Krankenhäuser schaffen sich selbst ab

Foto: Erysipel / Pixelio
Das deutsche Krankenhauswesen befindet sich in einer kritischen Lage. Auf der eine Seite legt eine Studie der Politik nahe, mehr als die Hälfte aller Krankenhäuser zu schließen, auf der anderen beklagen Krankenhäuser, Operationen nicht durchführen und Betten nicht belegen zu können, weil Pflegepersonal fehlt. Fest steht, dass Krankenhausaufenthalte für den Patienten mit großen Risiken verbunden sind. Nicht wenige sind hinterher kränker oder werden zum Pflegefall.

„Eine bessere Versorgung ist  nur mit halb so vielen Kliniken möglich.“, tituliert die  Bertelsmann-Stiftung  das Ergebnis einer im Juli veröffentlichten Studie.     Neben wirtschaftlichen Gründen  werden personelle und fachliche genannt.  Komplizierte Operationen sollten nur von Ärzten und Abteilungen durchgeführt  werden, die diese Eingriffe häufiger machen.  In kleineren Krankenhäusern mit geringer Fallzahl, seien Patienten eher gefährdet, so ein Hauptargument.

Bereits vor diesem Paukenschlag haben wir erlebt, dass Abteilungen oder ganze Krankenhäuser, vor allem in ländlichen Regionen wirtschaftlich nicht mithalten können.  Beispiel Geburtshilfe:  Wer heute auf dem Land lebt und ein Kind erwartet, muss mitunter 50 km  fahren, zum nächsten Krankenhaus, in dem es noch eine Geburtshilfestation gibt.  Denn bei den Fallpauschalen für natürliche Entbindungen, müssen Krankenhäuser drauflegen.  Aus wirtschaftlicher Sicht sind Entbindungsstationen  geradezu  angewiesen, einen hohen Prozentsatz der Entbindungen per Sectio (Kaiserschnitt) vorzunehmen.  Tatsächlich  kommt heute fast schon jedes dritte Kind nicht auf natürlichem Wege zu Welt, sondern auf dem Operationstisch.   Tatsächlich  wird es immer  natürlicher,  nicht natürlich zu entbinden.   Zumal es außerdem  Hebammen  verleidet wurde, Hausgeburten durchzuführen.

Personalnotstand  als Folge der marktwirtschaftlichen  Ausrichtung unseres Gesundheitswesens. 

In Hamburg  versuchen Pflegeaktivisten per Volksbegehren mehr Personal in die Kliniken zu bekommen.  Die Erfolgsaussichten wären vielleicht größer, würden die Pflegenden als Anwälte der Patienten argumentieren, anstatt die eigene Not in den Vordergrund zu stellen.

Bezogen auf die Krankenhäuser  werden seit  Einführung  der Fallpauschalen  wirtschaftliche Interessen über das Wohl der Patienten gestellt.

Mit dem Titel  Der marktgerechte Patient haben sich Filmemacher nun dieses Themas angenommen.  In selten deutlicher Form sprechen die Mitwirkenden aus, was im Grunde jeder Insider bemängelt und Patienten täglich erleben.  Die heutigen Kliniken funktionieren wie Fabriken, versuchen Personal durch Technik zu ersetzen,  fordern Effizienz  und verlangen von  Menschen wie Maschinen zu funktionieren.  Massenabfertigung von immer mehr Patienten in immer kürzerer Zeit, unnötige  Operationen, weil es dafür mehr Geld gibt.  Der Patient ist Mittel zum Zweck und der Zweck heiligt die Mittel.    Wie im  Film beispielhaft  gezeigt, werden konservative Wundbehandlungen, etwa bei Gangrän am Fuß,  heute in kaum noch einem Krankenhaus durchgeführt.  Denn diese zahlen sich für die Klinik nicht aus, Amputationen hingegen schon.   Wie der Betroffene anschließend ohne Fuß zurechtkommt, interessiert nicht.  Das wird dann zur Angelegenheit der Pflege.

