Kinder gelten uns alles, Alte nichts.

Anette Dowideit, Journalistin mit einem Fokus auf die Pflege, Autorin des Buches Endstation Altenheim, meldet sich  zurück aus dem Erziehungsurlaub in dem sie die Frage in DIE WELT stellt: Warum schließen wir unsere Alten in Heimen weg? Wenn es darum geht, die Kinder aus dem Kindergarten abzuholen, zur Frühförderung  in den Musikgarten oder zum Fußballtraining zu bringen, dann ist die Zeit da. Kinder gelten uns alles, Alte nichts.“  Damit spricht ausgerechnet  eine junge Mutter dreier Kinder eine Tatsache aus, die Alte  kaum auszusprechen wagen.  Ja, wir leben in einer verkehrten Welt,  in der man sich viel auf Bildung einbildet und die Zukunftsfähigkeit von der Investition in die Jugend ableitet.  Auch ich sehe diese Haltung als großen Irrtum an, der unsere gesellschaftliche Entwicklung um Jahrhunderte zurückwerfen kann. Erste Anzeichen sind deutlich zu sehen.  Weise Zeitgenossen weisen zum  Beispiel darauf hin, dass der  Bildungswahn auf der einen Seite den Nährboden für die Demenz am anderen Ende bereitet.  Und eine Gesellschaft, die anfängt ihre Alten und Schwachen  auszulagern, veruntreut die wichtigsten Werte, die eine gesunde Sozialordnung ausmachen.  Während in allen früheren Hochkulturen, die Erfahrung und Weisheit der Alten als Garant für eine sichere Zukunft gesehen wurde, setzen die fortschrittlichen Nationen auf die Experimentierfreude der Jugend.

Frau Dowideit gehört zu den kritischen Journalisten, die sich nicht damit begnügen, von anderen abzuschreiben und gängige Meinungsbilder zu bedienen.  So wollte sie wissen, wie es sich anfühlt, pflegebedürftig in einem Altenheim leben zu müssen und hat einen Selbstversuch unternommen. Auch wenn solch eine gestellte Situation die reale Erfahrung von Heimbewohnern nur erahnen lässt, halten wir  Selbsterfahrung im Pflegealltag  für eine wichtige Voraussetzung, insbesonderen für Politiker die mit Pflege befasst sind.  Den Bundespolitikern sind die Missstände in der Pflege zwar bekannt, zumindest werden sie regelmäßig von kritischen Leuten informiert, aber es berührt sie nicht.  Sie haben keine Vorstellung von der entwürdigenden Wirkung denen alte Menschen ausgesetzt sind, wenn sie beispielsweise „in die Hose“ machen müssen, weil für eine zeitnahe Begleitung das Personal fehlt.

Vielen Dank, liebe Frau Dowideit, dass Sie mit Ihrer Frage „Warum schließen wir unsere Alten in Heimen weg?, einen zentralen Punkt  angesprochen haben, dem die  DIE WELT  insgesamt größere Beachtung schenken müsste.

So möchte ich im Folgenden ein paar weitere Gedanken zur Diskussion stellen:

