Bewohnerin hat Silvesternacht auf dem Boden verbracht

Dass die Pflege an vielen Stellen am Boden liegt,  macht folgender Bericht einer  Pflegefachkraft bewusst, der uns zum Jahresanfang zustellt wurde.   Nicht nur die Vorstellung, dass in einem Heim mit der Note 1,1 eine Bewohnerin  in der Silvesternacht gestürzt und die Nacht auf dem Boden verbracht hat, sondern auch diese Haltung: „Eine andere Dame hatte sich nach Aussage meiner PDL einfach „verpisst“. Sie war gestorben.“, lässt selbst hartgesottene erschrecken.

Hier der Bericht, den wir mit Erlaubnis der Autorin einstellen, ohne ihren Namen zu nennen:

Nicht wissen, reinigt das Gewissen

„Sie dürfen nicht immer nur die schwarzen Schafe sehen!“ Ein Satz, den ich als Pflegefachkraft häufig, viel zu häufig zu hören bekomme. „Wann spricht endlich mal jemand über die schönen Seiten der Altenpflege? Ständig dieses Gejammer des Pflegepersonals.“

Stimmt! Auch ich würde viel lieber über die ergreifenden, glücklichen Momente meiner Tätigkeit sprechen, dass es sie gibt, bestreite ich keineswegs. Immerhin sind diese wenigen Stunden der Grund dafür, warum ich noch immer jeden Tag aufstehe und ins Altenheim fahre.

Leider wiegen sie die schlechten Momente nicht auf. Ein dankbares Lächeln eines Bewohners tut gut, reinigt jedoch nicht mein Gewissen mitanzusehen, was tagtäglich im Pflegealltag passiert. Alleine im letzten Monat wurden in meiner Einrichtung mindestens zwanzig Bewohner falsch mit Insulin versorgt. Medikamente wurden durch Hilfskräfte verabreicht. Eine Bewohnerin lag die Silvesternacht am Boden ihres Zimmers bis zum nächsten Morgen. Sie war gestürzt, Kontrollgänge des Nachtdienstes fanden offensichtlich nicht statt. Einzelne Bewohner wurden mit dem Abendessen vergessen. Eine andere Dame hatte sich laut Aussage meiner PDL einfach „verpisst“. Sie war gestorben.

Ich könnte noch mehr schreiben, dachte aber dies wäre hinsichtlich bekannt. Scheinbar jedoch nicht, oder wieso wird immer noch beschönigt? Denken Sie, es macht Spass ständig den Arbeitsplatz zu wechseln, immer in der Hoffnung eine Einrichtung zu finden, in der es besser läuft?

Ich muss Sie enttäuschen, nach mehrfachem Wechsel ist mir eine solche noch nicht begegnet. Denn leider trügt oft der erste Schein. Auch unser Haus bekam vom MDK eine 1,1 Note. Stolz hat sie unser Heimleiter in den Eingangsbereich gehängt. Mir wird jedes Mal übel, wenn ich daran vorbei laufe. Denn diese Note haben wir sicher nicht verdient. Tatsache ist, dass wir gefährliche Pflege betreiben.

Doch was soll man als Pflegefachkraft tun? Es laut aussprechen natürlich. Aber erstens tun das die allerwenigsten, die interessiert das nicht einmal. Zweitens möchte kein Vorgesetzter ständig auf die Missstände hingewiesen werden. Im Übrigen auch nicht auf Kolleginnen, die während des Dienstes Alkohol trinken. Hauptsache der Dienstplan ist abgedeckt. Und immerhin wird ja keiner der Bewohner geschlagen.

Da sag ich nur toll, wie hoch unsere Ansprüche mittlerweile gewachsen sind. Für dieses Nichtgeschlagenwerden zahlen die alten Menschen enorme Summen. Ich möchte eine Mutter sehn, die sich dasselbe in der Schule ihrer Kinder gefallen ließe. „Ich habe ihrem Kind leider nichts beigebracht, aber ich habe es auch nicht geschlagen.“

Für mich steht eines fest, solange Jeder und wirklich Jeder in die Pflege rein darf, wird sich an der Qualität nichts ändern. Pflegenotstand hin oder her, das Personal muss den Aufgaben gewachsen sein, notwendige Grundkenntnisse mitbringen und vor allem Hingabe für diese Tätigkeit in sich spüren. Zur Zeit aber tummeln sich so viele Hilfskräfte wie nie in unseren Pflegeeinrichtungen. Scheinbar ist diese Tätigkeit so anspruchslos, dass man nicht wählen muss.

