Vom marktgerechten Patienten zum patientengerechten Krankenhaus

Foto: MS Parko - Pixabay

Mit großer Sorge verfolgen vor allem Bürger ländlicher Regionen „Das große Kliniksterben in Deutschland„. So der Titel eines von vielen Beiträgen, mit denen in 2023  der zahlreichen Krankenhäusern gedacht wurde, die ihre Pforten schließen

Der  Personalnotstand  ist die  Folge der marktwirtschaftlichen  Ausrichtung  des gesamten  Gesundheitswesens.  

Bezogen auf die Krankenhäuser,  werden seit  Einführung  der  Fallpauschalen  wirtschaftliche Interessen über das Wohl der Patienten gestellt.   Ein Filmprojekt  Der marktgerechte Patient hat sich nun dieses Themas angenommen  und zeigt in sehr eindrücklicher Weise,  wie ungesund Krankenhäuser für Patienten und Personal geworden sind.    Kliniken versuchen Personal durch Technik zu ersetzen,  fordern Effizienz  und verlangen von  Menschen wie Maschinen zu funktionieren.  Massenabfertigung von immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit, unnötige  Operationen, weil es dafür mehr Geld gibt.  Der Patient ist Mittel zum Zweck und der Zweck heiligt die Mittel.    Wie im o.s. Film-Trailer beispielhaft  gezeigt, werden konservative Wundbehandlungen, etwa bei Gangrän am Fuß,  heute in kaum noch einem Krankenhaus durchgeführt.  Denn diese zahlen sich für die Klinik nicht aus, Amputationen hingegen schon.   Wie der Betroffene anschließend ohne Fuß zurechtkommt, interessiert nicht.  Das wird dann zur Angelegenheit der Pflege.

Die negativen  Auswirkung des Fallpauschalsystems sind überall sichtbar.  Auch der jetzt von der Bertelsmann-Studie festgestellte Bettenüberschuss in Deutschland,  hat hier seinen Ursprung.

Vor  Einführung dieses Systems  konnten ältere Patienten solange stationär behandelt und gepflegt werden, bis sie wieder auf den Beinen waren oder ihre Pflege zu Hause sichergestellt war.  Zu meiner aktiven Zeit im Krankenhaus,  musste kein  Patient befürchten, dass sein Fuß kurzerhand amputiert wird, weil konservative Wundheilung  eine  wochenlange  stationäre Behandlung  erfordert.  Sowohl auf der Chirurgie als auch Inneren  Abteilung, waren wenigstens  ein Drittel der Betten mit Langzeitpatienten belegt.  Das hatte auch Vorteile fürs Personal.  Nach ein paar Tagen frei, traf man   viele bekannte Patienten an und brauchte sich nicht 20 neue Namen und Krankenberichte  zu merken, sondern vielleicht  8 oder 10.  Derzeit sind  Pflegekräfte  größtenteils mit der Abwicklung  von  Neuaufnahmen und  Entlassungen befasst  und müssen achtgeben, die Namen der  Patienten nicht zu verwechseln, weil sie diese persönlich gar nicht kennenlernen konnten.

Heute wird dem älteren Patienten oder dessen Angehörigen schon bei der Aufnahme  eine Liste mit Pflegeheimen in die Hand gedrückt.  Denn die Zeit nach der stationären Behandlung reicht fast nie, um den Patienten soweit zu stabilisieren, dass er nach Hause entlassen werden kann.   So landen die meisten  über 80ig jährigen Krankenhauspatienten  anschließend  in einem Pflegeheim, in dem sie  die Restzeit ihres Lebens zubringen müssen.

Der Grundsatz „Reha vor Pflege“ existiert nur auf dem Papier (SGB XI).

Denn Krankenhäuser können  ihre Patienten nicht einmal so lange stationär behalten, wie es dauert, bis ein Reha-Antrag von der Kasse bearbeitet ist.  Bevor eine Rehastelle für einen alten Patienten gefunden ist, hat der bereits einen hohen Pflegegrad erreicht und  jede Hoffnung verloren.   Außerdem haben durch wochenlanges Herumsitzen und –liegen, die Muskeln und oft auch der Kopf stark abgebaut, weshalb ein Reha-Erfolg eher unwahrscheinlich wird.   Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich ein Reha-Erfolg  finanziell nachteilig auswirkt.   Denn je geringer der Pflegegrad – desto weniger zahlt die Kasse.   Sowohl  Kranken- als auch Pflegeversicherung setzen Anreize in die falsche Richtung.