Nicht nur die Politik lässt sich blenden von den schönen Fassaden, guten Noten und Versprechungen auf  Internetseiten und Prospekten der Heime.  Auch Journalisten, Staatsanwälte und Richter schenken  angezeigten Menschenrechtsverletzungen  wenig  Glauben.  Dies ist in gewisser Weise sogar verständlich. Bei all den Vorschriften und Qualitätsprüfungen die Heime über sich ergehen lassen müssen, sollte man annehmen, dass hier nichts mehr schief gehen kann.  Tatsächlich gleichen unsere Heime jedoch eher goldenen Käfigen, qualitätsgeprüft, mit  genauer Bauverordnung, Angabe zur Zimmergröße etc.   Viele müssen sich das Zimmer  mit einem Leidensgenossen  teilen. Bei den vorgeschriebenen 18qm für Doppelzimmer, bleibt da kein  Platz für Privates.   Besonders hart für Menschen, die vorher in einem eigenen Haus lebten.  Wer mit den Eigenheiten seines zwangszugewiesenen Mitbewohners nicht zurechtkommt, für den muss das die Hölle sein.   Jedoch erscheint die räumliche Einengung und fehlende Privatsphäre das geringere Übel.   Stimmt das menschliche Klima,  kann das Leben in einem Heim  die Lebensgeister neu erwecken, im Vergleich zum einsamen Dasein in einer großen Wohnung.   Manche Alten die sich das finanziell leisten können, ziehen sogar freiwillig in ein Heim, wegen des rundum Service und weil sie so, ohne große Anstrengung, soziale Kontakte zu ihres Gleichen pflegen können.  Heime sind also nicht generell die schlechteste Lösung.  Allerdings haben Heime  mit einem förderlichen Klima Seltenheitswert.  Sie sind schwer zu finden und wenn eines gefunden wurde, ist es zu weit entfernt oder auf lange Sicht ausgebucht.  Die Gefahr an ein äußerlich schönes aber inhaltlich düsteres Haus zu  geraten ist  hingegen groß.    Man erkennt diese nicht immer  auf den ersten Blick.  Bei den ganz schlimmen, reicht jedoch ein einziger Besuch um von der depressiven Stimmung erfasst zu werden.  Ich spreche hier von Heimen in denen Angehörige und freiwillige Helfer selten zu finden sind, weil diese ebenfalls die  Ansammlung von Elend kaum ertragen können.  Der Anblick so vieler alter Menschen, wie sie mit hängenden Köpfen und verschlossenen Gesichtern ihre Restzeit buchstäblich absitzen. Und auf der anderen Seite gestresstes Personal, dem man ansieht, dass es keine Lust hat dort zu arbeiten.   „Aber man opfert sich halt. Will ja sonst keiner machen, dieses Drecksarbeit mit den Alten. Undankbar sind die obendrein noch, störrisch und ekelig.“, geben einzelne sogar zu.  Die Feinfühligen halten es in so einem Haus nicht lange aus.  „Wer sich einen Kopf um jeden macht,wir in diesem Beruf nicht alt. Zeit für persönliche Zuwendung ist sowieso nicht vorgesehen.“,  rechtfertigen sich die anderen.  Nein, so ein Klima kommt nicht alleine vom Personalmangel.  Auch mit einer Aufstockung des Personals und mit besserer Bezahlung, würde das Klima  dort nicht automatisch freundlicher.  Hier stimmt die Haltung nicht, angefangen von der Leitung.   Und diese kann jede Kritik abweisen, denn auch die düstersten Heime erfüllen  die offiziell geforderten Qualitätskriterien.  Besser als „sehr gut“ geht nicht.  Auch die Heimaufsicht prüft nur die Form und nicht die Qualität wie sie bei den Bewohnern ankommt.  Das ganze Pflegesystem ist falsch angelegt.  Es belohnt diejenigen, die den Pflegebedarf verstärken und behindert die anderen.     Aber das sehe ich nicht als Hauptgrund für die seuchenhafte Zunahme von Demenz und die schrecklichen Entwicklungen denen die betroffenen schutzlos ausgeliefert sind.    Die unterschiedliche Wertschätzung  die einem Kind und einem Alten zu Teil wird, ist durchgehend feststellbar.    Wirkt ein Kind depressiv, verstört oder vernachlässigt  suchen alle nach passenden Hilfsangeboten, die selbstverständlich auch von den Kassen bezahlt werden.   Zeigt ein alter Mensch Hilfebedarf, läuft er Gefahr mit der Diagnose Demenz abgestempelt, unter Betreuung gestellt und in ein Heim eingewiesen zu werden.  Alte Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten erhalten selten die nötige menschliche Hilfestellung geschweige denn Psychotherapie, sie erhalten Neuroleptika und werden medikamentös so eingestellt, dass sie ruhig auf ihren Plätzen sitzen bleiben.  In Deutschland ist das die Regel!  Zumindest in allen Heimen in denen nur eine Nachtwache für 40 und mehr Bewohner eingesetzt wird.   Denn anders wäre das nicht zu bewältigen.  Unsere alten Mitbürger werden nicht nur in Heimen weggeschlossen, sie werden dort vielfach  in einer Weise erniedrigt, die sie seelisch und geistig zurückfallen lässt auf die Entwicklungsstufe eines Kindes.  Regression heißt dieses bekannte  Phänomen.

