Kein „Taschengeldzuschlag“ für sozialhilfebedürftige Heimbewohner

Foto: K-FvS

Ab dem 1. Januar 2022 erhalten Heimbewohner einen „Leistungszuschlag bei vollstationärer Pflege“.  Sozialverbände hatten eine entsprechende Gesetzesregelung erwirkt, mit dem Ziel, die Pflegekosten zu verringern und so die Verarmung der Bewohner zu verhindern. Grundsätzlich steht allen Heimbewohnern dieser Zuschlag zu. Tatsächlich profitieren jedoch nur diejenigen, die genügend eigenes Vermögen besitzen, um den Heimplatz zahlen zu können.  Bezieher von Sozialleistungen und Hilfe zur Pflege gehen leer aus.  Wer Vermögen hat, das er verlieren könnte, erhält den Zuschlag. Wer kein Vermögen hat, dem bleibt nach wie vor ein als Taschengeld gedachter monatlicher Barbetrag von 121 Euro. Das betrifft rund zwei Drittel aller Heimbewohner.

So stellte Herr Kusch bei einigen seiner Betreuten in der Januarabrechnung verwundert fest, dass der groß angekündigte Zuschlag automatisch an die Sozialkasse weitergeleitet wurde. Das wurde im Vorfeld so nicht kommuniziert und dürfte auch vielen nicht bekannt sein.  Es war nie die Rede davon, die Sozialkassen mit diesem Zuschlag zu entlasten. Insofern könnte es sich hier um einen Fall von Verbrauchertäuschung handeln. Nur ein Drittel der Heimbewohner profitieren direkt von diesem Zuschlag.

Die Höhe des Zuschlags entspricht eher einer Aufbesserung des sogenannten Taschengeldes.  Damit kann wahrlich niemand große Sprünge machen. Für die Betreuten des Herrn Kusch jedoch wäre bereits das Luxus pur.  Da  es sich um jüngere Menschen (50 – 70 Jahre) handelt, die den ein oder anderen Wunsch haben, den sie sich bisher verkneifen müssen, weil 121 Euro hinten und vorne nicht reichen, kann diese Regelung nicht einfach so hingenommen werden.  Bewohner, die Eigentum besitzen, können sich hingegen auch ohne den Zuschlag vieles leisten, was über den Barbetrag von 121 Euro hinausgeht. Der diesen gewährte Zuschlag  kommt eher den Erben zu Gute. 

Vermutlich haben die Sozialverbände und Organisationen, die sich für die Heimbewohner und Sozialschwachen stark machen, bisher nicht einmal mitbekommen, dass die Zuschläge nach zweierlei Maß verteilt werden. So fordern wir die für diese Täuschung und Ungleichbehandlung Verantwortlichen auf, den Sachverhalt zu klären und dafür zu sorgen, dass den „armen“ Heimbewohnern ein monatlicher Barbetrag zur Verfügung gestellt wird, der sich wenigstens am Regelsatz ALG II orientiert.

