Wie sozialverträglich ist die Heimpflege?

Foto: Harald Spies Anklagewand im ehemaligen Büro des Pflegekritikers Claus Fussek

Laut jüngster Auswertung der Ersatzkassen muss ein Heimbewohner derzeit 2.871 Euro aus eigener Tasche zahlen. Das sind 211 Euro mehr als 2023.  Die Heime in NRW seien mit einer Zuzahlungsrate von 3.200 Euro die teuersten. Kann ein Heimbewohner die monatlichen Kosten privat (Rente, Vermögen) nicht zahlen, und sind auch keine Angehörigen vorhanden, die zur Zahlung verpflichtet werden können, ist die Sozialkasse verpflichtet, den Differenzbetrag zu übernehmen. Die Heime bekommen in jedem Falle ihr Geld, dafür hat die Heimbetreiberlobby gesorgt.

Der Öffentlichkeit werden die alljährlichen Schlagzeilen von steigenden Heimkosten mit der Forderung präsentiert, die als Teilkasko ausgelegte Pflegeversicherung auszubauen; also die Pflegekostenlast in Form einer drastischer Erhöhung der Versicherungsbeiträge oder über ein steuerfinanziertes System umzuverteilen. Beides würde jedoch lediglich zu einer Problemverlagerung führen und die soziale Belastung insgesamt in die Höhe treiben.  Denn letztlich werden die permanent steigenden Kosten für Gesundheits- und Pflegeleistungen unser aller Einkommen schmälern.  Alleine meine monatlichen Beiträge in die Kranken- und Pflegekasse, belaufen sich auf über 500 Euro. 500 Euro, die von der Rente abgehen und ein System unterstützen, dass mehr Krankheiten und Pflegebedürftigkeit erzeugt als verhindert.

Wie vielfach schon beschrieben, erzeugt unser Gesundheits- und Pflegesystem einen Großteil des Pflegebedarfs selbst.  Das System wurde von denen entwickelt, die an den Kranken und Pflegebedürftigen verdienen. Es orientiert sich am Markt und nicht an den Menschen.  Das meiste Geld kann mit Menschen am Lebensende gemacht werden, indem man diese in Zustände hineintherapiert, wie sie kein einziger Mensch jemals erleiden möchte.  Niemand möchte so enden, wie wir das in den teuren deutschen Heimen hunderttausendfach erleben.  Würde das medizinisch-pflegerisch  erzeugte Leid gleichermaßen beziffert und veranschaulicht, könnten alle erkennen, dass unsere hochgelobte  Kranken- und Pflegeversicherung auch eine sehr dunkle Seite hat.

Wie kein anderes Land setzt Deutschland auf die Auslagerung pflegebedürftiger Mitmenschen in die Heime.  Verstärkt wurde das mit der Einführung der Pflegeversicherung vor rund 30 Jahren. Diese sollte vor allem den Zweck erfüllen, die Sozialkasse der Städte und Kommunen zu entlasten. In den ersten Jahren ging diese Rechnung noch auf. Die Kassenleistungen wurden so berechnet, dass Heimbewohner mit durchschnittlichen „Eigenmitteln“ (Rente, Eigentum etc.), die Heimkosten tragen konnten. Inzwischen sind die Heimplatzkosten jedoch derart gestiegen, dass die Sozialkasse bei jedem zweiten bis dritten Heimbewohner kräftig zuzahlen muss.

Vor der Pflegeversicherung hatte jedes Heim einen gewissen Anteil an Bewohnern, mit nur geringfügigem Hilfebedarf. Menschen die am Leben teilnehmen und mitgestalten konnten. Inzwischen findet man dort selten noch einen Bewohner, mit dem eine normale Unterhaltung möglich ist.  „Wer hier leben muss, ist lebendig begraben.“, beschrieb eine Pflegerin die Stimmung. Entweder man stumpft ab, gegenüber dem menschlichen Elend, oder man steigt aus.  Sie hatte letzteres vorgezogen und den Abgestumpften das Feld überlassen.  40 Prozent der Altenpflegekräfte befassten sich 2022 mit Ausstiegsgedanken.