Wir sprechen hier von Menschen, die sich ihr Leben lang  Wissen und Erfahrungen angeeignet, die  Kinder aufgezogen,  Häuser gebaut und durch ihre Arbeit unsere Zukunft ermöglicht haben.  Anstatt den Alten mit Wertschätzung zu begegnen und alles dafür zu tun, dass sie in Würde von dieser Lebensbühne abgehen können, lässt unsere Gesellschaft eine Entwicklung zu, die einer Entsorgung in Endlagerstätten   gleichkommt.   Mit ärztlicher  und richterlicher Zustimmung werden in unserem Land täglich hunderttausende alte Menschen ihrer Freiheit und Selbstständigkeit – ja ihrer Persönlichkeit beraubt.   Verurteilung zur lebenslänglichen Sicherungsverwahrung.   Und dies deshalb, weil unserem Staat die Kosten für menschliche Betreuung zu hoch erscheinen.  Investition in pflegebedürftige Alte, darin sieht man keinen Sinn.   Wer alt ist und Arbeit macht, darf ausgelagert werden.  Die  Jungen werden schließlich für andere Aufgaben gebraucht.   Aber auch sie werden alt.  Da kann man nur hoffen, dass sich viele Junge, wie Frau Dowideit, frühzeitig mit dem Problem befassen.  Auf der Politikbühne sehe ich aktuell niemanden der  diese Fehlentwicklung  erkannt hat.

 

4 Kommentare

  1. Wenn man sich die üppigen Altersbezüge, Dienstunfähigkeitsregeln, Luxus-Kranken- und Pflegeversorgung von Pensionären ansieht, dann bedeuten bestimmte Alte „uns“ sehr viel. Was die „restliche“ Bevölkerung angeht, teile ich die Kritik der Autorin. Deutschland ist eben ein Ständestaat.

  2. Ich denke, dass nur die Angehörigen die Situation ändern können, denn die Politik ist daran nicht interessiert, das Pflegepersonal unter der Knute zumeist. Ich mache diese Erfahrungen nun im 9. Jahr. 3 Jahre war meine Mutter in ihrem Haus mit privaten Hilfen, ich fuhr 80km (eine Strecke) mehrmals die Woche, dann 5 Jahre in einem Pflegeheim. Anfangs war es noch nett, dennoch hatte ich 3 verschiedene Damen, damit sie jeden Tag Besuch hatte, ich fuhr mindestens 2x pro Woche. Dann brach in dem Heim der Notstand aus, alle kündigten usw. Ich zog um, aufs Land, näher ans Heim, doch musste meine Mutter verlegen. Sie ist jetzt 15 km entfernt, ich bin fast jeden Nachmittag dort, man vergass ihr das Essen zu bringen, da sie nicht immer zum Speisesaal wollte usw. (wohl ein Asperger-Fall), ich habe wieder zusätzliche Damen, die sie besuchen, da sie in großen Gruppen oft Angst bekommt und negative Stimmung körperlich spürt. Nun will man sie erziehen, legt sie ins Bett, wenn sie nicht in den Speisesaal möchte. Ich bin am Überlegen, ob ich meine Mutter (91) nicht selbst pflegen soll (Single Haushalt, sehr schwierig) oder in Baden Württemberg eine Pflegefamilie suche und in die Nähe ziehen. Bin ziemlich am Ende, mein Leben kam zum Stillstand. Natürlich mag man im Heim die vielen Besuche nicht, aber einen Menschen einfach zu da sitzen zu lassen, stundenlang nicht mal ein Hallo.Das Pflegeheim ist allerdings sauber und freundlich 70% des Personals noch ok, aber die sind schon am Burnout. Deutschland muss mehr Menschlichkeit entwickeln, das ist die die einzige Möglichkeit, um die Zukunft zu gestalten. Doch nicht nur Deutschland. Die gesamte Welt muss den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen, anstelle des Profits. Das ist der einzige Weg der erfolgreich sein wird, aber wie kommt man dorthin? Wohl nur nach dem Zusammenbruch des aktuellen Systems. Sehr traurig, 70 Jahren Frieden haben die Menschen blind gemacht. Würde mich freuen weiter zu diskutieren oder auch Initativen zu aktivieren. Die Angehörigen sollten auf die Straße gehen. Mit freundlichen Grüßen!

  3. Ich bin tief berührt über diesen Bericht, liebe Frau von Stösser! Ich kannte das Buch von Frau Dowideit bisher nicht, wie das so geht, wenn man mit einem eigenen befasst ist. Ich bin überwältigt von dem Mut dieser jungen Frau, sich im Selbstversuch in die Gefahrenzone Tod hineinzubegeben. Um zu erfahren, wie es sich „ANFÜHLT“ – das ist nämlich das Entscheidende.