Richtig gute Altenpfleger sind selten zu finden und wenn doch resignieren sie irgendwann und hängen den Beruf an den Nagel. Oder aber es läuft ein jahrelanger Akt der Selbstzerstörung. Da hilft es auch nichts, wenn mein Chef mir sagt, ich sei sein Sechser im Lotto. Solange er die Nieten dieser Lotterie akzeptiert, ist mir und den Bewohnern nicht geholfen.

Natürlich erkenne ich auch das Dilemma der Sache. Schlechtes Personal loswerden ist vielleicht noch einfach. Woher aber neue Pflegekräfte nehmen? Es ist ein Teufelskreis. Dennoch muss es unseren Vorgesetzten endlich gelingen das vorhandene Personal so zu motivieren, ihre Tätigkeit verantwortungsvoll und herzlich auszuführen. Möglicherweise würde diese Einstellung dann auf andere übergreifen. Und vielleicht müsste dann keine alte Dame die Silvesternacht auf dem kalten Boden verbringen. Ich möchte mir diese Situation nicht mal vorstellen.

Im Gegensatz zu manch anderem tue ich es dennoch. Denn Augen verschließen ändert nichts. Schön reden ebenso wenig. Es lässt sich leichter damit leben, sicher. Aber ich kenne kaum ein Gefühl, welches schlimmer ist, als nicht mehr in den Spiegel sehn zu können.

Zum Schluss noch eine Anmerkung, auch wenn Sie diesen Vergleich sicher als krass empfinden. Die Menschen im 2. Weltkrieg, die Juden in ihren Gettos hatten sicherlich auch schöne Momente. Momente des Glücks über ein Wiedersehen, ein Stück Brot oder einen wärmenden Sonnenstrahl. Dennoch lebten sie aussortiert, eingesperrt und erniedrigt. Und auch damals wollte niemand wissen, wie groß das Ausmaß war. Tja nicht wissen, reinigt eben das Gewissen.
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Hier eine erste Rückmeldung  zu diesem Bericht, von einer Pflegefachkraft im Nachtdienst:

Unglaublich aber leider wahr was diese Kollegin da schreibt. Am 03.01. 2014 hatten wir, aufgrund der bevorstehenden Kommunion meiner Tochter, unseren Pastor zu Gast bei uns zu Hause. Wir haben kurz über meine Arbeit im Heim gesprochen. Ich musste am selben Abend in die Nachtschicht………..Er frug mich wieviele Bew. ich betreuen würde. Ich musste antworten: ca. 50 Bew.. Seine Stirn runzelte sich und er frug: „Wieviele Kollegen sind denn mit im Dienst?“ Meine antwort: „ICH!“  Die Verantwortung ist soooo groß, alleine die Vorstellung einmal reanimieren zu müssen…….alleine!!!!! Unmöglich, keiner da, noch nicht einmal eine schlafende Bereitschaft, die ich deligieren kann, jemand der einen Notruf absetzten kann oder helfen kann die Siuation in den Griff zu bekommen. Es wird sooft im Fernseher gezeigt wenn Unfälle passieren wieviele Menschen einfach vorbei fahren oder wegschauen ohne etwas zu unternehmen………..es ist auch traurig aber im Normalfall halten immer Menschen an. Was ist denn bei uns in den Heimen, da fehlt NUR ein Kollege, ganz gleich ob er Fachkraft ist oder Hilfskraft!!!! Das ist ganz allein die Verantwortung des Arbeitgebers!!!! Strafe sollte dafür her, jeder der auf der Straße zuguckt bekommt eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung…………die Träger/ Arbeitgeber nicht. Das Nachtwachengesetz der Pflege ist auch sehr schwammig, es gibt keine gesetztliche Vorgabe über die Besetzung in der Nacht, lediglich eine Empfehlung die folgendermaßen lautet: Es wir empfohlen ab einer Bew. Anzahl von 50 Bew. eine zweite Nachtwache bereitzustellen…………..Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!!!! Wir arbeiten in der Nacht über drei Etagen……d.h. Treppen laufen, kein Aufzug…….was passiert wenn die Nachtwache sich verletzt oder die Treppe herunter fällt??? Was ist im Falle eines Brandes??? etc. Ich erzähle GRUNDSÄTZLICH jedem Bereitschaftsarzt oder Sani den ich in der Nacht brauche das ich alleine bin…..in der Hoffnung es hat irgendwann ein Nachspiel!!!

