Mit der generalistischen Pflegeausbildung zurück in die Vergangenheit.

Während in vielen Bereichen neue Berufe und Studiengänge ins Leben gerufen werden, um diversen Spezialisierungen besser gerecht werden zu können, soll in der  Pflege wieder ein Zustand von vor 50 Jahren herbeigeführt werden. Als Lehrerin für Pflegeberufe, habe ich vor mehr als 30 Jahren die Abspaltung der Altenpflege von der Krankenpflege erlebt. Also auch die Begründungen für einen gesonderten Ausbildungsgang, wie es vorher ja schon die Abspaltung der Kinderkrankenpflege gab.  Auf Betreiben von Pflegewissenschaft und Berufsstandesvertretern, will die Regierung den alten Zustand nun quasi wieder herstellen. Das Kernargument:  „Ein einheitliches Berufsbild „Pflege“ soll dabei das berufliche Selbstverständnis der Pflegefachkräfte auch im Verhältnis zu anderen Gesundheitsberufen stärken.“, verrät,  worum es im Wesentlichen geht.  Nämlich um Standesdünkelei.  Würde die Sorge um eine menschliche Bewältigung des wachsenden Pflegebedarfs im Vordergrund stehen, wäre die Diskussion eine andere.

Ansgesichts der sich zuspitzenden Lage, speziell in der Altenpflege, die heute schon nur noch mit Hilfe unausgebildeter Hilfskräfte gehandhabt werden kann, brauchte es vor allem praktischer Lösungsstrategien.    Zum jetzigen Zeitpunkt das Fundament der Pflegeberufe komplett umbauen zu wollen, ist mehr als gewagt.  Es käme wohl keiner auf die Idee, ein Schiff auf stürmischer See umbauen zu lassen.

Zugegeben, die aktuellen Ausbildungsregelungen in den Pflegeberufen sind nicht das Gelbe vom Ei. Da liegt auch nach meiner Erfahrung vieles im argen. Wer zum Beispiel seine Altenpflegeausbildung in einem Heim macht, in dem die Auszubildenden hauptsächlich  lernen, wie man es nicht machen sollte, der wird als Fachkraft höchstwahrscheinlich im gleichen Stil tätig.   Eine Erlaubnis, Pflegekräfte auszubilden, müsste an entsprechende Kriterien geknüpft sein.  Vor allem müsste  darauf geachtet werden, dass die  Ausbildungsstätten (Pflegeheime, Kliniken, Pflegedienste) in der Praxis umsetzen, was in der Theorie gelernt wird.  Heute ist es vielfach so, dass Schüler in der Praxis gute Noten dafür bekommen, wenn sie möglichst schnell, möglichst viele Bewohner/Patienten „fertig machen“.  Wer sich da Zeit für menschliche Begleitung nimmt oder sein Pflegetempo der Langsamkeit pflegebedürftiger Menschen anpasst, gilt oft als ungeeignet für den Beruf.  Diese Haltung setzt sich natürlich fort.  Und wer sich angewöhnt hat, die Alten und Kranken abzufertigen, der trägt auch nach außen hin zu einem negativen Bild der Pflege bei.  Diesem Teufelskreis muss und kann eine andere Ausbildungsordnung entgegen wirken.   An die  Ausbildungsstätten für Pflegeberufe müssen neue Maßstäbe gesetzt werden.   Damit diese erfüllt werden können, müssen Ausbildungsstätten personell und finanziell entsprechend ausgestattet sein. Auf diese Weise könnte gleichzeitig ein positiver Wettbewerb gefördert werden.  Heime die ausbilden dürfen, sollten Vorzeigehäuser sein, in menschlicher wie in fachlicher Hinsicht. Gleiches gilt natürlich auch für Krankenhäuser und ambulante Pflegedienste.