    Die Gefühle und Seelen werden verletzt in diesem unserem Denksystem, das Menschen, die die steile Entwicklungskurve der Kindheit und Jugend hinter sich haben, geneigt ist, beim geringsten Zeichen von Schwäche sofort auszustoßen aus der Gemeinschaft der Förderungswürdigen. Das ist atavistisches Rudelverhalten: Der Schwache wird totgebissen (Sterbehilfe-Debatte!) oder in irgendeiner Wildnis (Altenheim, Pflegeheim) ausgesetzt, um die Gesundheit des Rudels zu erhalten. Das ist der Jetzt-Zeit unangemessen!

    Nun hatten wir seit der Steinzeit ja auch die Zeit der Aufklärung, die Zeit der Renaissance mit einem freiheits- und würdegetragenen Menschenbild. Wir Deutschen haben doch durch die Nazizeit der Welt gezeigt, was passiert, wenn man das würdegetragene Menschenbild über Bord wirft!!

    Und wir hatten auch mal den Jesus mit seinem Menschenliebe-Gebot, das meines Erachtens falsch kolportiert wurde. Ich glaube, was Jesus meinte, war: „Liebe Dich und dann ebenso Deine Nächsten!“ Das ist wichtig. Frau Dowideit ist also mit ihrem Selbstversuch direkt in die Fußstapfen von Jesus getreten, indem Sie austestete, was sie auszuhalten in der Lage ist, wie es sich anfühlt, plötzlich nicht mehr jung und stark zu sein.
    Und es ist wichtig, den anderen davon zu berichten, um die Herzen zu berühren – abseits der bedenkengetragenen sogenannten Politik, die zur Zeit völlig ohne Gestaltungskraft ist und aus Mangel an Empathie schreiendes Unrecht duldet. Mangel an Selbstliebe?

    Wer sich selber liebt, wird keinem Nächsten zumuten, die letzten Tage und Jahre in der Missachtung zu verbringen, der Individualität beraubt, der Würde beraubt, ja: der ganzen Persönlichkeit beraubt. Welche starken, liebenswürdigen, verehrungswürdigen Persönlichkeiten sich hinter den medizinischen Abstempelungen „dement“ sowie „alzheimerkrank“ verbergen, das habe ich mich bemüht, in meinem Buch „Schluss, sag ich!“ zu schildern, das Sie hier freundlicherweise bereits lobend erwähnt haben.

    Ich habe in den Jahren als kämpferische Tochter/Angehörige im Stuttgarter Pflegeheim die persönliche Lehre mitgenommen, dass wir vor allem fühlende Wesen sind. Das Lachen und das Weinen, die Freude und die Trauer, der Jubel und der heilige Zorn (und auch der unheilige) – das alles macht uns Menschen aus. Das alles wird in der Welt der Heime brutal und rücksichtlos ignoriert. Das geht anders! Ich glaube auch, wie Sie schreiben, dass es viel besser ist, im Alter oder im Falle von Krankheit in einer Gemeinschaft zu leben, statt in der Einsamkeit. Auch wenn sie „Heim“ hieße. Und ich glaube felsenfest, alles ließe sich leicht ganz anders und beglückend organisieren.

    Ich möchte gerne aus der Gehirnforschung die simpelste und für mich zentrale Botschaft hier notieren: Wir haben im Kopf 3 Organe! Wir haben das Großhirn, wir haben das Limbische System, das „Gefühlshirn“, und wir haben daran anhängend unser altes Reptilienhirn, welches in den Nervenstrang der Wirbelsäule mündet und also die Ratio mit dem Körper bis in den kleinen Zeh verbindet. Das alles dreht sich ums Limbische System, wo unsere Gefühle verarbeitet werden. Diese Trinität erlaubt ein wunderbares Zusammenspiel von Gefühl, Körper und Intellekt. Man kann daraus unter anderem ableiten, dass es falsch ist, Menschen mit den medizinischen Symptombeschreibungen abzustempeln, die eigentlich ja nur – wie etwa das ICD-10-Regelwerk der Weltgesundheitsorganisation WHO – der ERFASSUNG dienten, reinen Beschreibungszweck hatten, damit Mediziner sich auf einer fundierten Ebene austauschen konnten. Nun hat es sich so entwickelt, dass die Symptome zur Abstempelung dienen. „Ein Parkinson“ zittert halt und wird irgendwann verkommen. Zack. „Der Alzheimer“ wird leicht gewalttätigt und man muss also die Zwangsjacke, den Psychiatrieüberweisungsschein und die medikamentöse Beruhigungskeule schon parat haben bei so einem „Alzheimer“. Zack.

    Widerlich, menschenunwürdig, grundgesetzwidrig! Und so furchtbar dumm. Wir wissen so viel mehr. Das ist nur im System noch nicht angekommen.

