Vom Problemheim zum Vorzeigeheim

Christiane Gamer (links) und Dr. Fee Friese. Foto H.Spies

Als Christine Gamer vor sechs Jahren die Heim- und Pflegedienstleitung im Stephanus-Stift „Am Stadtgarten“ übernahm, sei die Heimaufsicht dort ein- und ausgegangen, sagt sie. Es gab Beschwerden und Mängel an allen Ecken und Enden. Das erste Jahr sei schwierig gewesen. Sie habe oft selbst mit in der Pflege einspringen müssen. Doch das erwies sich auch als Vorteil. Mit ihrer Erfahrung als Altenpflegerin und Wohnbereichsleiterin konnte Frau Gamer auf diese Weise rasch erkennen, wo sie ansetzen musste. Außerdem lernte sie die Haltung jedes einzelnen ihrer Mitarbeiter im Umgang mit Bewohnern und in den Teams kennen. Es gelang ihr eine Vertrauensbasis herzustellen und den Gemeinschaftsgeist zu stärken. Von Mitarbeitern mit problematischer Haltung trennte sie sich. Bei der Auswahl von Personal achtet sie bis heute sehr auf die menschliche Gesinnung. So schaffte sie es binnen weniger Jahre aus einem Problemheim eine Vorzeigeinrichtung zu machen.

Im Februar 2018 erfuhr Frau von Stösser von diesem Heim. Die Mutter von Frau Dr. Friese hatte dort ihre letzten drei Lebensjahre verbracht. Es war Frau Friese ein Bedürfnis  zu berichten, wie einfühlsam und würdevoll sie das Personal erlebt hatte, in der Sterbephase und bei der Verabschiedung ihre Mutter. Ganz im Unterschied zu den Erfahrungen, die sie von anderen kennt und auf die die Pflegeethik Initiative Deutschland hinweist. Sie könne eigentlich nur Positives berichten. Von der Reinigungskraft bis zur Heimleitung – alle seien im Umgang mit Bewohnern vorbildlich. Als Angehörige habe  man sich dazugehörig gefühlt. Ihre Mutter habe sich dort rasch eingelebt und zu Hause gefühlt. Die zentrale Lage der Einrichtung ermöglichte es, der über 90jährigen Bürgerin der schönen Stadt Ettlingen, die vertrauten Plätze und Läden im Zentrum zu erreichen. Außerdem sieht das Heim nicht wie ein Heim aus. Eingebettet in eine größere Wohnanlage, in der auch Familien mit Kindern wohnen, ein CAP- Markt und verschiedene Praxen untergebracht sind, können sich die Bewohner  in einem geschützten und ansprechend gestalteten Innenhof aufhalten, in dem es neben Bänken und Bäumen auch Sandkasten und Spielgeräte für die Kinder gibt.

Die Pflegeeinrichtung verfügt über 80 geräumige Einzelappartements und 2 Doppelapartements, verteilt auf zwei Wohnbereiche, sowie über großzügige Gemeinschaftsräume, eine eigene Küche, in der täglich frisch gekocht wird, mit Zutaten und nach Rezepten aus der Region oder von den Bewohnern. Wer will und kann, darf sich beteiligen. Auf die Beteiligung und ein ansprechendes Beschäftigungsangebot achten die  7 Mitarbeiter  des Betreuungsteams. Außerdem sorgen 21 ehrenamtliche Helfer*innen für Abwechslung und individuelle Betreuungsangebote, so dass sich kein Bewohner alleine gelassen fühlen muss.

Frau Dr. Fee Friese und ihr Mann Wolf Kurzenhäuser waren so angetan von der Einrichtung, dass sie dieser eine Auszeichnung verliehen haben. Das Ehepaar lebt in München und setzt sich mit der Stiftung  ganzheitlich gesund!, für ein ebensolches Verständnis in Medizin und Pflege ein. Im Rahmen einer Veranstaltung, zu der als Hauptreferent Dr.med. Ellis Huber eingeladen war, wurde der Heimleiterin eine eigens kreierte Urkunde überreicht und ein Preisgeld von 2.000 Euro zugesprochen.

Die Veranstaltung, zu der auch Adelheid von Stösser und Harald Spies von der Pflegeethik-Initiative Deutschland e.V. eingeladen waren, fand am 4. Juni 2018 in der Einrichtung in Ettlingen statt.

Die Haltung macht den Unterschied

Dr. Fee Friese lobte in ihrer Laudatio die gelebte Ganzheitlichkeit in der Einrichtung: „Weil alle, die hier aktiv sind für die Bewohner und Bewohnerinnen immer den ganzen Menschen sehen, nicht nur Defizite sondern, was alles in ihnen steckt. Und ganzheitlich auch in dem Sinne, dass die Ganzheit aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in diesem Hause einschließlich der Ehrenamtlichen daran beteiligt sind, es den Bewohnern und Bewohnerinnen so schön wie möglich zu machen.“ Sie betonte, dass die Auszeichnung auch deshalb verliehen wird, weil die vorbildliche Pflege im Haus am Stadtgarten in unserer heutigen Zeit leider nichts Selbstverständliches ist. Und sie soll Ansporn sein, weiter so zu handeln und sei auch als Aufforderung gedacht: „An Andere, ihren Teil dazu beizutragen, die Konstellationen und Bedingungen so zu verändern, dass menschliche Pflege, menschliche Rahmenbedingungen und ein menschlicher Raum fürs Altwerden geschaffen werden.“