Ebenfalls müsste die theoretische Pflege-Ausbildung andere Schwerpunkte setzen.  Statt wie bisher üblich, hauptsächlich Fachwissen (aus Lehrbüchern) zu vermitteln, müssten Kommunikations- und Kritikfähigkeit systematisch eingeübt werden.  Lernen am Ergebnis.  Reflektiertes, lösungsorientiertes Arbeiten sind Elemente die uns weiterbringen – nicht nur in der Pflege.  Auch körperliche Fitness und die Einübung von Techniken sind wichtige Voraussetzungen.  Pflege ist nun einmal ein körperlich anstrengender Beruf.  Viel zu oft kommt es vor, dass Kranke nicht aus dem Bett kommen oder aber stundenlang im Rollstuhl sitzen müssen, weil keiner vom Personal im Stande ist, ihnen aus dem Bett beziehungsweise ins Bett zu helfen.  Einen kranken Menschen sicher und schonend unterstützen, das kann eben nicht jeder.  Das wäre aber ein zentrales Merkmal für Fachkompetenz, die auch jeder Angehörige zu schätzen weiß.  Leider jedoch gibt es auch in dieser Hinsicht häufig Rückmeldungen, wie zum Beispiel: „Meine Mutter hat Angst vor einigen Pflegekräften. Die tun ihr weh, sagt sie. Manchmal schreit sie ganz laut, wehalb ich schon dazwischen gehen wollte. Am besten kommt Schwester …. mit ihr klar. Diese Frau  strahlt Sicherheit aus und sie hat eine so sanfte und gekonnte Art, Mutter anzufassen, dass das alles ganz entspannt abläuft.“  So sollte es sein.  Qualität und Ansehen der Pflegeberufe stehen und fallen mit solchen Fähigkeiten.   Diese sind es doch, die den Unterschied zwischen einem Profi und einem Laien  in der Pflege ausmachen.  Von ein-/zweimal zeigen, lernt das keiner.  Vielmehr müsste die Ausbildung so angelegt sein,  dass durchgehend reflektiertes Einüben häufiger Pflegeabläufe stattfindet.  Nicht an Übungspuppen, sondern in den verschiedenen Pflegesituationen.  Von zentraler Bedeutung wäre  zudem die Ausbildung von Fähigkeiten kreative Lösungen zu finden und die richtigen Prioritäten zu setzen.

In kaum einer Pflegeschule lernen Pflegeschüler mit dem Handwerkszeug richtig umzugehen, welches in diesem Beruf am nötigsten gebraucht wird.    Weil sie das nicht lernen, werden Standards gepflegt, die an den Menschen vorbeigehen.  Ich habe oft festgestellt, dass  Laien in der Pflege, Angehörige, Ehrenamtliche oder junge Leute, die nicht durch eine  Pflegeschule geprägt (verbildet) wurden, eher in der Lage sind, Zusammenhänge zu erkennen, als Fachleute, die sich einen Tunnelblick angewöhnt haben.

Ja, die Ausbildung in den Pflegeberufen sollte grundlegend überdacht werden. Da bin ich sofort dabei.  Jedoch sehe ich im jetzigen Entwurf des neuen Pflegeberufegesetz nichts, was in die oben beschriebene Richtung deutet.  Sollte das Gesetz durchkommen, im Moment sieht es danach aus, dürfte die Pflegeausbildung noch kopflastiger werden. Ganz im Sinne der Theoretiker die mit der Ausarbeitung beauftragt wurden.

  „Ziel der Bundesregierung ist es, die Pflegeberufe entsprechend weiterzuentwickeln, inhaltliche Qualitätsverbesserungen vorzunehmen und die Attraktivität des Beschäftigungsfeldes zu steigern. Dazu erarbeiten das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium für Gesundheit in gemeinsamer Federführung den Entwurf für ein Pflegeberufegesetz. Die Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege werden zu einer neuen, generalistisch ausgerichteten Pflegeausbildung zusammengeführt, die Ausbildungsfinanzierung wird neu geordnet und die Einführung einer ergänzenden akademischen Ausbildung geprüft. Das Gesetzgebungsverfahren beginnt 2015.“, heißt auf der Seite des  BMFSFJ

Angesichts der bisherigen  Herangehensweise muss bei Einführung ein zusätzliches Chaos befürchtet werden.  Außerdem ist zu erwarten, dass die Mehrzahl derer, die ein Pflegeexamen haben mit dem sie überall arbeiten können, in erster Linie Stellen in Krankenhäusern und Kliniken suchen werden. Die Arbeit in einer Altenpflegeeinrichtung  ist zudem wegen der schlechteren Bezahlung weniger attraktiv.

Ein klares Nein zur Generalistik erteilt das Bündnis für Altenpflege.

Auch in Regierungskreisen wachsen die  Zweifel, wie Sie diesem Beitrag entnehmen können: Ärztezeitung vom 20.10.2015, zur generalistischen Pflege-Ausbildung 

FAZ vom 23.10.2015: Union droht mit Blockade der Pflegeausbildung

Wer sich für die Unterschiede und Historie der Pflegeberufe interessiert, dem empfehle ich diese Beiträge: Pflegeberufe im Wandel – Ausbildung in der Pflege  – Ideen zur Ausbildung

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13. Januar 2016: Bundeskabinett beschließt das neue Pflegeberufegesetz.  Wie nicht anders zu erwarten, setzt sich die Regierung  über alle Bedenken  hinweg. Hermann Gröhe und sein Adjudant, Laumann siehen das Ding durch; in der Haltung: „Ich bin hier der Gesundheitsminster und wenn ich sage, wir brauchen dieses Gesetz, dann haben alle anderen aus Solidarität zuzustimmen. Außerdem findet der Pflegebeauftragte dieses Gesetz auch wegweisend für die Zukunft.“ Die wenigen Bedenkenträger in den eigenen Reihen wurden locker überstimmt.