Leider bisher ohne Erfolg!!! Aber ich kämpfe weiter!!!!
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Der Pflege-SHV hat den Nachtdienst im Altenheim zum Thema des Jahres 2014 erklärt. Mehr dazu unter Nachtdienst heute: Finsteres Kapitel stationärer Altenpflege.

Das Beitragsfoto zeigt eine Frau, leicht verwirrte Heimbewohnerin  (2004),  die, nachdem sie mehrfach im Heim gestürzt war, mit richterlicher Genehmigung rund um die Uhr im Bett fixiert wurde.  Sicherungsverwahrung, nenne ich das. Wir konnten der Enkelin dazu verhelfen, vom Gericht als Betreuerin für die Oma eingesetzt zu werden. Daraufhin suchte diese sofort ein anderes Heim in dem ihre Oma ohne Fixierung und ohne ruhigstellende Mittel leben durfte.  Ihre Geschichte war u.a. Teil dieses Referates.

 

6 Kommentare

  1. Liebe Kolleginnen, ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass es in der Tat auch anders geht, und alle ermutigen, auf der Suche nach einem guten Haus nicht aufzugeben. Ich bin seit 23 Jahren in der Pflege und natürlich habe ich auch Einiges von dem gesehen, was hier beschrieben wird. Doch ich habe das Glück ein Pflegheim gefunden zu haben, in dem die meisten meiner Kollegen schon mehr als 10 Jahre arbeiten. Das spricht wohl für sich. Wir haben eine Führung, die sehr auf das Wohl der Mitarbeiter achtet, was der Qualität unserer Arbeit zu Gute kommt. Unsere Bewohner fühlen sich wohl, leben lange in unserer Einrichtung, und selbst die, die zum sterben kommen, leben oftmals wieder auf. Ja, es gibt sie noch, die Häuser, die unter einer guten, liebevollen Führung stehen und wo das Beste aus den wenigen Mitteln, die der Staat uns zugedacht hat, gemacht wird. Und ja, es gibt sie noch, die hochmotivierten Pflegekräfte, die Freude an ihrem Beruf haben. Und ich bin sicher, dass meine Einrichtung kein Einzelfall ist. Es ist möglich!! Also, nicht aufgeben, Mißstände aufdecken, Lösungsvorschläge machen und nicht nur jammern. Und zur Not die Einrichtung wechseln, bis ihr eine gute gefunden habt.

  2. Bin Angehörige, schau nur täglich der „Pflege“, die für mich keine Pflege ist, zu. Fehler machen sie ohne Ende, im Zweifel war es meist jemand vom Leasing. „Pflege“ ist wie Kühen das Futter hinschieben, Wasser geben, ausmisten, melken für den Betreiber. Zwischendurch gibt es Almauf- u. Abtrieb der Milchkühe durch Langzeitsarbeitslose zu gemeinschaftlichen Veranstaltungen.
    Nachts gibt es zwei Pflegekräfte für fast 80 alte Leute. Hobby der Pflegekräfte ist: Dem Bewohner die Klingel wegzunehmen. Weiteres Hobby: Ohne Anzuklopfen das Zimmer zu betreten. Noch ein Hobby: Toilettengang verweigern mit Hinweis, man habe ja eine Vorlage. Der Bewohner riecht dann während des Essens, was er gestern gegessen hat, denn frisch gemacht wird er erst nach dem Essen.
    Den Satz: Wir reiben uns für die geliebten Bewohner auf und wollen Anerkennung, den mag ich nicht mehr hören. Mehr Geld wollen sie, in der Bude, wo ich täglich zusehe, ist kein Pfleger in der Gewerkschaft.
    Streikt endlich, kapituliert, hängt weisse Bettlaken raus und bittet so Angehörige und Nachbarn die Pflege zu übernehmen. Wir kommen dann und übernehmen!

