Corona-Prämie: Pflegende brauchen keine Almosen

Wegen der besonderen Belastung und Bedeutung der Pflege  in der Corona-Krise, will die Bundesregierung den Beschäftigten in der stationären Altenpflege und ambulanten Pflege eine Prämie von bis zu 1000 Euro zahlen.  Bayern legt noch einen Bonus von 500 Euro oben drauf.

Kaum war diese Nachricht draußen,  hagelte es Kritik  auf allen (Internet) Kanälen: „So sieht also die  Wertschätzung der Pflege  in Euro ausgedrückt  aus.“, schreiben die Einen. Als „Maulkorb“ oder „Almosen“ bezeichnen andere diese „gönnerhafte Geste“.

Beispielhaft sei hier die Haltung von Norbert Höfer, Pflegefachkraft aus Bonn, wiedergegeben:

Ich arbeite seit 28 Jahren ununterbrochen in der Altenpflege, davon war ich sechs Jahre in stationären Einrichtungen tätig. Seit 20 Jahren arbeite ich für eine evangelische Kirchengemeinde in der häuslichen Alten- und Krankenpflege. Wir pflegen unsere Patienten konfessions- und religionsunabhängig.

Den Kolleginnen und Kollegen, die in der gegenwärtigen Epidemie zusätzliche Mehrarbeit haben, gönne ich eine Corona-Prämie von Herzen. Wer  über das normale Maß hinaus einspringt, erkrankte oder in Quarantäne befindliche KollegInnen vertritt und Evakuierungen stemmt, dem soll das honoriert werden. Aber eine pauschale Prämie für alle Pflegenden will ich nicht!

Ich fürchte, durch die Zahlung einer pauschalen Corona-Prämie an alle Pflegenden drücken sich Politiker um die Aufgabe, Gerechtigkeit zu schaffen zwischen den Menschen, die Autos, Häuser oder Software produzieren und den Menschen, die durch ihre fachlichen Leistungen und durch ihre Aufmerksamkeit das Wohlbefinden ihrer Mitbürger und deren Würde sichern.
Betriebswirte beherrschen das Gesundheitswesen. Sie rechnen uns vor, dass die Zeit, die wir in der ambulanten Pflege in nicht direkt zweckbezogene pflegerische Maßnahmen investieren, zu teuer sei.  Hier liegt ein grundlegender Verständnismangel im Gesundheitssystem vor.
Wenn Pflegende respektlos mit kranken und alten Patienten umgehen, was bekanntermaßen teilweise strukturell erzwungen ist, bleibt Menschenwürde schlicht Druckerschwärze auf dem Papier. Aus unserer ureigenen beruflichen Motivation und seitens der Gesellschaft beziehen wir den Auftrag, durch Körperpflege und betreuende Maßnahmen, Gesundheit zu fördern und Hilfebedürftigen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.   Aber es braucht ein wenig Zeit, einem von Mutlosigkeit bedrohten Menschen Achtung zu zeigen, indem man ihm zuhört oder in seinem Badezimmer ein wenig Ordnung schafft oder ihm nur ein Glas spült, oder einem gehbehinderten Patienten, indem man ihm den Müll zur Tonne trägt. Diese „überflüssigen“ Tätigkeiten –  die nur Beispiele sein sollen – gehören nicht zu den Aufgaben, für die Pflegende bezahlt werden. Jedoch sind es oft solche Handreichungen die – eben weil sie nicht standardisiert sind – Aufmerksamkeit signalisieren und dadurch zur Lebensqualität beitragen oder Lebensmut stärken. Das wird bei der ökonomisierten Betrachtung des Gesundheitssystems unterschlagen.
Nach einer längeren Diskussion um den Personalnotstand in der Altenpflege schmückten sich Gesundheitspolitiker mit der Schaffung von 8.000 neuen Stellen in Pflegeheimen. Der Deutschen Bahn wurden kurz darauf im Schnellverfahren 22.000 neue Stellen zugesagt.

Genausowenig wie die kommunikativen Notwendigkeiten in der Pflege gewürdigt werden, berücksichtigt man, dass wir Schwestern und Pfleger nicht nur eklige körperpflegerische Tätigkeiten verrichten und Personen in schwierigen Lebenskrisen unterstützen, sondern dass wir auch durch zerrüttete familiäre Kommunikationsstrukturen mit belastet werden.
Hinzu kommt die Bereitschaft, immer wieder ungeplant für erkrankte Kollegen einzuspringen, was jedesmal die Ummodelung eigener Zeitpläne erfordert. Bezahlt wird einfach die geleistete Arbeitszeit, kein Cent mehr. Was die ständige Verfügbarkeit und die Vorläufigkeit von Freizeitplanung für die Familien der Pflegenden bedeutet, fragt in der Öffentlichkeit keiner. Seit Jahren werden uns in NRW in der Pflege Nachtzuschläge erst ab 21 Uhr gegönnt. Wenn Sie bei einem Autodefekt Pannenhilfe beanspruchen, berechnet Ihnen der Service unter Umständen Nachtzuschläge schon ab 15 Uhr.

Wir Pflegenden brauchen keine Almosen und keine wohlfeile Bewunderung als Helden.   Wir  brauchen Zeit,  um den hilfebedürftigen Menschen (Patienten/Bewohnern/Klienten) die nötige Hilfe geben zu können, ohne dadurch selbst krank zu werden.  Wir  brauchen eine dauerhafte ideelle und finanzielle Anerkennung. 

Jedes Jahr am 12. Mai  werden die Pflegenden mit wertschätzenden Lippenbekenntnissen bedacht.  Im Corona-Jahr der Pflege kommt eine Anerkennung hinzu: Die Feststellung, dass Mitarbeiter der Pflege systemrelevant sind.   Angesichts der wachsenden Zahl alter Menschen, die am Ende ihres Lebens auf Hilfe und Pflege angewiesen sind, wird speziell die Altenpflege immer systemrelevanter werden.  Demgegenüber steht jedoch das neue Pflegeberufegesetz, dass die Altenpflege praktisch abgeschafft hat.

Nun ja, die Aussichten für alte Menschen sind ja auch alles andere als rosig.  Wer will schon alt werden in einem Land und einer Zeit, in der die Alten und Schwachen damit rechnen müssen,  als Risikogruppe in staatliche Sicherungsverwahrung genommen zu werden.

1 Kommentar

  1. Die Verlogenheit der Politik ist schon bemerkenswert. Da wird im Bundestag medienwirksam stehend Beifall geklatscht. Wohlwissend das sie diejenigen sind, die das Pflegesystem an die Wand gefahren haben. Eine Prämie, verteilt nach dem „Gießkannenprinzip“ lehne auch ich ab. Pflegepersonal ist schlecht organisiert, Betriebsräte oftmals nur auf dem Papier. Da ist Luft nach oben. Falsche Solidarität gegenüber den Arbeitgebern, die oftmals modernen Sklavenhandel betreiben, ist nicht angebracht. Die Arbeitgeber wissen aber genau, ihr Personal würde die Pflegebedürftigen niemals hängenlassen, von Ausnahmen mal abgesehen. Wenn eine Branche jetzt urplötzlich systemrelevant ist, dann sollte sie dieses auch mit Nachdruck zeigen und nicht nur hinter verschlossenen Türen über die miserable Situation sprechen.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*