Wozu braucht ein Heimbewohner „Taschengeld“?
Wer im Heim lebt, hat doch alles. Heime bieten schließlich einen all-inclusive- Service, so der erste Eindruck und die Werbung. In diesem all-inclusive-Paket sind folgende Bedarfe des täglichen Lebens jedoch nicht enthalten:
1. Pflegeprodukte:
Alles, was ein Mensch benötigt, um seine Zähne, Haut, Haare und Nägel zu pflegen, muss vom Barbetrag gezahlt werden. Alleine für Frisör und Fußpflege sind monatlich wenigstens 40 Euro aufzuwenden.
2. Medizinische Produkte, Fahrten zu Arztbesuchen und Zuzahlungen zu Medikamenten:
Benötigt der Bewohner eine neue Brille, ein Hörgerät, Zahnersatz o.Ä., bedarf es jeweils aufwändiger Anträge, um eine Zuzahlungsbefreiung/-reduzierung erreichen zu können.
3. Kommunikationsartikel und Schreibwaren:
Heimbewohner, die ein Telefon in ihrem Zimmer wünschen, zahlen die Kosten dafür selbst. Handy beziehungsweise Smartphone und Internet ebenfalls. Zeitung, Zeitschriften, Bücher oder Schreibwarenartikel müssen privat, also aus der persönlichen Barkasse, bezahlt werden.
4. Kleidung:
Sozialhilfeempfänger erhalten zusätzlich zum Barbetrag 23 Euro für Bekleidung. Das reicht allenfalls für ein T-Shirt und zwei Unterhosen. Wer keinen Angehörigen hat, der verlorengegangene oder verschlissene Kleidung ersetzt, ist darauf angewiesen, Kleidungsstücke zu tragen, die von verstorbenen Heimbewohnern zurückgelassenen wurden.
5. Unternehmungen außerhalb des Heimes:
Den Besuch im Museen, im Zoo, einer Veranstaltung, eines Cafes, Restraurants etc. können sich nur Heimbewohner leisten, denen mehr als die 121 Euro Taschengeld zur Verfügung steht.

Selbst bei schwerstpflegebedürftigen Heimbewohnern, die keine eigenen Wünsche mehr äußern und sich aus eigener Kraft nicht mehr fortbewegen können, reicht der monatliche Barbetrag oft nicht.

Es geht hier um Wertschätzung und Menschenwürde. Wie viel dürfen unsere pflegebedürftigen Mitmenschen kosten? Welche Lebensqualität gesteht unsere Gesellschaft ihren hilfebedürftigen Mitbürger*innen zu? Mit der beschriebenen „Taschengeldregelung“ stellt sich der Staat selbst ein Armutszeugnis aus.


Verbraucherzentrale: Die neue Pflegereform und was Sie dazu wissen sollten.
Information der AOK Niedersachsen über den neuen Zuschlag:

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Am 17.08.2022 hatte sich Martin Kusch in dieser Angelegenheit an die Pflegebeauftragte der Bundesregierung gewandt und um Stellungnahme gebeten. Schon am nächsten Tag erhielt er die freundliche, jedoch in der Sache wenig hilfreiche Antwort einer Mitarbeiterin. Lesen Sie nachfolgend die spontane Entgegnung von Herrn Kusch (Mailantwort vom 18.08), der sich seinen nicht vermögenden Betreuten gegenüber in der Pflicht sieht, für alles und jedes Anträge zu stellen. Denn die vorgesehen Mittel und Töpfe reichen hinten und vorne nicht, um die gestiegenen Preise auszugleichen.

Sehr geehrte Frau Reck,

vielen Dank für die prompte Rückmeldung.

Die Inhalte der Pflegeversicherung sind mir bekannt, auch die Regelungen im Zusammenhang mit den Eigenanteilen.

Meine Kritik betrifft die desolate Informationspolitik, denn der Öffentlichkeit wurde eben nicht mitgeteilt, das bereits von Armut betroffene Bewohner in Pflegeeinrichtungen keinerlei Verbesserungen erhalten. Wir haben auch in den Pflegeheimen eine Spaltung der Gesellschaft. Durch solch eine ungerechte Regelung wird diese leider nur verstärkt.

Das Bewusstsein vorherrschender Armut in den Pflegeeinrichtungen reicht auch nicht aus. Was nützen Appelle, die auf taube Ohren stoßen? Das Verwahrgeld oder auch sog. Taschengeld ist eine Demütigung für die Betroffenen. Die Forderung nach einer Erhöhung ist aber leider nur unausgewogen formuliert, hier wäre eine Forderung z.B. auf Anpassung der geltenden ALG II Sätze angemessen.