Nicht nur die Kosten laufen davon, sondern auch das Personal. Siehe Beitrag:  Altenpflege vor dem AUS

Gleichzeitig steigt jedoch der Pflegebedarf. Alleine 2023 seien 360.000 Pflegebedürftige dazu gekommen. Von der Politik können wir hier leider nichts anderes erwarten, als uns Bürger zur Kasse zu bitten, um weiteres Geld in dieses Fass ohne Boden zu stecken.  Schauen wir uns die Entwicklung in einigen Nachbarländern hat, müssen wir feststellen, dass sich unsere Pflegeversicherung als Bumerang erweist.  Ein bürokratisches Monster, das die Zahl der Pflegebedürftigen und die Kosten in die Höhe treibt.  In keinem Land der Welt ist die Gefahr größer, am Ende des Lebens in eines der rund 12.000 Heime verbracht zu werden. Versorgt von menschlichen oder anderen Robotern, die ihr Programm abspulen.  Wir alle unterstützen diese bürokratische Form der Entsorgung, mit der Zahlung jährlich steigender Pflichtbeiträge.

Auf Pflegeheime wird unser Land nicht gänzlich verzichten können.  Für alleinlebende oder alleingelassene Senioren können Einrichtungen, in denen ein menschlich gutes Klima herrscht, ein wahrer Segen sein.  Aber eben auch nur dann. Entsprechend müssten gerade solche Heime gefördert werden in denen emphatische Mitarbeiter den Ton angeben.  Heime, in denen sich die Bewohner lebendig begraben fühlen, würden von der Bildfläche verschwinden, würden Bewohner nur dann die vollen Kosten zahlen, wenn die Leistung die ihnen versprochen wurde und auf die sie einen Anspruch haben, tatsächlich auch erbracht werden.   Heime versprechen eine individuelle, an den Bedürfnissen der Bewohner orientierte Betreuung, ohne befürchten zu müssen, dass Bewohner bzw.  ihre rechtlichen Vertreter Konsequenzen ziehen, wenn davon im Alltag nichts zu sehen ist.   Sie nehmen Demütigungen, Bevormundung und Entrechtungen hin, weil keinen Ausweg auch dieser „Pflegefalle“ sehen.   Wer auf einen Heimplatz angewiesen ist, muss sich unterordnet.  Wenn er das nicht kann, muss er mit einem Aufenthalt in der  Gerontopsychiatrie rechnen, wo er medikamentös so eingestellt wird, dass er alles über sich ergehen lässt.

Seit mehr als 20 Jahren kritisiere ich diese allgemein bekannte Praxis.  Als Gründerin und Vorsitzende der Pflegeethik-Initiative Deutschland e.V.  kann ich leider nicht mehr tun, als immer wieder den Finger in die Wunde zu legen, als den Betroffenen eine Stimme zu geben und denen ins Gewissen zu reden/schreiben, die für menschlichere Verhältnisse in den Heimen sorgen könnten.  Dabei mache ich die Erfahrung, dass sich kaum jemand für dieses Thema interessiert, der nicht selbst betroffen ist.  Man will nicht sehen, was sich da hinter den schönen Fassaden unserer teuren Pflegeheime abspielt und schiebt die Gefahr, selbst einmal dort zu enden, weit von sich.

Um auf die Frage im Titel zurückzukommen:

Die Heimpflege in der überwiegend praktizierten und gesellschaftlich tolerierten Form, ist ein soziales Armutszeugnis.  Sie ist ein Symptom, dessen  zersetzende Wirkung bereits ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat.

Die Qualität einer Gemeinschaft (ob Familie oder Staat) lässt sich daran erkennen, wie sie mit ihren hilfebedürftigen Mitmenschen  umgeht.

Offenbar ist der finanzielle Leidensdruck durch ständig steigende Sozialabgaben noch nicht hoch genug, um eine Reform zu fordern, die an die Ursache des Problems geht.

Adelheid von Stösser,  den 12.07.2024


Links zum Thema:

Der erneute drastische Anstieg der Heimkosten wurde am 10 und 11 Juli von fast allen Medien aufgegriffen: Hier beispielhaft ein Bericht im WDR

Seit Corona laufen die Kosten völlig aus dem Ruder: In diesem Beitrag in der SZ von 2023, erfahren die Leser wissenswertes über die Zusammensetzung der Heimkosten und wie Betroffene auf Erhöhungen reagieren können.

Ende Mai 2018 hatte Maybrit Illner sich des Themas angenommen. In dem Beitrag finden unsere  Anregung zum Systemwechsel in Pflege

 

 

Alarmierender Anstieg der Pflegebedürftigkeit

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*