Ursachenfaktor  Fallpauschale   
In der Tat kann man die negativen  Auswirkung des Fallpauschalsystems nicht deutlich genug hervorheben.  Auch der jetzt  in o.g. Studie festgestellte Bettenüberschuss hat hier seinen Ursprung.  Vor  Einführung dieses Systems  konnten ältere Patienten solange stationär behandelt und gepflegt werden, bis sie wieder auf den Beinen waren oder ihre Pflege zu Hause sichergestellt war.  Zu meiner aktiven Zeit im Krankenhaus,  musste kein  Patient befürchten, dass sein Fuß kurzerhand amputiert wird, weil konservative Wundheilung  eine  wochenlange  stationäre Behandlung  erfordert.  Sowohl auf der Chirurgie als auch Inneren  Abteilung, waren wenigstens  ein Drittel der Betten mit Langzeitpatienten belegt.   Das hatte auch Vorteile fürs Personal.  Nach ein paar Tagen frei, traf man viele bekannte Patienten noch an und brauchte sich nicht 20 neue Namen und Krankenberichte  zu merken, sondern vielleicht  8 oder 10.  Derzeit sind  Pflegekräfte  größtenteils mit der Abwicklung  von  Neuaufnahmen und  Entlassungen befasst  und müssen achtgeben, die Namen der  Patienten nicht zu verwechseln, weil sie diese persönlich während der kurzen Verweildauer gar nicht kennenlernen konnten.

Heute wird dem älteren Patienten oder dessen Angehörigen schon bei der Aufnahme  eine Liste mit Pflegeheimadressen in die Hand gedrückt.  Denn die stationäre Behandlung hat gar nicht mehr das Ziel einen alten Patienten soweit zu stabilisieren, dass er nach Hause entlassen werden kann.  Selten darf dieser so lange stationär bleiben, bis Angehörige ein Pflegebett besorgt haben und die häusliche Pflege gesichert ist.  Die Fallpauschalen je nach Diagnose sind  auf Akutversorgung ausgelegt.  Nach der kurzen Akutversorgung landen  die meisten  der über 80igjährigen  Krankenhauspatienten in einem Pflegeheim. Aus der Kurzzeitpflege wird dort in aller Regel Dauerpflege – Endstation – für den Rest des Lebens.

Der Grundsatz „Reha vor Pflege“ (SGB XI) existiert nur auf dem Papier.
Krankenhäuser können  ihre Patienten nicht einmal so lange stationär behalten, wie es dauert, bis ein Reha-Antrag von der Kasse bearbeitet ist.  Bevor eine Rehastelle für einen alten Patienten gefunden ist, hat der bereits einen hohen Pflegegrad erreicht und  jede Hoffnung verloren.   Außerdem haben durch wochenlanges herumsitzen oder –liegen, die Muskeln und oft auch der Kopf stark abgebaut, weshalb ein Reha-Erfolg eher unwahrscheinlich wird.   Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich ein Reha-Erfolg   finanziell nachteilig auswirkt.   Denn je geringer der Pflegegrad – desto weniger zahlt die Kasse.

Unser Gesundheitssystem setzt Anreize in die falsche Richtung.  Es belohnt die, die den Kranken kränker und den Pflegebedürftigen bedürftiger machen. Selbst wenn ein Patient durch eine Behandlung nachweislich geschädigt wurde, übernimmt die Kasse die Behandlungskosten. Benötigt der Geschädigte  anschließend Pflege oder Hilfsmittel, um am Leben teilnehmen zu können, muss er als Bittsteller gegenüber seiner Kasse auftreten.

Seit Einführung des Fallpauschalsystems  sind  Klinken und Krankenhäuser  bestrebt, Patienten möglichst  innerhalb oder besser noch vor Ablauf der Pauschalzeit zu entlassen.  Betten  für Langzeitpatienten sind also weggefallen.  Nicht effektive Abteilungen wurden geschlossen.  In anderen Bereichen spezialisierte man sich auf Behandlungen, die relativ viel Geld einbringen und regelmäßig nachgefragt werden. Ein absoluter Renner  dabei sind Hüftprothesen.  Intensivstationen wurden überall ausgebaut.  Dialyseplätze bietet  fast jedes Krankenhaus an.  Auch dies ein lukratives Geschäft. Selbst 90igjährige dürfen heute nicht einfach an Nierenversagen sterben.