  3. Dieser Kommentar einer Nachtwache wurde per Mail zugestellt:
    Entsetzlich! Welch ein Armutszeugnis stellen wir uns im Umgang mit unseren alten Elteren und Mitmenschen aus? Politiker, Heimträger, Kassen, MDK – haben die Verantwortungsbewusstsein? Und Pflegende wenn sie bewusst „wegschauen“ und aus Angst oder Bequemlichkeit kein VETO einlegen gegen diese unwürdige Behandlung von Menschen! Ja, Menschen! Wir arbeiten keineswegs mit leblosen Gegenständen, sondern mit Menschen die eigene Vorstellungen, eigene Wünsche und Individualität haben. Jeder Mensch hat ein RECHT auf WERTSCHAETZUNG! Würdig leben bedeutet geschützt zu werden, gebraucht zu werden, liebevolle Behandlung und Hilfe zu bekommen, ernst genommen zu werden, Unterhaltung nicht sinnlos oberflächlich sondern mit Teilnahme etc. etc.
    Ich arbeite das zwanzigste Jahr im Dauernachtdienst in einem Seniorenhaus und weiß wovon ich schreibe. In den ganzen Jahren hat sich noch kein Bewohner(in) über mich beschwert, im Gegenteil, sie sind traurig wenn ich frei habe und freuen sich sehr wenn ich wieder im Dienst bin. Diese Reaktionen sind für mich selbst mehr Wert als jede Anerkennung von oben oder von außen. Auch das MITEINANDER von Vorgesetzten und Kollegen/innen war bis vor einigen MONATEN überwiegend so, dass ich mit einem guten Gefühl in den Dienst gehen konnte. Im Moment stehen uns schwierige Zeiten bevor. Es soll eine Nachtwachenstelle eingespart werden. Dann werden wir nur noch im Laufschritt an den Leuten vorbei hetzen können. Das ist unmenschlich, unverantwortlich.
    Ich bin dem Pflege-SHV sehr dankbar diese Probleme anzupacken, bin selbst Mitglied geworden und wünsche viel Durchhaltevermögen und Unterstützung.

  4. Die Zustände sind furchtbar. Was man hier liest, schockiert zutiefst. Und ich hoffe, dass dieser Artikel hilft, diejenigen wachzurütteln, die etwas an dieser Situation ändern können. Ich kenne zu viele, die ihren Job aufgehört haben, weil sie nicht damit klarkamen. Eine Pflegefachkraft oder -hilfskraft zu sein…das ist kein Beruf, das ist eine Berufung! Ihr „spielt“ hier nicht mit Daten, Ordnern und Computern, ihr kümmert euch und pflegt Menschen! Die Verantwortung, die damit verbunden ist, sollte doch jedem bewusst sein!
    Isabelle von Pflege Fachkraft

  5. Ich liege schon das 3 te Mal auf dem Boden…gegen diese Zustände! Habe an 2 Politiker geschrieben! Keine Antwort, oder das übliche retorische aussagefreie um den heißen Brei Gequatsche Ich hab im Krankenhaus aufgehört, weil eine Schwester für 2 Stationen in der Nacht zuständig war.Ich konnte diesen Zustand nicht ertragen, kam immer völlig fertig nach Hause, weil ich mich nicht vernünftig um die Patienten kümmern konnte. In meiner Ausbildung 1984 zur Krankenschwester war ich schon als Schülerin in der Nachtwache mit einer Examinierten Kraft in der Geri und der Neuro für 3 Stationen zuständig.
    Jetzt sind es 40 Bewohner (Behinderteneinrichtung) . Eine Nachtwache und immer eine Bereitschaft im Haus.Das ist schon besser und die Fluktation, der ständig wechselnden zu Pflegenden fällt somit auch weg.
    Was mich brutalst nervt, ist dieser Dokumentationswahn, der in alle Pflegeeinrichtungen Einzug hält. Dieser Zorn darüber treibt mich an und lässt mich auf die Strasse gehen. Teilweise wird doppelt und dreifach dokumentiert…das ist ja nicht mehr feierlich.Am Ende fehlt diese Zeit, dem mir anvertrauten Personenkreis 🙂

  6. Dem Bericht stimme ich in gesamter Bandbreite zu. Ich arbeite im zwanzigsten Jahr in der Altenpflege im Dauernachtdienst und muss seit Jahren mit Erschrecken feststellen, dass die Altenpflege zur absoluten Fließbandarbeit mutiert ist. Unseren älteren Männern und Frauen fehlt das worauf es ankommt – Herzlichkeit, Zuwendung, Lachen, gebraucht werden, liebevolle Pflege, Motivation zu selbstständigen Handlungen und Zeit, ja, vor allem Zeit um all diese Mangelpunkte abzuarbeiten! Die Mitarbeiter, die ihren Beruf noch als Berufung sehen – auch in der Krankenpflege – arbeiten hart am Limit, und wenn politisch nicht endlich etwas unternommen wird gegen diese Zustände z. B. der unmenschlichen Einstufung in „Pflegestufen“, der hirnrissigen, bürokratischen und weitgehend sinnlosen Dokumentation, der absolut nichtssagenden Überprüfungen mit Vergabe von unzutreffenden Pflegenoten, ja dann wird die Pflege insgesamt wie o. g. mit den Gettos aus dem 2. Weltkrieg vergleichbar sein – in kürzester Zeit!

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