Als jemand, der nahezu täglich mit den Gegebenheiten in deutschen Pflegeeinrichtungen konfrontiert wird, möchte ich die Gelegenheit ergreifen und im Namen der von mir betreuten Menschen in Pflegeheimen darum bitten: „Vergesst uns hier nicht ganz, wir haben unseren Teil für die Gesellschaft geleistet, wir haben als alleinerziehende Mütter die Trümmer des Krieges weggeräumt, als Maurer, Fliesenleger und Zimmerleute ein zerstörtes Land wieder mit aufgebaut. Wir wurden in den letzten 2 Jahren isoliert,oftmals unter massiven Druck zum Impfen gegen Covid genötigt,  mussten mit ansehen, wie lieb gewordene Mitbewohner an Einsamkeit verstarben. Jetzt sind wir alt, gebrechlich, benötigen Hilfe. Wir wollen kein Mitleid von Politik und Gesellschaft, wir wollen weiterhin zur Gesellschaft gehören, wir möchten Inklusion und keine Exklusion. Uns zu schützen bedeutet nicht nur Ärmel hoch und Impfen, Besuch nur nach Anmeldung und unter Testzwang. Wer uns schützen will, sollte unsere Menschenwürde beachten, denn Menschenwürde geht niemals durch Krankheit verloren, sie geht immer durch Menschenhand verloren“.

Eine Frage, die ich mir während der herrschenden Hitzeperiode immer wieder stelle, lautet: „Wo bleiben die Klimaanlagen in allen Pflegeheimen? Warum wird hier kein Gesetz verabschiedet, das Betreibern von Pflegeheimen vorschreibt, Klimaanlagen einzubauen? Wenn Pflegeimmobilien schon als Kapitalanlagen beworben werden, dann aber doch bitte auch mit Klimaanlage.

Ich hoffe das zuständige Ministerium, allen voran der Gesundheitsminister, erkennt die dramatische Situation der Pflegebetroffen und beginnt nun mit lösungsorientiertem Handeln.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Kusch

5 Kommentare

  1. MANN MUS AN DIE REGIRUNG SCHREIBEN DAS ZU WENIG TASCHENGELD GIEBT, DA VON
    FRISÖR BEZAHLEN UND DIE PRIVATREZEPTE SO WIE PFLEGEMITTEL. DAS SOZIALAMT
    MÜSTE FÜR PRIVATREZEPTE GELD GEBEN. DIE REGIRUNG HAT SICH EIN ARMUTZEUGNIS SELBS AUSGESCHRIEBEN.

  2. Ja…ich stimme auch zu. Es richtet sich ja nach dem Regelsatz. Ab 01.01.2023 ist der Regelsatz 502 Euro. Davon 27 Prozent, das ist dann das Taschengeld. Eine Schande, denn geraden die alten Mitmenschen haben ja früher alles mit aufgebaut. Aber es gibt ja Gottseidank noch Kinder, die können etwas beisteuern. Nur Schlimm, den eine Mutter, die im Heim ist, würde gerne den Kindern zu Weihnachten eine kleine Freude machen. Da fehlt leider dazu das Geld. Ein Weihnachtsbonus von 100 Euro wäre doch vom Staat schön gewesen. 100 Milliarden für Kriegsmittel, die sind da….Eigentlich eine Schande. Trotzallem, allen eine schöne Weihnacht und ein gesundes Neues Jahr

  3. Wie traurig, dass diese Menschen von der Politik nicht mal erwähnt werden. Ja, nicht nur alte Menschen. Junge Menschen, die in Heimen, aufgrund einer Behinderung, leben müssen, bekommen auch nur das Taschengeld von 121 Euro. Junge Mädchen, Jungs, die ein Handy haben möchten, mit Freunden Freizeit gestalten. Die haben gleiche Bedürfnisse wie jeder gesunder Jugendlicher. Warum wird das Kindergeld als Einkommen angerechnet?.. was machen unsere Behindertenbeauftragte in dieser Hinsicht?.

  4. Das „Entlastungsgeld“ für das Pflegenettoentgeld von 5 bis 75% ist eine vorweggenomme Stütze der Einrichtungen vor den Tarifverpflichtungen vor dem 1.9.2022. Wer spricht von den hohen „Hotelkosten“

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