„Ich hab nicht gedacht, aus diesem Knast nochmals raus zu kommen“

So die Aussage einer  Heimbewohnerin, der in der vergangenen Wochte für Schlagzeilen sorgte.   Dr. Sebastian Kirsch, Mitinitiator des Werdenfelser Wegs, www.werdenfelser-weg-original.de,  hat dazu einen treffenden Kommentar geschrieben, den wir mit seiner freundlichen Genehmigung hier zitieren:

 Mut haben sie im evangelischen Altenheim Bethesda in Essen-Borbeck, alle Achtung !!! Und der Kollege Heimeshoff Direktor des Amtsgerichts Borbeck ebenso. Intensiv haben sie an einer Presseberichterstattung mitgewirkt, bei der eine Bewohnerin mit dem oben genannten Zitat wiedergegeben wird.
Wohlgemerkt: nicht der frühere Präsident von Bayern München, Uli Hoeneß, wird zitiert, der am Samstag zum ersten Mal nach seinem Haftantritt im Juni das Gefängnis für einige Stunden verlassen durfte. Dreieinhalb Monate nach Haftantritt hat Uli Hoeneß zum ersten Mal einige Stunden Ausgang gehabt. Der 62-Jährige durfte am Samstag tagsüber das Gefängnis in Landsberg am Lech verlassen und seine Familie treffen, wie sein Anwalt Tobias Pretsch der Nachrichtenagentur dpa in München mitteilte. Ein Sprecher des bayerischen Justizministeriums bestätigte den Ausgang. Hoeneß durfte das Gefängnis ohne Wachpersonal verlassen. Sondern das Zitat wird einer 90-jährigen Bewohnerin des evangelischen Altenheims Bethesda in Essen-Borbeck zugeschrieben, die vom Gitter- in ein Niederflurbett umzog: „Ich hab’ nicht gedacht, dass ich aus diesem Knast noch mal ‘rauskomme.“ Zur freiwilligen Mitwirkung an einer Presseveröffentlichung, bei der ein Seniorenheim als Knast bezeichnet wird, muss man als Pflegedienst- und Heimleitung erstmal ziemlich viel Mut haben.  Im evangelischen Altenheim Bethesda in Essen-Borbeck habe es nach Bericht der WAZ eine Revolution gegeben: Hochbetagte Bewohner lernten eine neue Freiheit kennen, weil Bauchgurte und Bettgitter verbannt wurden. Wer gern läuft, aber nicht völlig sicher ist, wird im Altenheim Bethesda mit Hüftprotektoren ausgestattet und mit Gymnastik fit gemacht. Einfache Mittel, die sich auch bei den 107 Bewohnern des Borbecker Heims bewährt haben: Anfang 2013 wurden dort noch 20 Senioren mit Bettgittern fixiert – heute ist es keiner mehr. Eine 90-jährige Bewohnerin, die vom Gitter- in ein Niederflurbett umzog, wird zitiert: „Ich hab’ nicht gedacht, dass ich aus diesem Knast noch mal ‘rauskomme.“ Heute ist die frühere Rollstuhlfahrerin mit Rollator unterwegs – jetzt übt sie Treppensteigen. Natürlich gebe es ein Restrisiko, „aber darf ich jemanden darum 365 Tage im Jahr anbinden?“, fragt Sabine Hoffmann, Pflegedienstleiterin im Bethesda-Altenheim. Heute weiß sie es besser: Wer regelmäßig fixiert ist, baut Muskeln ab, verliert Beweglichkeit und Sicherheit – und stürzt viel eher, wenn er mal aufsteht. Demenzkranke, die oft einen großen Bewegungsdrang haben, werden brutal eingeengt. Dass es auch anders geht, habe man beim Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen bewiesen, wo man die Zahl der freiheitsentziehenden Maßnahmen extrem reduziert hat. „Es ist ein Denkprozess: Früher stand die Sicherheit im Vordergrund, heute die Lebensqualität“, sagt der Direktor des Amtsgerichts Borbeck, Hermann Heimeshoff. In seinem Bezirk nahm die Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen von August 2013 bis August 2014 um etwa 15 Prozent ab. Und wer weiß, die Generation Höneß wird es vielleicht mal danken. Hut ab !!!

Der ganze Artikel: https://www.derwesten.de/staedte/essen/ein-essener-altenheim-erlebte-eine-kleine-revolution-id9840991.html

 

Kritisch informativer  Radiobeitrag vom 14.11.2014 im Deutschlandfunk:  Die umstrittene Fixierung im Pflegeheim.

