Personalsparpolitik in der Altenpflege

Warum ist das so?  Wer hat das (mit) zu verantworten? Wonach werden die Stellenschlüssel berechnet? Und wie könnte die Alternative aussehen.

Undurchsichtige Personalschlüssel

Unter den 10 häufigsten Suchworten, mit denen Besucher auf unsere Internetseite www.pflege-shv.de gelangen, nehmen Pflegepersonalschlüssel, Personalbesetzung und Personalmangel  regelmäßig die ersten Plätze ein. Auch die schriftlichen Rückmeldungen und Telefonate mit Pflegemitarbeitern drehen sich im Grunde immer um das Gleiche. Verzweifelt sucht man nach Lösungen, wie die Einrichtungsträger dazu zu bewegen sind für eine ausreichende Personalbesetzung zu sorgen. Doch Heimbetreiber können regelmäßig darauf verweisen, dass der Personalschlüssel erfüllt sei. Genaue Zahlen über den tatsächlichen Personalbedarf legen diese den Mitarbeitern nicht vor. Selbst Betriebsratsmitglieder erhalten oft erst bei hartnäckigem Nachbohren, Einblick in die Dokumentation von Pflegesatzverhandlung, Bewohner- und Personalstruktur. Um nachrechnen zu können, ob der in der Pflegesatzverhandlung für ein Heim zugrunde gelegte Personalbedarf mit dem tatsächlichen Bestand übereinstimmt, benötigt man eine Personalübersicht mit genauen Angaben zu den Wochenarbeitszeiten sowie eine Übersicht über den aktuellen Pflegebedarf aller Bewohner. Weil es sehr aufwändig wäre, zeitnah – exakt die Personalstellen an veränderte Bewohnergegebenheiten anzupassen, werden zumeist Mittelwerte angenommen. So kann es vorkommen, dass sich der Personalschlüssel eines Wohnbereiches auf eine lange zurückliegende Pflegestufenverteilung bezieht, ohne dass dies jemand überprüft.

Beispiel Pflegeheim mit 63 Bewohnern (BW), 3 Wohnbereiche (WB)  je 21 BW, berechnet nach dem Stellenschlüssel in NRW:

Stand Anfang 2011
(Ausgangswert für den Stellenschlüssel)
Stand Ende 2012
Pflegestufe 0 =   5 BW.  :  8    =  0,6 Stellen
Pflegestufe 1 = 28 BW.  :  4    =  7,0 Stellen
Pflegestufe 2 = 21 BW.  :  2,5 =  8,4 Stellen
Pflegestufe 3 =   9 BW.  :  1,8 =  5,0 Stellen
Gesamt 21 Vollzeitstellen
(VZS)Rechnet man diese Stellen bei einer 38,5 Std/Wo auf 365 Tage im Jahr mit je 24 Stunden (drei Schichten) um, wird die Einrichtung im Frühdienst und im Spätdienst bestenfalls jeweils 5,5 Pflegekräfte für 63 BW einplanen können. Verteilt auf drei Wohnbereiche, bedeutet dies, dass der Tagdienst nicht einmal durchgehend mit 2 Pflegekräften in jedem Wohnbereich besetzt werden kann. Fällt dann noch ein Mitarbeiter krankheitsbedingt aus, wird es richtig eng. Die in solchen Fällen häufig kurzfristig eingesetzten Aushilfen, Zeitarbeitskräfte, sind selten eine wirkliche Hilfe. Sie kennen sich nicht aus, kennen die Bewohner nicht und es hat niemand Zeit, sie zu einzuarbeiten. Entsprechend hoch ist das Risiko für die Bewohner.
Stufe 0 =   1 BW.  :  8    =    0,12 Stellen
Stufe 1 = 21 BW.  :  4    =    5,25 Stellen
Stufe 2 = 26 BW.  :  2,5 =   10,40 Stellen
Stufe 3 = 15 BW.  :  1,8 =     8,30 StellenGesamt 24 Vollzeitstellen (VZS)Wird keine Anpassung vorgenommen, fehlten diesem Heim, Ende 2012, 3 Vollzeitkräfte. Auch mit 24 VZS kann bestenfalls sicher gestellt werden, dass im Frühdienst 2,5 und im Spätdienst 2 Pflegekräfte pro WB zur Verfügung stehen. Um Ausfälle sicher abfedern zu können, reicht auch diese Mitarbeiterzahl nicht.
Im Übrigen können Einrichtungen auf diese Weise unbemerkt Gewinn machen, da sie bei gleich bleibenden Personalkosten wesentlich höhere Einnahmen erzielen. Der an den Pflegestufen ausgerichtete Stellenschlüssel bietet viele Möglichkeiten unbemerkt zu Tricksen und zu Schummeln.