Wir haben heute die Situation, dass Krankenhäuser  vorzugsweise solche Untersuchungen und Behandlungen anbieten, die das meiste Geld bringen.   Häuser die beispielsweise ein Herzkatheterlabor haben, mit entsprechend qualifiziertem Fachpersonal,  benötigen eine bestimmte Fallzahl an Patienten.  Wer als Patient mit Herzbeschwerden  in so eine Klinik geht, muss damit rechnen, dass Ärzte sofort und ausschließlich die dort durchgeführten, invasiven Eingriffe empfehlen.  Das bringt der Klinik auf jeden Fall deutlich mehr ein, als  konservative  Behandlung.  In solch einer Klinik auf einen Arzt zu treffen, der psychische Ursachen für Herzbeschwerden  überhaupt erwähnt,  dürfte unwahrscheinlich sein.   Auf diese Weise sorgen  Kliniken selbst dafür, dass die OP´s ausgelastet und die Intensivstationen voll sind.   Begrenzt wird diese ungute Entwicklung derzeit  durch fehlendes Pflegepersonal. Intensivstationen dürfen nur so viele Betten belegen, wie, laut  des jüngst für diesen Bereich eingeführten Mindestpersonalschlüssels, vorgeschrieben sind.      Besonders risikoreiche  Eingriffe, wie Herz- oder Lungentransplantationen, die eine längere Intensivbehandlung nach sich ziehen, müssen womöglich  sogar ganz ausfallen, weil zu dem Zeitpunkt kein Bett auf der Intensivstation zur Verfügung steht.   Wahrscheinlicher erscheint  jedoch, dass andere Intensivpatienten verfrüht  auf Normalstation verlegt werden, mit dem Risiko plötzlich an einer zu spät erkannten Krisis zu versterben.    Werden leitende Klinikärzte  vor die Wahl gestellt,  einen Eingriff vor zu nehmen der 80.000 Euro einbringt und dafür einen Patienten zu gefährden, dessen Behandlung nur 20.000 einbringt,  kann man sich leicht ausrechnen, wie die Entscheidung ausfällt.

Schon lange wird das „blutige Entlassen“ aus Kliniken kritisiert,   bevor die Nachsorge und Pflege zu Hause gesichert ist.  Vor allem alte Menschen geraten nach einem Krankenhausaufenthalt  häufig  ins Pflegeheim.

Krankenhäuser füllen Pflegeheime. Nicht nur mit alten, sondern zunehmend auch mit intensivpflegebedürftigen Kranken.

Tatsächlich ist jedes Krankenhausbett überflüssig, dessen Belegung in erster Linie wirtschaftlichen Interessen dient. Insofern macht  eine Halbierung der Anzahl durchaus Sinn.    Weniger Krankenhäuser, weniger unnötige Untersuchungen und Behandlungen, weniger Risiko für Patienten, weniger Personalbedarf, weniger Kosten.

Falsch wäre jedoch, wenn die kleinen Krankenhäuser zugemacht und die großen noch größer würden.

Richtig wäre eine andere Ausrichtung der Krankenhäuser.  Wir brauchen Krankenhäuser die den Kranken gerecht werden.  In denen nicht nur Befunde ausgewertet sondern das Befinden gesehen wird.  Schließlich ist immer der ganze Mensch betroffen.  In den Kliniken hat man die Kranken aus den Augen verloren und den Eigennutz über den der Patienten gestellt.  

Das muss sich ändern!

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3 Kommentare

  1. Die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens ist der Grund für die fatale Fehlentwicklung. Der Staat entledigt sich nach und nach seiner Aufträge, indem er sie an die Meistbietenden vegibt. Gerade im Gesundheitswesen besteht kein wirklicher Markt, weil kein Patient auf eine notwendige Behandlung verzichten oder sie verschieben kann. Der Patient ist kein Konsument. Wie schädlich marktwirtschaftliches Denken im öffentlichen Sektor ist, wird immer deutlicher. Dennoch betreiben deutsche Regierungen seit Jahrzehnten den Ausverkauf des Gesundheitswesens zum Nutzen einiger weniger Investoren und zum Schaden der 73 Millionen gesetzlich Versicherten.

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