4 Kommentare

  1. Ich denke, mit 23 an eine aktive Gestaltung seines Alters zu denken, ist möglicherweise noch zu abstrakt. Da liegen noch andere Dinge vor einem. Was der Selbstversuch und vor allem das Berichten darüber aber transportiert, ist ein anderer Blick auf alte Menschen in dieser Situation. Mehr Verständnis, Einfühlen und vielleicht auch mehr Zeit für alte Menschen zu haben, zumindest für die in der eigenen Umgebung. Vielleicht wird ein soziales Engagement geweckt, hier etwas Zeit zu investieren, etwas Abwechslung in den Alltag der alten Menschen zu bringen. Und daran zu denken, dass es bestimmt nicht leicht ist, jeden Tag mit körperlicher und mobiler Eingeschränktheit fertig zu werden. Dass sie Ängste haben und Zuwendung benötigen. Allein damit kann man schon vielen helfen.

  2. Bettgitter FÜR DIE NACHT gegen den Willen der Bewohnerin UND der Dauernachtwachen!
    Hier ein Beispiel aus meiner Praxis: Einer Bewohnerin wurden für die Nacht Bettgitter richterlich angeordnet mit der Begründung, sie wäre hochgradig Sturzgefährdet und würde immer wieder alleine aufstehen. Mit dieser Bewohnerin kam der Tagdienst in keiner Weise zurecht.
    Als die Besprechung bezüglich der Bettgitter und der dafür nötigen, richterlichen Genehmigung erfolgte, wurden die Erklärungen der Dauernachtwachen nicht einbezogen. Nach unserer Erfahrung benötigte die Frau keine Bettgitter, weil sie alleine nie aufstand, sondern klingelte und wartete bis wir kamen. Trotzdem setzten die Wohnbereichsleiterin und einige MA des Tagdienstes durch, dass eine richterliche Genehmigung für die Bettegitter erteilt wurden. Jedenfalls kam ich zum ND und sah die Bewohnerin wie ein Häufchen Elend hinter ihren Gitterstäben liegen. Sobald sie an die Gitterstäbe anstieß geriet sie in Panik. Ich öffnete das Gitter und sagte ihr, es bleibt auch offen, weil ich weiß, dass sie – wenn sie nach mir klingeln – auch immer warten bis ich komme und noch nie alleine aufgestanden sind. Die Bewohnerin entspannte sich augenblicklich. Um sicher zu gehen,ließ ich sie, als sie klingelte, absichtlich einige Minuten warten (ich stand an der Tür und vergewisserte mich, dass sie nicht alleine aufstand) ehe ich zu ihr ans Bett trat und sie zum WC begleitete (mit Rollator). Ihr Kommentar lautete nur, jetzt ist es aber dringend.
    Am Morgen bei der Übergabe sagte ich auch, dass ich die Bettgitter offen gelassen habe und soweit ich mich erinnere hatte ich das auch dokumentiert (zu der Zeit noch schriftliche Dokumentation). Postwendend fand sich am Abend ein Doku-Eintrag der Wohnbereichsleitung mit dem sinngemäßen Wortlaut: „Das Bettgitter bei Frau X bleibt während der Nacht oben – auch Schwester Sabine wurde darüber informiert!“ Ich schrieb darunter (ebenfalls sinngemäß): „Die Nutzung einer Freiheitsentziehenden Maßnahme liegt im Ermessen der anwesenden Pflegekraft – soviel wie nötig und so wenig wie möglich!“ Ich werde das Bettgitter während der Nacht nicht schließen, Frau X benötigt es nicht – die Verantwortung dafür trage ich.
    Ich will damit zeigen, wie unwahrscheinlich leicht es ist durch „Pflegekräfte“ und/oder Ärzte der Freiheit beraubt zu werden, ohne dass eine Notwendigkeit dafür besteht!

  3. Endlich einmal Richter, die sich selbst informieren, denken und dann handeln, statt auf Andere zu warten, die ohnehin nicht das entscheiden dürfen, was Experten ihnen an die Hand gegeben haben und/oder es vor sich her schieben. Diese Erfahrungen sollten allen Gerichten mit Dienstpost zugesandt werden.

  4. Endlich einmal eine positive Meldung, bezüglich freiheitsentziehender Maßnahmen.
    Leider sind sie noch an der Tagesordnung. Es wäre wünschenswert, wenn denn ein Richter vor Ort entscheiden würde. Aber das ist Zukunftsmusik.
    Des weiteren werden sich die Betreiber dagegen wehren, denn es werden Folgekosten entstehen, die den Gewinn schmälern. Das beinhaltet eine gewisse Personalstruktur, als auch technische Aufwendungen.
    Ich denke auch an die Öffentlichkeit. Der entsprechende „Wahn“ lautet möglicherweise: Bei einem Unfall, müssen wir (die Allgemeinheit) dafür bezahlen. Das Solidaritätsprinzip in der KV ist längst dahin.

    Peter Weist

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