Weitere, häufig genutzte Möglichkeiten den Personalschlüssel zu unterlaufen, ergeben sich bei Kündigung, Mutterschutz und längerer Krankheit von Mitarbeitern, indem offenen Stellen lange nicht besetzt werden. Einzelne Heimträger gehen sogar soweit, Mitarbeiter auf den Personallisten und Dienstplänen weiter zu führen, die längst ausgeschieden sind oder in einem anderen Heim des Trägers arbeiten.

Ein Einschalten der Heimaufsicht führt in kaum einem Falle zum Ziel, da der Heimbetreiber natürlich darauf achtet, dass formal gesehen alles korrekt erscheint. Uns sind nur wenige Heimaufsichten bekannt, die sich die Mühe machen, hinter die Kulissen zu schauen, wenn Angehörige oder Mitarbeiter anrufen, weil sie sich z.B. fragen, warum bei 30 Bewohnern regelmäßig nur zwei Pflegekräfte im Spätdienst sind. Was kann man Pflegekräften raten, die beim besten Willen nicht wissen, wie sie bei solch einer Besetzung die Arbeit geschafft bekommen, ganz zu schweigen von der fehlenden Zeit für die Bedürfnisse der Bewohner nach Zuwendung? Überlastungsanzeigen wirken oft als zweischneidiges Schwert, vor allem wenn nur einzelne Pflegekräfte ihre Überlastung erklären, alle anderen aus Angst vor Nachteilen schweigen. Zudem müssen Pflegekräfte damit rechnen, in die Verantwortung genommen zu werden, wenn sie bekennen, die Pflege nicht in der erforderlichen Qualität sicherstellen zu können.

Selbst bei voller Ausschöpfung der Möglichkeiten, die das heutige Personalberechnungssystem bietet, reichen die Stellen nicht aus, um eine bedarfsgerechte individuelle Pflege und Betreuung sicher stellen zu können. Dies ist unstrittig, auch den politisch Verantwortlichen bekannt.

Um das Pflegepersonal zu entlasten, wurde 2008 die Regelung mit den Betreuungskräften nach § 87b SGB XI, getroffen. Für je 24 Bewohner mit Demenz kann die Einrichtung eine sog. „87b Kraft“ einstellen.  Diese in speziellen Kursen vorbereiteten Mitarbeiter werden nicht dem Stellenplan angerechnet. Da sie keine Fachkräfte sind, ist deren Vergütung auch bei Einrichtungen, die hierfür einen Tarif zu Grunde legen, am unteren Ende des Tarifgefüges angesiedelt. Die Pflegekasse übernimmt Kosten für eine 87b Vollzeitstelle derzeit in Höhe von: 24 BW X 113 € X 12 Monate = 32.544 € (Brutto-Arbeitgeberkosten)

Wie wir immer wieder hören, werden die Betreuungskräfte als eine wirkliche Bereicherung erlebt. Andererseits übernehmen diese Kräfte, die eigentlich schönsten Aufgaben in der Pflege. Die dreijährig ausgebildeten Pflegefachkräfte, bleiben mehr denn je, auf die Grund- und Behandlungspflege reduziert. Bereits vorher waren Fachkräfte frustriert, weil sie in der Praxis keine Zeit fanden für psychosoziale Betreuung. „Warum habe ich das alles lernen müssen, wenn ich im Heimalltag nicht dazu komme, mich überhaupt einmal in Ruhe zu den Bewohner hinzusetzen. Wir rödeln hier nur noch rum: Windelwechsel, Waschen, Duschen, Anziehen, raus aus dem Bett, rein ins Bett, zwischendurch Essen anreichen, Medikamente richten und verabreichen, Verbände anlegen. Und, das ist das Allerwichtigste, dokumentieren. Kaum hat man den einen sauber, wartet schon der nächste.“

Da auch das Personal im hauswirtschaftlichen Bereich sehr eng bemessen ist, müssen Pflegekräfte vielerorts sogar noch regelmäßig Aufräum- und Putzarbeiten mit übernehmen.

