Martin Bollinger – Auf die Haltung kommt es an!

Martin Bollinger kennt die Situation in den Krankenhäusern sowohl als Angehöriger, als auch in der Funktion des Wohnbereichsleiters eines Pflegeheims und Pflegedienstleiters bei einem ambulanten Pflegedienst. Ungezählte Male hat er seine an Multipler Sklerose erkrankte, schwerstpflegebedürftige Mutter bei Krankenhausaufenthalten begleitet, musste sich mit Ärzten und Pflegekräften auseinander setzen. Seine häufigsten Beobachtungen:

„Wer sich nicht als Sprachrohr seines Angehörigen versteht, der sieht in vielen Fällen „alt“ aus. Es ist traurig aber wahr, man braucht in unserem Gesundheitssystem eine gewisse „Kampfeslust“, um umfassend informiert zu werden, gemeinsam die nächsten Schritte der Behandlung zu besprechen und eine für den Angehörigen menschenwürdige Situation im Krankenhaus zu ermöglichen.  Man kann auch nicht alles auf  hohe Arbeitsbelastung von Ärzten und Pflegekräften schieben.  Ganz entscheidend ist die persönliche Haltung der Handelnden.

Dazu zwei gegensätzliche Beispiel:

Auf einer Inneren Station lag meine Mutter 14 Tage in einem Zimmer mit einer hochaltrigen Dame, die dementiell verändert war . Ich musste miterleben, wie diese Dame total vernachlässigt wurde, man könnte auch sagen, sie wurde „vergessen“. Sie lag am Fenster, dieses war geöffnet. Ich betrat das Zimmer, es war November, die alte Dame lag lediglich mit T-shirt bekleidet, aufgedeckt im Bett. Der Pfleger, der zeitgleich mit mir ins Zimmer trat brachte wortlos Medikamente und verschwand darauf hin wieder. Ich deckte die Dame zu und schloss das Fenster. Eine halbe Stunde später wurde das Abendessen gebracht. Die Schwester sagte im Rausgehen: „Ich komme gleich und helfe ihnen.“ – Tatsächlich kam eine andere Person nach etwa einer halben Stunde und nahm mit den Worten: „Hatten sie keinen Hunger?“ das Tablett wieder mit. Glück im Unglück, die Frau hatte eine Infusion mit Flüssigkeit liegen, so musste sie wenigstens nicht verdursten…

Genau bei dem eben beschrieben Aufenthalt im Krankenhaus hat sich folgendes Zugetragen: Einen Tag nach der beschriebenen Szenen besuchte ich wieder meine Mutter. Es arbeitete die gleiche Anzahl an Pflegekräften, wie einen Tag zuvor. Das Zeitargument zählt in diesem Fall nicht. Beide Nachmittage waren ruhig, es war ein Wochenende. An diesem Sonntag kümmerte sich eine Schülerin im dritten Ausbildungsjahr um die erwähnte alte Dame. Ich war positiv überrascht, über die Art und Weise der Kontaktaufnahme. Sie trat an das Bett nahm die Hand der Frau und sprach ruhig und freundlich mit ihr, die Frau strahlte über das ganze Gesicht. Das Abendessen war dann die Krönung des Tages, die Schülerin setzte sich an das Bett der Frau und reichte ihr eine klein geschnittenes Brot mit Leberwurst, dazu gab es frische Tomaten und einen warmen Kakao. Und was soll ich sagen, die Frau hat alles gegessen und getrunken. Ich habe der Schülerin meine Beobachtung der vergangenen Tage berichtet und ihr gesagt, wie wohltuend ihr Verhalten für die Dame war.

Sie bestätigte im Gespräch, dass es oft schwer sei, sich gegen Kollegen durchzusetzten und die vorhandene Zeit bei den Menschen zu verbringen.

Sie sagte: „Ich mache das hier, weil ich Menschen unterstützen und begleiten möchte, dafür bin ich auch bereit mich durchzusetzten für meine Verständnis von Pflege einzutreten“.

Solche Erlebnisse sind es, die mir immer wieder zeigen, dass es sich lohnt für eine Verbesserung der Situation in der gesamten Pflegelandschaft einzusetzen und Menschen zu ermutigen auch tätig zu werden.“

 

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