Krankenhaus wollte Sterbende los werden

Ende Juli 2023 erhalte ich folgenden Hilferuf der Tochter  „unserer Ulla“:  „Eine Dame vom Sozialdienst im Krankenhaus hat mir heute mitgeteilt, dass Mama nicht länger auf der Inneren liegen könne. Da kein Bett auf der Palliativstation frei sei, müsse man sie nach Hause entlassen.“ Ich bin sprachlos. Denn ich hatte bei dem Anruf  mit einer Todesbenachrichtigung gerechnet.  Bei meinem Besuch, wenige Tage zuvor, befand sich „Ulla“ bereits in einem präfinalen Zustand. Sie hatte mich zwar noch erkannt, war jedoch nicht mehr in der Lage zu sprechen.   Alle Untersuchungen seien abgeschlossen. An ihrem Zustand könne man medizinisch nichts mehr verbessern.  Das Bett würde für andere Patienten gebraucht.

Sofort setzte ich mich an den PC und schrieb die Krankenhausoberin, Pflegedienstleiterin und den Seelsorger per Mail an:

Sehr geehrte …..

Es geht um die Patientin Frau Ursula J., geb.29.03.40  (Zimmer 219), die sich in einem sterbenden Zustand befindet und weil auf Palliativstation kein Bett frei ist, auf Drängen einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes nach Hause in ihre Wohnung verlegt werden „müsse“.  Ihre Tochter rief mich vorhin an, weil sie sich absolut überfordert sieht, die Mutter in diesem Zustand alleine zu versorgen.  Ein Pflegebett könne sie frühestens ab Montag bekommen. Es ist nichts für diese Situation vorbereitet.  Bevor Frau J. am 26.07.  ins Krankenhaus eingewiesen wurde, war sie noch in der Lage mit Hilfe aufzustehen, zur Toilette zu gehen und ihre Wünsche oder Schmerzen etc. mitzuteilen.

Seit Montag habe sich ihr Zustand rapide verschlechtert.  Da ich Frau J. kenne, sie war viele Jahre für unsere Familie tätig, habe ich sie, nach dem Anruf ihrer  Tochter, am Dienstag im Krankenhaus besucht.  Ob sie mich erkannt hat, weiß ich nicht. Sie lag mit geschlossenen Augen und offenem Mund da, wie Menschen im Endstadium einer Krebserkrankung oder anderer Leiden.  Da ich selbst seit 50 Jahren im Bereich der Pflege aktiv bin,  denke ich die Situation ein wenig beurteilen zu können.   Gleiches trifft auf das häusliche Umfeld von Frau J. zu.  Ihre Tochter wäre in der Tat mit der Situation überfordert, zumal ihre beiden Geschwister und der Vater kurz hintereinander verstorben sind und sie erst 2021 zur Mutter gezogen ist.   Andere Angehörige stehen nicht zur Verfügung.

Wenn ich Ihnen schreibe,  so auch, weil ich es kaum glauben kann, dass in einem christlichen Krankenhaus, eine offensichtlich sterbende Frau zwangsweise nach Hause entlassen werden soll, zu einer Angehörigen, die ebenfalls dringend Hilfe benötigt und mit der Situation völlig überfordert ist.
Ich appelliere ich an Sie, sich hier persönlich einzuschalten und dafür zu sorgen, dass Ihre Patienten, Frau Ursula J. in den letzten Stunden ihres Lebens  die Pflegequalität erfährt, mit der die  Marienhaus GmbH wirbt.  Ferner sollte jemand der Mitarbeiterin vom Sozialdienst, „eine gefühlskalte Frau mit Doppelnamen“,  erklären, wo die Grenzen wirtschaftlicher Erwägungen in einem christlichen Haus zu ziehen sind.

Mit freundlichen Grüßen

Die Hausoberin antwortete nicht nur postwendend, sondern setzte sich offenbar persönlich dafür ein, dass die Sterbende liebevoll betreut bis zu ihrem Tod in einem Einzelzimmer verbleiben konnte. Die Tochter durfte sogar über Nacht bleiben.  „Mama ist heute  Nacht friedlich eingeschlafen.“, teilte sie mir zwei Tage später mit.  Wir alle waren erleichtert.

Wenn ich diese Erfahrung  schildere, so weil daran eine typische  Auswirkungen der Fallpauschal-Regelung gezeigt werden kann.  Krankenhäuser sehen sich aus wirtschaftlichen Gründen genötigt, Patienten zu entlassen, wenn die Zeit abgelaufen ist, die für das vorliegende Krankheitsbild von der Kasse bezahlt wird.  Frau J., die in einer akuten Herz-Kreislaufkrise eingeliefert wurde,  hatte im April d.J. bereits einige Wochen auf der Gynäkologie verbracht. Dort wurde ein metastasierendes Karzinom festgestellt. Die Operation und anschließende Strahlenbehandlung brachte keinen Erfolg. Seitdem habe sie merklich abgebaut und auch jeden Lebensmut verloren.

Der Ablauf ist normalerweise so:
Der behandelnde Arzt meldet dem Sozialdienst, wenn abzusehen ist, dass ein Patient nicht in der von der Fallpauschale abgedeckten Zeit, entlassen werden kann.    Aufgabe des Sozialdienstes ist es dann, schnellstmöglich die Entlassung nach Hause oder in eine Einrichtung zu organisieren. Die meisten Krankenhäuser haben Kooperationen mit Heimen, die diese Kranken/Sterbenden dann kurzfristig übernehmen.  Allerdings nehmen Heime ungern Patienten die nur noch eine Lebenserwartung von Stunden oder Tagen haben.  Außerdem ist so ein Umzug mit einem riesigen bürokratischen Aufwand verbunden und ohne Einwilligung des Patienten/Bevollmächtigten nicht durchführbar.

Im Nachgang habe ich der Einrichtung empfohlen, die Angehörigen einzubeziehen und anzuleiten.   Beispielweise hätten die Pflegekräfte die Tochter der Frau J. an der Pflege ihrer Mutter beteiligen können. Man hätte ihr zeigen können, wie z.B. der Dekubitus versorgt wird, wie das Laken ohne Kraftanstrengung gewechselt werden kann und v.a.m.  Stattdessen wurde die Tochter  wie eine Besucherin behandelt, so dass sie freiwillig das Zimmer verlassen hat, um die Pflegenden nicht bei der Arbeit zu stören.  Das Krankenhaus hatte im Grunde 10 Tage Zeit, der Tochter alles Wichtige zu erklären.  Diese wäre auch grundsätzlich bereit gewesen sich selbst bis zu Letzt um die Mutter zu kümmern. Sie war jeden Tag mehrere Stunden bei ihr im Krankenhaus.

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