Seit Einführung des Fallpauschalsystems  sind  Klinken und Krankenhäuser  bestrebt, Patienten möglichst  innerhalb oder besser noch vor Ablauf der Pauschalzeit zu entlassen.  Betten  für Langzeitpatienten sind also weggefallen.  Nicht effektive Abteilungen wurden geschlossen.  In anderen Bereichen spezialisierte man sich auf Behandlungen, die relativ viel Geld einbringen und regelmäßig nachgefragt werden. Ein absoluter Renner  sind   die Hüftprothesen.  Intensivstationen wurden überall ausgebaut.  Dialyseplätze bietet  fast jedes Krankenhaus an.

Je Risikoreicher die Behandlung desto lukrativer für die Klinik    

Wir haben heute die Situation, dass Krankenhäuser  vorzugsweise solche Untersuchungen und Behandlungen anbieten, die das meiste Geld bringen.   Häuser die beispielsweise ein Herzkatheterlabor haben, mit entsprechend qualifiziertem Fachpersonal,  benötigen eine bestimmte Fallzahl an Patienten.  Wer als Patient mit Herzbeschwerden  in so eine Klinik geht, muss damit rechnen, dass Ärzte sofort und ausschließlich die dort durchgeführten, invasiven Eingriffe empfehlen.  Das bringt der Klinik auf jeden Fall deutlich mehr ein, als  konservative  Behandlung.  In solch einer Klinik auf einen Arzt zu treffen, der psychische Ursachen für Herzbeschwerden  überhaupt erwähnt,  dürfte unwahrscheinlich sein.   Auf diese Weise sorgen  Kliniken selbst dafür, dass die OP´s ausgelastet und die Intensivstationen voll sind.   Begrenzt wird diese ungute Entwicklung derzeit  durch fehlendes Pflegepersonal. Intensivstationen dürfen nur so viele Betten belegen, wie laut  des jüngst für diesen Bereich eingeführten Mindestpersonalschlüssels, vorgeschrieben sind.      Besonders risikoreiche  Eingriffe, wie Herz- oder Lungentransplantationen, die eine längere Intensivbehandlung nach sich ziehen, müssen womöglich  sogar ganz ausfallen, weil zu dem Zeitpunkt kein Bett auf der Intensivstation zur Verfügung steht.   Wahrscheinlicher erscheint  jedoch, dass andere Intensivpatienten verfrüht  auf Normalstation verlegt werden, mit dem Risiko plötzlich zu versterben, weil Notfallsituationen dort zu spät bemerkt werden.    Werden leitende Klinikärzte  vor die Wahl gestellt,  einen Eingriff vor zu nehmen der 80.000 Euro einbringt und dafür einen Patienten zu gefährden, dessen Behandlung nur 20.000 einbringt,  kann man sich leicht ausrechnen, wie die Entscheidung ausfällt.   Wir haben längst doch schon die Situation, dass Patienten  viel zu früh entlassen werden,  bevor die Nachsorge und Pflege zu Hause gesichert ist.  Vor allem alte Menschen geraten nach einem Krankenhausaufenthalt  häufig  ins Pflegeheim.  Die Krankhäuser füllen unsere Pflegeheime, sie produzieren Pflegebedarf.

Tatsächlich ist jedes Krankenhausbett überflüssig, dessen Belegung in erster Linie wirtschaftlichen Interessen dient. Insofern macht die in vorgenannter  Studie empfohlene Halbierung der Anzahl, durchaus Sinn.  Weniger Krankenhäuser, weniger unnötige Untersuchungen und Behandlungen, weniger Risiko für Patienten, weniger Personalbedarf, weniger Kosten und außerdem weniger  Müll.

Aktuell bemühen sich ländliche Regionen verzweifelt darum Hausärzte anzusiedeln.  Als nächstes werden wohl  lange Fahrtzeiten zum Krankenhaus in Kauf genommen werden müssen.

Statt kleinere Krankenhäuser zu schließen, wäre es sinnvoll den Ausbau von Pflegeheimplätzen zu stoppen und die kleineren Krankenhäuser  für eine ganzheitliche Behandlung-/Pflege und  Rehabilitation  umzufunktionieren.

In einem weiteren Beitrag will ich meine Vorstellung von einem Krankenhauswesen beschreiben, dass sich am Wohl der Patienten orientiert.

Adelheid von Stösser im November 2023

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