In Krankenhäuser lauern nicht nur resistente Keime

Die Enthüllungen der RTL  Reportage, Team Wallraff: Profit statt Gesundheit: Wenn Krankenhäuser für Patienten gefährlich werden,   erinnert mich an die siebziger Jahre.  Konkret an meine erste Stelle als junge Krankenschwester nach dem Examen (1973-1976) auf der „Innere Frauen“ eines Krankenhauses mit regulär 28 Betten (belegt meist 30-32 Betten).   Die personelle Situation und vor allem die Hygiene in den Krankenhäusern war damals noch schlechter als in der Reportage gezeigt.  Auf dieser internistischen Station mit 30 Betten, einschließlich 3  Intensivbetten  für frische Herzinfarkte etc. waren wir im Spätdienst und an den Wochenenden regelmäßig nur mit  1-2 examinierten Krankenschwestern plus 1-2 Helferinnen (3 Pflegekräfte), plus eine Küchen-/Putzhilfe  im Dienst.  Bei den Küchen-/Putzhilfen handelte es sich allesamt um Türkinnen, deren Männer im größten Werk der Stadt arbeiteten.  Sie sprachen kaum Deutsch, hatten nie einen Kurs in Hygiene besucht und liefen Vormittags mit einem Eimerchen Wasser, dem Desinfektionsmittel zugefügt war und einem Lappen durch sämtliche Zimmer, um Nachtschränkchen und Betten abzuwischen.  Auch das Putzen der Zimmer, sowie das Auswaschen  und Neubeziehen der Betten von entlassenen oder verstorbenen Patienten, war deren Aufgabe. Ebenso wie das Schmieren von Broten für Patienten die das nicht selbst konnten, Tee kochen, Austeilen und Einsammeln von Essenstabletts.  Hygienespender an den Wänden gab es nur in der Notaufnahme und im Operationstrakt.  Ich hatte damals eine kleine Desinfektionsflasche in der Kitteltasche. Einmalhandschuhe durften nur bei der Intimpflege getragen werden, außerdem  bei Patienten von denen man wusste, dass sie eine Hepatitis, Geschlechtskrankheit beziehungsweise etwas infektiöses hatten.

Später, 1977, lernte ich in einem modernen Krankenhaus auf der sog. „Schulstation“, ein anderes Extrem kennen. Hygiene ging dort über alles. Schon nach wenigen Tagen waren meine Hände vom vielen desinfizieren so angegriffen, dass ich fast nur noch mit Handschuhen arbeiten konnte, was den Hautzustand auf andere Weise verschlechterte.  Auf dieser Station hatten wir doppelt soviel Personal, wenn auch überwiegend jugendliche KrankenpflegeschülerInnen. Alle SchülerInnen der Krankenpflege im  „Krankenhaus Maria-Hilf“ mussten damals für  mindestens 4 Wochen diese spezielle Ausbildungsstätte  durchlaufen, damit sie korrektes Arbeiten nach Lehrbuch und den neuesten Erkenntnissen der Hygiene erleben konnten.  Denn exakt nach Schule (Vorschrift) wurde/wird weder damals noch heute in der Praxis gearbeitet.

In den achtziger Jahren, als Lehrerin für Pflegeberufe, begegnete ich erneut der Diskrepanz zwischen dem wie es gelehrt und praktiziert wird.  Nachdem ich bei einer Hospitation in der Schweiz erfahren hatte, wie selbstverständlich dort in allen Bereichen schriftliche Anweisungen, in Form von  Standardkarteikarten, beachtet wurden, stand für mich fest, dass wir so etwas in Deutschland auch brauchen.  Gesagt, getan! Die in den neunziger Jahren unter dem Namen Stösser-Standard bekannt gewordenen Vorlagen  haben bis heute nichts an Aktualität verloren.  Im Gegenteil, vor allem die Standardpflegepläne zum Umgang mit bestimmen Diagnosen und Problemen, sind Wunschvorstellungen deren praktische Umsetzung  ich vermutlich nicht mehr erleben werde.

Aufgewühlt von der RTL Reportage Team Wallraff, mit Enthüllungen der gefährlichen Sparpolitik in deutschen Krankenhäusern, schrieb eine Angehörige an Claus Fussek.  Sie konnte die Sendung gar nicht zu Ende schauen, zu frisch waren Ihre Erinnerungen an den Horror, den sie bzw. ihre Mutter in einem Berliner Krankenhaus erleben musste:

…….  Am 02.07.15 kam meine Mutter nach einem Sturz ins Krankenhaus, Diagnose: 3-fache Rippenfraktur. Für eine 91-jährige Dame sicher nicht leicht, aber als sie nachmittags verließ, war sie adäquat ansprechbar und machte noch Witzchen. Leider wurde sie am nächsten Tag mit MRSA in ein Einzelzimmer verlegt und verschwand dort offenbar auch aus dem Gedächtnis des Personals.
Bericht lesen: Berliner-Krankenhaus_EB_Jan.2015