Das will die Opposition, insbesondere Elisabeth Scharfenberg, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, so nicht durchgehen lassen. Sie fordert dieses Gesetz zu stoppen  und initiierte gemeinsam mit Ministerin Steffens, NRW,  ein Moratorium.

Das Deutsche Ärzteblatt fasst am 10.Februar 2016 den Diskussionsstand zusammen: Opposition und Ärzte fordern Moratorium

März 2016: Der Pflege-SHV nimmt in einem offenen Brief an die beiden Ministerien Stellung zum neuen Pflegeberufegesetz: Pflegeberufegesetz_Stellungnahme_BMG,BMSFSJ_03.16-2

Mai 2016: Der Pflege-SHV erhält eine Einladung zur Anhörung im Bundestag am 30. Mai. Diese Stellungnahme finden Sie auf der Seite des Bundestages

7 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag zum aktuellen Stand der Veränderung der Pflegeausbildung. Es stimmt, dass es aufgrund des Pflegenotstandes nicht zu empfehlen ist, den ganzen Vorgang umzukrempeln. Wir spüren den Notstand auch bei uns, wir haben viele offene Stellen für Kinderkrankenschwestern.

  2. „Vor 30 Jahren habe ich die Abspaltung der Altenpflege von der Krankenpflegeausbildung erlebt.“

    Sorry, aber wo war das? Ich kann das nicht nachvollziehen… Die erste Ausbildung in der Altenpflege war eine rein für Umschüler (AfG) zugängliche Ausbildung … erst ein-, dann zwei- dann dreijährig. Sie ist entstanden, sie hat sich entwickelt, aber die Abspaltung zur bessern Qualifikation oder Spezialisierung habe ich nirgends erlebt.

    Was mich an der ganzen Diskussion am meisten stört ist, dass immer nur die biografische Dimension von Pflege angesprochen wird, als ginge es bei der Ausbildung „nur“ um eine Zusammenlegung von Kind, Erwachsenem und alten Mensch.

    Das ist falsch! Viel einschneidener sind die Veränderungen in der institutiellen Dimension von Pflege… Die neue, generalistische Pflegeausbildung soll auf die Pflege in allen möglichen Institutionen vorbereiten, Akutpflege, Langzeitpflege, somatische oder psychiatrische Pflege, ambulante Pflege, häusliche Versorgung, rehabilitative Pflege, Hospiz, …

    weitere Details dazu siehe z.B. unter http://www.pflegeausbildung-generalistisch.de

    • Sie haben Recht, die Abspaltung der Altenpflege bishin zu einer gleichwertigen, dreijährigen Ausbildung vollzog sich über einen längeren Zeitraum in Etappen. Ich habe das durchaus kritisch gesehen und denke, dass Deutschland weniger in Altenheimplätze investiert hätte (hätte können, ohne spezielles Personal) und stattdessen die häusliche Pflege effektiver gefördert worden wäre, wie in anderen Ländern. Den vorliegende Gesetzentwurf halte ich jedoch für völlig daneben. Stattdessen haben wir einen anderen Lösungsvorschlag eingebracht. Siehe:http://pflege-prisma.de/wp-content/uploads/2015/10/Pflegeberufegesetz_Stellungnahme-des-Pflege-SHV_Mai2016.pdf

  3. Eine generalisierte Ausbildung der Pflegeberufe ist kompletter Nonsens. Wichtiger wäre eine spezifische Ausbildung der 3 Pflegegrundberufe entsprechend der geänderten praxisbezogenen Erfordernisse. Dazu zähle ich, dass in der Altenpflegeausbildung mehr aus dem medizin.-therapeutischen Bereichen gelehrt wird. Die demografische Entwicklung der Bevölkerung, die Multimorbidität, die Zunahme von demenziellen Erkrankungen usw. erfordern eine geänderte pflegerische Anforderung. Eine Sauerstoffversorgung oder enterale Versorgung über Port-Systeme u.v.m. werden zukünftig in Pflegeheimen gehandelt. Dagegen werden die Pflegekräfte in den Kliniken mehr ältere Patienten versorgen. Gerontologie, aber auch Gerontopsychologie, Prophylaxen bei Bettlägrigkeit u.a. werden mehr Wichtigkeit erfahren.

