Platz.  Wieder das volle Programm. Ein ständiges Kommen und Gehen.  Wobei von Pflegekräften wie Ärzten erwartet wird, dass sie genauso zuverlässig arbeiten, wie die Geräte die sie bedienen.   Pflegekräfte werden darauf getrimmt, zu funktionieren,  reibungslos, ohne murren und klagen.  Es wird hingenommen,  dass sie sich ein dickes Fell zulegen, denn nur dann können sie den Extremanforderungen über längere Zeit genügen.  Während anderen Bürger*innen nach dramatischen Erlebnissen psychologische Hilfe angeboten wird, müssen Pflegekräfte und Ärzte alleine sehen, wie sie die tägliche Konfrontation mit existentiellen Nöten  verkraften.

Will man Verrohung und Fehlreaktionen vermeiden, muss den Mitarbeitern in den  Teams,  regelmäßig Gelegenheit gegeben werden, über Auffälligkeiten und Schwierigkeiten im Arbeitsalltag zu sprechen und – ganz wichtig – gemeinsam Lösungen zu entwickeln.  Regelmäßige Fall- oder Teamsupervision würden manche Kontrolle überflüssig machen und die Sicherheit für Patienten wie Pflegekräfte und Ärzte verbessern.  Denn die meisten Fehler im Pflegebereich sind der Verschleierung von Fehlern geschuldet. Eine konstruktive Auseinandersetzung mit kritischen Ereignissen findet nicht statt.  Vielmehr wird Kritik hinten herum geübt, oft dergestalt, dass Kollegen, die sich unangepasst verhalten, gemobbt werden – bis sie schließlich kündigen.

Bei allem Verständnis für die angepasste Haltung der meisten Pflegekräfte, die sich als Rädchen im Gesundheitsbetrieb drehen, muss festgestellt werden, dass es nicht Politiker sind, die z.B. massenweise ruhigstellende Mittel verordnen oder verabreichen.  Der Politik ist jedoch anzulasten, dass sie davon nichts wissen will, sondern  sich schützend vor die Akteure stellt.  Die Pflegenden selbst sind da meist viel kritischer, wie jüngst die Reaktionen auf den Appell des Abgeordneten Rüddel zeigten. Sie erleben ja jeden Tag, dass es unter den Bedingungen nicht möglich ist, so zu Arbeiten, dass sie mit einem guten Gefühl nach Hause gehen können.  Passend dazu der Beitrag von Anne H.   Früher hätte ich mich über ein Lob gefreut

Unser Appell an die  Verantwortungsträger im Land:  Setzt euch endlich mit den  Ursachen des Problems auseinander.  Mit Schönfärberrei ist niemandem geholfen.

Adelheid von Stösser, November 2018


Als Mitglied des Runden Tisches Pflege, habe ich 2004   an einem realen Fall die  krankmachende Medizin und Pflege dargestellt und aufgezeigt wie Pflegebedürftigkeit vielfach erzeugt und verschlimmert wird, weil an den falschen Stellen rationiert und gespart wird:  Gesundheitssystem: Fass ohne Boden, AvStösser 2004

Die  Pflegeethik Initiative Deutschland e.V.  hat sich im Juni 2018 mit diesem Positionspapier für einen Systemwechsel in der Pflege an die Verantwortlichen in der Politik gewandt.


Die Pflegeethik Initiative hat eine Rechtsoffensive für Pflegebetroffene gestartet, an der sich jeder beteiligen kann. Je mehr Menschen sich engagieren und organisieren, desto eher  wird sich die Politik mit dem Problem befassen.  

www.pflegeethik.zusammenhandeln.org

1 Kommentar

  1. Ich habe sehr viele Einrichtungen kennengelernt. Ambulant, Seniorenresidenz, Seniorenheim, Krankenhäuser, Behinderteneinrichtungen. Meine Erfahrung: Überall in der Spätschicht 2 Pflegekräfte für 20-24, 3 für 46 Senioren (4Etagen). Essen austeilen, anreichen, spülen, Speisesaal richten für nächsten früh. Zu zweit 24 Menschen waschen oder duschen, an- bzw. ausziehen, zu Bett bringen, darunter Bew. mit 120kg, alles im Akord. In den Rollstuhl, zum WC, zurück in den Rollstuhl usw. Transfer, das heisst heben und tragen. Danach alles säubern, auffüllen und viiiel schreiben. Hatte Schrittzähler dabei, bin pro Schicht zwischen 6,5 u 9,5 km gelaufen. So und ich habe jetzt 12 Arbeitstage am Stück hinter mir. Jeder der in der Pflege arbeitet ist knülle. Egal wie alt. Geld steht nicht an erster Stelle aber für diesen Knochenjob, der auch nervlich angreift, wird um die 11,00 Eur bezahlt. Ich bin 60, kann mit 66 in Rente gehen u bekomm dann 705Eur Brutto Rente. …. Es heisst, man kann wunderbar mit Pflegeeinrichtungen Geld verdienen (es ist nicht überall so). Auch hier werden wir vom Ausland aufgekauft. Und der Staat muss endlich den Pflegeschlüssel erhöhen. Also das heisst, mehr Pflegekräfte in den Schichten.

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