Zusätzlich können Heime ihr Personal durch Frauen/Männer entlasten, die nach den Regelungen des Berufsfreiwilligendienstes (BFD) eingesetzt werden. Diese können in der Summe jedoch bei Weitem nicht die Zivildienstleistenden (Zivis) ersetzen, deren Wegfall auch in der stationären Altenhilfe eine große Lücke hinterlassen hat. Zuletzt gab es insgesamt rund 90.000 Zivis. Der Bundesfreiwilligendienst ist jedoch auf 30.000 Teilnehmer gedeckelt worden. Die daneben ebenfalls vorhandenen Teilnehmer Freiwilliges Soziales Jahr (FSJler) gab es bereits zu Zivi-Zeiten, sie sind nicht mehr, sondern eher weniger geworden. Demnach fehlen seither defakto 60.000 helfenden Hände in den Einrichtungen.

Wie jeder weiß, garantiert eine  Aufstockung des Personals keineswegs bereits eine bessere Qualität der Arbeit. Nicht minder wichtig sind eine gute Organisation und ein gutes Arbeitsklima. Wo das Miteinander und die Kommunikation stimmt, passieren weniger Fehler, es gibt weniger Störungen die zusätzliche Arbeit machen. Werden zusätzliche Mitarbeiter nicht richtig integriert und fehlen klare Absprachen, wer für welche Bewohner und Aufgaben zuständig ist, steigt die Fehlerquote sogar eher noch, mit jedem der zusätzlich kommt.

Die Politik verweist gerne auf einzelne Heime, denen es, trotz des  unzureichenden Stellenschlüssels  gelingt, ein menschlich gutes Klima zu schaffen.  Woraus gefolgert wird: Wenn es denen gelingt, liegt es nicht am Personalschlüssel sondern an der Organisation. Um Anreize zur Verbesserung der Organisation und Einstellung zu setzen, hat die Politik verschiedene Leuchtturmprojekte initiiert. Nicht einmal eine Strohfeuerwirkung konnte damit entfacht werden. Nach unserer Feststellung werden die Leuchttürme unter den deutschen Heimen eher weniger als mehr.  Solange das  System  die falschen Anreize setzt, in dem es gute Pflege bestraft und schlechte belohnt, werden die wenigsten gegen diesen Strom anschwimmen.

Der schlechte Ruf deutscher Altenheime wird gespeist von den Erfahrungen der Menschen, die dort ein und ausgehen. Er steht im krassen Widerspruch zum Notendurchschnitt. Laut Pflegenoten ist alles Bestens. Warum sollten Heime grundlegendes verbessern, wenn die  vorgeschriebenen Prüfungen, das was sie anbieten mit  „sehr gut“ bewerten?  Laut Umfragen, ist eine der größten Ängste der Bundesbürger, die Vorstellung, jemals in ein Heim zu müssen.

Wie kamen die Personalschlüssel zu Stande?

Genau kann diese Frage anscheinend niemand beantworten. Recherchen des Pflege-Selbsthilfeverbandes ergaben, dass es sich bei den heutigen Anhaltszahlen um eine Fortschreibung der Richtwerte aus der Zeit handelt, als die Altenpflege noch über das BSHG (Bundessozialhilfegesetz) geregelt wurde. In den 1970iger Jahren bis 1995, als das SGB XI (Pflegeversicherungsgesetz) eingeführt wurde, kannte man in NRW folgende Regelung:

nicht pflegebedürftig:     1 : 20 (1 Pflegekraft auf 20 Bewohner)
pflegebedürftig:                1 : 5
schwer pflegebedürftig: 1 : 3

Dieser Schlüssel basierte wohl im Wesentlichen auf Erfahrungswerten und statistischen Erhebungen zur damals üblichen Personalausstattung. Eine bundesweit gültige Definition, ab wann jemand ‚pflegebedürftig‘ oder ’schwer pflegebedürftig‘ ist, gab es nicht. In NRW waren die Amtsärzte für die Einstufung zuständig. Der damalige Schlüssel diente vor allem dem Zweck, signifikante Abweichungen „Ausreißer“ vom üblichen Personalstandard zu verhindern. In den 1980er Jahren, wurden diese Werte im Rahmen vertraglicher „Fußnoten-Regelungen“ erweitert, so dass Heime, unter bestimmten Voraussetzungen, ein Mehr oder Weniger an Personal, rechtfertigen konnten.