C.Gamer und W.Kurzenhäuser. Foto H.Spies

Christine Gamer nahm die Auszeichnung für ihre Einrichtung und ihre Mitarbeitenden mit Freude, aber auch mit einer leichten Verlegenheit entgegen, denn: „Eigentlich finde ich es eine Selbstverständlichkeit, dass man so miteinander umgeht, wie man selber wünscht, dass andere mit einem umgehen.“ In der Art wie sie auf das Lob eingeht (hier im Foto mit dem Moderator Wolf Kurzenhäuser) unterstreicht die Heimleiterin eben genau diese ihre besondere Haltung.

Adelheid von Stösser, die Vorsitzende der Pflegeethik-Initiative Deutschland, nannte

A.v.Stösser. Foto H.Spies

die Veranstaltung „einen schönen Moment für die Pflege“. Sie sieht die Menschen hinter diesem vorbildlichen Ergebnis als Hoffnungsträger, ohne die es noch düsterer aussehen würde in der Pflegelandschaft. Denn dem selbstverständlichen Anrecht auf menschliche Pflege wird, so ihre Erfahrung, leider nur in ganz wenigen der über 13.000 deutschen Pflegeheime entsprochen. „Wir als Pflege-Initiative Deutschland wollen mithelfen zu zeigen, dass es auch anders geht,“ sagte von Stösser. „Unser Ansatz ist es, Wertschätzung und Würde von Menschen zu bewahren, die im letzten Abschnitt ihres Lebens besonders fragil und schutzbedürftig sind.“ Im Unterschied zu den meisten anderen halte das Haus seine Versprechen, lobte von Stösser. „Es kommt auf die Leitung der Einrichtung an. Die Haltung einer Leitung überträgt sich auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“

Eine Pflegevision für morgen

Unter diesem Titel stand das Referat von Dr. med. Ellis Huber, vielen bekannt durch sein Buch „Liebe statt Valium“. Er fordert, die Trennung zwischen Medizin und Pflege perspektivisch in eine neue kooperative Struktur zwischen Arzt und Krankenpflegekraft zu überführen: „Ich finde als Arzt keine Grenze zwischen Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Im Gegenteil! Gesundheit und Krankheit, Hilfsbedarf und Unterstützungsbedarf des Einzelnen hängen eng miteinander zusammen.“

Dass das gegenwärtige Gesundheitssystem fehlgesteuert ist, führt Huber unter anderem auf die Trennung zwischen Versorgungsverantwortung und Finanzierungsverantwortung zurück. Das gegenwärtige System definiert als Leistung nicht die Kompetenz, Kreativität und Heilkunst der Ärzte und Pflegefachkräfte, sondern einzelne Verrichtungen wie das Setzen einer Spritze, das Wechseln eines Verbandes oder eine Operation. Dadurch gerät die eigentliche Aufgabe des Gesundheitswesens, nämlich die Gesundheit der Patienten, aus dem Blick. Stattdessen wird der Anreiz gesetzt, möglichst viele Verrichtungen abzurechnen. Huber nennt das „Ressourcenvergeudungsmaßnahmen“ und „Krebszellenökonomie“.

Dr.med. Ellis Huber. Foto H. Spies

Jedoch besteht Grund für Optimismus. Denn es gibt die Möglichkeit der Integrierten Versorgung nach dem Paragraphen 140a des fünften Sozialgesetzbuches. Damit können Krankenkassen, Kommunen und Leistungsanbieter einen eigenen Weg der Gesundheitsversorgung gehen und sinnvollere Strukturen schaffen. Als Beispiel nannte Huber das Modell „Gesundes Kinzigtal“. Dort sind die Gesundheitskosten fünf bis zehn Prozent geringer als im Bundesdurchschnitt. Der Gesundheitsgewinn zeigt sich in einer gestiegenen Lebenserwartung von 1,5 Jahren.In Holland und den skandinavischen Ländern gibt es bereits heute deutlich effektivere Gesundheitssysteme als unser bundesrepublikanisches. Sie alle basieren auf den Prinzipien kommunaler und fachspezifischer Verantwortung für Finanzierung und Ausführung, führte Huber aus.

Zum Ende seines inspirierenden Vortrags rief er die Zuhörer*innen dazu auf gemeinsam dafür zu sorgen, „dass wir gesundheitsdienliche Lebensräume haben, pflegen, ausbauen und daran festhalten“. Ein richtungsweisender Vortrag, den Interessierte auf Video in voller Länge hören und sehen können.

Etwa 100 Gäste waren anwesend. Neben Bewohnern, Mitarbeitern und Ehrenamtlichen der Einrichtung waren auch offizielle Vertreter der Kommune und von Verbänden gekommen. Wolf Kurzenhäuser, der Stiftungsvorsitzende, führte durch das abwechslungreiche und musikalisch schön begleitete Programm und freute sich mit allen Anwesenden über diese feierliche Würdigung einer Haltung, die in der Altenpflege bald überall selbstverständlich sein sollte.

Autor:   Harald Spies

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