    • Einsuper Vorschlag des Herr Glawe von der CDU-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern.Dieser ist der Meinung, dass man Pflege nicht lernen braucht sondern nach einer 10jährigen Anlernzeit automatisch eine Pflegefachkraft ist, sich die Ausbildung somit erparen kann. Herr Glawe ist gelernter Krankenpfleger, war Stationsleiter und hat Pflege studiert. Mit dieser seiner Aussage hat er nicht nur sich selbst sondern Pflege als Ausbildungsberuf in Frage gestellt.

  4. Die immerwährende „Pflegediskussion“ geht weiter. Wobei sie sich eher ein Monolog diverser Verbände herausstellt. Wer sich mit dem von Ihnen zitierten Artikel des BMFSFJ beschäftigt, wird Anhänge aus den Jahren 2012 und 2013 finden. Diese sollen wohl als weiterführende Materialen dienen. Obwohl das genannte Script 2015 verfasst wurde. Natürlich mit dem Verweis auf das BMG. Bei der letzten genannte Institution werden nach wie vor diverse „Eiertänze“ vollführt, ohne Ergebnisse präsentieren zu können. Letztlich höre ich den Herrn Gabriel in einem netten Kommentar. Im Rahmen der Migrationspolitik erwähnte er beiläufig: Die Pflege möge aufgewertet werden. Doch wen interessiert es? So sind hier in OWL kaum Kommentare zu relevanten Themen zu finden. Den Pflegenden scheint es gut zugehen. Vermutlich weil es die Arbeitgeber so wünschen. Wie anders ist es zu erklären, dass ich in der heimischen Presse „Parkplatzprobleme an Gesundheitsfabriken“ kommentiert sehe. Selbstverständlich anonym verfasst. Natürlich liegt pflegerisch immer mehr im Argen. Die Hinhaltepolitik wird von den Kommunen bis hin nach Berlin weiter gehen. Warum? Eine Veränderung herbeiführen zu wollen ist schlicht zu teuer. Nachzuvollziehen z.B. bei der Bundesanstalt für Arbeit, in den entsprechenden Statistiken.
    Politisch wird Pflegepersonal weiterhin auseinander dividiert. Besser mehrere Einheiten, als eine geschlossenen Front.

  5. Also kurz gesagt: die Einstellung zur Pflege muss sich ändern. Die Einstellung zum Alter muss sich ändern. Und die Einstellung zur Hilfebedürftigkeit aus Schwäche, wegen Krankheit – die muss sich ändern. Deswegen plädiere ich – nach meinen fürchterlichen Erfahrungen an der Seite meiner dementen Mutter – jetzt für eine RADIKALE Pflegereform. Früher wurden solche politischen Großprojekte mit dem angemessenen Ehrgeiz betrieben, es wurde nach LÖSUNGEN und nach IDEEN gesucht – heute wird nur am alten Flickenteppich herumgestichelt. Und warum ist das möglich?
    Das ist deswegen möglich, weil die Mehrheit der Menschen Angst vor Tod und Siechtum hat, so dass wir nicht den edlen Hospizgedanken verfolgen, wonach wir den letzten Tagen der Leben so viel Leben wie nur möglich verleihen müssen. Die Leute stecken den Kopf in den Sand – ich habe das auch gemacht, ehe meine Mutter mich faktisch gezwungen hat, die Augen und das Herz zu öffnen.
    Im Mittelalter fing man an, für die Alten ohne Familie und die Siechen Armenhäuser zu errichten, von den Gemeinden finanziert und großherzigen Spendern. Heute bezahlen Bürger und Bürgerinnen in Versicherungen ein, mit denen eventuelles späteres Elend erträglich gemacht werden kann. Unsere Alten in den Pflegeheimen sind also keine Armenhäusler, sondern lebenserfolgreiche Menschen, mit denen umgegangen wird, wie mit alten Pferden, die Gnadenbrot kriegen, weil man sich nicht traut, sie zu töten. so ist es. Und diese Einstellung muss geändert werden. Das emotionale Hilfepotenzial ist ja zur Zeit im Kontext der Flüchtingsströme sehr in Mode … lassen Sie es uns nutzen! den albernen Regierungsplänen aus herumsticheln und – Stopfen muss man radikal Nein entgegenstellen. Das deutsche Pflegesystem ist insgesamt ein grauenhafter Anachronismus, der Leid für alle Beteiligten hervorbringt.

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