    Empathie und Berührung:
    Wenn man in die Augen von Menschen schaut, kann man auf den Seelengrund schauen. Und wenn die Seele, der Geist, wie man es nennen will, sich aus Einsamkeit, aus Leiderfahrung, aus Todesangst vielleicht zurückgezogen hat, dann kann man sie durch diesen Blick wieder hervorlocken. Der interessierte Blick eines menschlichen Gegenübers kann sie hervorlocken! Das habe ich zigmal erlebt. Ich habe erlebt, wie sich ein alzheimerkranker alter Herr, der eine große Firma aus dem Nichts gegründet und erfolgreich gemacht hatte in seinem Leben, wie der sich aus der Zusammengekauertheit begeistert (!) aufrichtete, als er in einen knallrot gestrichenen Raum trat. „Ach!“ rief dieser Mann mit seiner lauten Männerstimme, „was für ein ROT, was für eine Kraft gibt mir das!“ So spricht kein Trottel. Er wurde aber im Heim als Trottel behandelt und bei der geringsten Äußerung seiner alten Vitalität in die Psychiatrie überwiesen!!! Das Grauen der Auswegslosigkeit muss man sich bitte vorstellen. Der Mann, inzwischen verstorben, war kein Verbrecher und wurde aber schlimmer behandelt, als es im deutschen Strafvollzug geschehen wäre.

    Diese kleine Geschichte zeigt, wie anders wir mit uns Menschen umgehen könnten: Wir müssen unsere Sinne nutzen, wozu auch die Empathie gehört! Wir müssen uns einander liebevoll zuwenden, mit echtem menschlichem Interesse. Wir müssen uns Zeit füreinander nehmen, denn Gefühle brauchen eben Zeit. Deswegen muss die Zeittaktung in den Heimen und übrigens auch im gesamten medizinischen Bereich wieder abgeschafft werden. Diese Zeittaktung erzeugt nicht nur, sondern erzwingt Unmenschlichkeit geradezu und schafft Leid.

    Wir müssen Heime so gestalten, dass die Sinne der dort lebenden Menschen – Kranke und Pflegekräfte! – aktiviert werden. Im Moment werden sie abgetötet. Zeit und Raum müssen wir schaffen für die Sinne, dann hat die Angst, deren Wesen Ihr Link „Regression“ hervorragend erklärt, keinen Raum mehr.

    Und das geht mit regelrecht banalen kleinen Änderungen.

    Wir könnten die Wände und Böden anders streichen, was das bewirken kann, wissen Farbpsychologen zu berichten:

    Rot und Gelb sind Farben, die Menschen aktivieren. Warum sind die Pflegeheime durchweg weiß-grau-hellblau gestrichen? Ein Blödsinn.

    Musik belebt und erfreut die Sinne.

    Föten im Mutterleib werden modernerweise mit Mozart-Musik beschallt, damit sich hochbegabte Geister entwickeln. Kann man machen. Und kann man genausogut mit alten Menschen machen, um sie in ihrem Alters- und/oder Krankheitsleid zu erfreuen, wieder herzuholen ins Jetzt. Man muss den Menschen in den Pflegeheimen nicht Beschäftigungstherapien verordnen. Menschen, die nie im Chor sangen und niemals bastelten und malten im Erwachsenenleben (!) – wieso sollten die ausgerechnet im Alter malen und basteln und brave Chorsinger werden? Wenn die aber die Musik ihrer Jugend hören, dann singen die einfach mit. Ob das Mozart ist, Heavy Metal oder Santana oder Schubert! Das habe ich erlebt. Mit Musik breitet sich Freude aus – auch wenn die Körper leiden, auch wenn der Tod vor der Tür steht. Wer singt ist nicht traurig, und wer nicht traurig ist, richtet sich auf und der Geist erwacht.

    Genau wie Sie es schreiben, ist es richtig: Heime mit einem „förderlichen Klima“ werden automatisch dazu führen, dass auch Angehörige gerne zu Besuch kommen und nicht mit verklemmtem Gemüt durch übelriechende Flure schleichen, sondern mit Herzlichkeit und Freude Anteil nehmen können, was Menschen ja von Natur aus gerne tun, da wir soziale Wesen sind und tiefinnerlich das alte Wissen haben, nur in der Gemeinschaft Geborgenheit zu erfahren und also sicher zu sein. Auch wenn der Tod vor der Türe steht, der jeden von uns mal einholen wird.

    Wie aber können wir die Haltung ändern?

    gez. Dr. Waltraud Berle

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