Wie in der Reportage taucht auch im Bericht dieser Angehörigen  MRSA auf.  Die Zahl der  Patienten die diesen resistenten Keim, Staphylococcus aurus,  in sich tragen oder sich während eines stationären Aufenthaltes infizieren, bezeugt an sich bereits den unzureichenden Hygienestandard in deutschen Krankenhäusern.  Schaut man sich jedoch die jüngsten Enthüllungen in der Sendung an, wird deutlich, dass es nicht nur an der konsequenten Händedesinfektion mangelt.  Vielmehr werden die überwiegend alten und schwerkranken Menschen mit MRSA  oft wie Aussätzige behandelt, isoliert und alleine gelassen.  Dies geschieht weniger aus Sorge des Personals, sich selbst den MRSA einzufangen, als vielmehr auf Grund des zeitlichen Mehrbedarf, der bei der Personalberechnung nicht berücksichtigt wird.  Vor jedem Betreten des  Zimmers muss Schutzkleidung angelegt werden,  die bei Verlassen wieder fachgerecht entsorgt werden muss.  Auch in Pflegeheimen kann beobachtet werden, dass der Kontakt des Personals zu Bewohnern mit MRSA  vermieden wird.  Alte, pflegebedürftige Menschen die sich aufgrund mangelhafter Hygiene irgendwo einen resistenten Keim  eingefangen haben, erkranken als nächstes am Hospitalismus, in dessen Folge es zur Depersonalisierung kommt.  Die Symptome werden heute allgemein der Alzheimerkrankheit zugesprochen.  Dann müssen sich Ärzte und Pflegekräfte nicht mitverantwortlich fühlen. Denn  die Ursache von Alzheimer kennt die Medizin nicht, die des Hospitalismus hingegen sehr wohl.

Einer ganz anderen Gefahr sah sich Frau B,  aus Schleswig-Holstein ausgesetzt, die kurz vor Weihnachten einen schweren Autounfall hatte.  Sie brauchte zweimal einen guten Schutzengel  der sie davor bewahrte  halsabwärz gelähmt zu sein.   Im ersten Falle hatte  sie riesiges Glück, dass der  Halswirbel bei dem Unfall nur gebrochen aber nicht verschoben war. Im zweiten Fall, dass sie während einer Röntgenprozedur in der Klinik nur einen Kreislaufkollaps erlitten hatte.  Jetzt hat sie dem Chefarzt ihre Erfahrungen in einem Brief mitgeteilt: Akutversorgung nach Unfall_EB-Jan.2016

Kurz bevor ich heute, am 18.01.2016, diesen Beitrag über die Gefahren in deutschen Krankenhäusern ins Netz stellen will, erhalte ich den Hinweis auf eine Veröffentlichung in DIE WELT. Annette Dowideit berichtet über den Prozess, der einigen Krankenpflegern aus dem Klinikum Aachen derzeit gemacht wird, die entwürdigende Selfies mit hilflosen Patienten in der Notaufnahme gemacht und verbreitet haben.

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25.Februar: DIE ZEIT  Op gelungen – Patient verwirrt. „Im Krankenhaus droht Älteren ein Trauma, das sie nie wieder loswerden.“ Anschlaulicher Beitrag von Martin Spiewak, der erklärt warum zuvor selbstständige alte Menschen nach einer gelungenen Hüftoperationen oder anderen Routieneeingriffen, mit einer Demenzdiagnose im Pflegeheim landen.  Siehe dazu auch unsere Kampagne: Klinik mit Geist.

01.März 2016: Auch das ZDF greift die Frage nach der Qualität unserer Krankenhäuser auf:  Wie gut sind unsere Krankenhäuser

14.März 2016: Die Story im Ersten  Op gelungen – Patient tot  Am nachgestellten Fall einer jungen Mutter, die drei Wochen nach Kaiserschnittentbindung an den Folgen einer  MRSA Infektion verstarb, werden die Gefahrenquellen  für das vergleichsweise  hohe Risiko in deutschen Krankenhäusern aufgezeigt.  Prädikat:  wertvoll.  Anschaulich, Eindringlich, Informativ.

März 2016: CORRECTIV: Wie Krankenhäuser ihre Qualität verschleiern.  „Jedes vierte Krankenhaus hat Mängel, jedoch kein einziges wird dafür bestraft.“

1 Kommentar

  1. Sehr geehrte Damen und Herren,
    Ihr Bericht löst bei mir ebenfalls schreckliche Erinnerungen an diverse Krankenhauserfahrungen aus, die mehr erbärmlich waren. 2011 starb mein Vater, der sich in der Asklepios-Paulinen-Klinik in Wiesbaden eine MRSA-Infektion zugezogen hatte. Die Pflegezustände dort waren der blanke Horror. Der Mitpatient meines Vaters wurde z. B. mit offenen Gichtwunden in ein bereits benutztes Bett des Vorpatienten, auf dem sich einige Blutflecken befanden, gelegt usw., usw. Ich habe meine Beobachtungen damals detailliert aufgeschrieben und an die Presse geschickt. Das Wiesbadener Tagblatt veröffentlichte daraufhin im Juli 2011 einen umfangreichen, sehr detaillierten Bericht, so dass sich sogar noch die Kriminalpolizei in Wiesbaden einschaltete. Das war ich meinem Vater einfach schuldig, obwohl es ihn nicht mehr lebendig machte. Wenn Sie Interesse an meinen Geschichten haben, lassen Sie es mich bitte wissen. Ich kämpfe schon seit Jahren wie ein Stier gegen diese Zustände.

    Mit freundlichen Grüßen

    Gaby Singer

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