Da beim BSHG-System rund 70 Prozent der Heimbewohner als „nicht pflegebedürftig“ eingestuft waren, wurde lange herumgerechnet, um die mit der Einführung des SGB XI befürchtete Personalaufstockung und somit Kostensteigerung für Heimplätze zu verhindern. Denn nach dem Pflegestufensystem des SGB XI, erfüllte eine Großteil jener Bewohner, die bis dahin als „nicht pflegebedürftig“ galten, die Kriterien der Pflegestufe I. 1995, nach  Einführung des SGB XI galten hingegen nur noch rund 20 Prozent der Heimbewohner als „nicht pflegebedürftig“ im Sinne der Pflegestufe 0. An ausgewählten Einrichtungen in verschiedenen Regionen wurde  zunächst die Verschiebungsrate der Bewohner aus dem BSHG- System in das SGB XI-Stufensystem ermittelt und im Weiteren ein Rechenmodell konstruiert, das keinem anderen Zwecke dienen sollte, als einen Stellenschlüssel festzulegen, der in der Summe dem zu BSHG Zeiten entsprach.

Ein Insider aus NRW berichtet wie das sog. Äquivalenzziffernverfahren damals ausgesehen hat, nach dem an einem bestimmten Stichtag, die alten Pflegesätze auf die neuen Pflegesätze

umgerechnet wurden. Dies geschah in der Weise, dass die zum Umstellungszeitpunkt vorhandenen Bewohner eines Heimes, mit ihrer Pflegeeinstufung nach altem Recht und den dazugehörigen Pflegesätzen, durch mathematische Umrechnungsverfahren ihren neuen,
dem SGB XI  entsprechen Pflegestufen und gültigen Pflegesätzen zugeordnet wurden. In der Summe aller neuen Pflegesätze entsprachen diese im Endergebnis exakt dem Betrag, der sich bisher mit den alten Pflegestufen und entsprechenden Pflegesätzen in der Einrichtung ergeben hatte. Schließlich sollten die Heime durch Einführung der Pflegeversicherung und Umstellung auf die neuen Pflegestufen und Pflegesätze ja keine Mehreinnahmen erzielen.

So kann angenommen werden, dass die bis heute geltenden Personalschlüssel, Resultate dieser Äquivalenzziffernverfahren sind. Dahinter steckte die Überlegung, wenn die Heime vor der Einführung der Pflegeversicherung mit dem Personal ausgekommen sind, können sie damit auch hinterher auskommen. Schließlich hat sich der Pflegebedarf der Bewohner nicht geändert, durch die Einführung der neuen Pflegestufen.

Den Kostenträgern und Leistungsanbietern, die im Wesentlichen an dieser Entwicklung beteiligt waren, ging es also nie darum, festzustellen, wie vieler Mitarbeiter es braucht, um eine dem individuellen Pflegebedarf entsprechende  „ausreichende“ Pflege in den Heimen gewährleisten zu können.

Negativer Einfluss der Pflegesatzverhandlung auf den Personalbestand

Heime, die auch weniger betuchte Menschen aufnehmen, können ihre Pflegesätze nicht selbst festlegen, sondern müssen sich einem, in §85 SGB XI definierten Verfahren unterziehen. Der Zweck dieser vorgeschriebenen Pflegesatzverhandlungen ist recht eindeutig. Im Wesentlichen geht es um Kostendeckelung. Heimträger, die ihren Pflegesatz anheben wollen/müssen, weil die Kosten gestiegen sind, müssen den Verhandlungspartner ihren Mehrbedarf erklären. Verhandlungspartner sind die sog. Kostenträger: Vertreter der Pflegekassen und der Sozialhilfe.
Reales BeispielDie Leitung eines Heimes mit 150 Plätzen, sah die Versorgung der Bewohner in der Nacht nur dann ausreichend gewährleistet, wenn 5 Nachtwachen eingesetzt werden. Schon im Vorjahr sei den Kostenträgern am Verhandlungstisch diese „Spitzenbesetzung“ ein Dorn im Auge gewesen. Bei dieser  Verhandlung wies der Vertreter der Kasse den Heimträger erneut darauf hin, dass selbst 4 Nachtwachen weit über dem Durchschnitt liegen, im Vergleich zu anderen, gleichgroßen Heimen der Region. Daraufhin erläuterte der Heimträger gemeinsam mit der Pflegedienstleitung und unter Hinzuziehung einer Stellungnahme der Heimaufsicht, die besondere bauliche Situation, aus der sich in der Vergangenheit problematische Situationen ergeben hatten. Nach einigem Hin und Her ließen sich die Kostenträger letztendlich überzeugen, und bewilligten schließlich doch die 5 Stellen.

An diesem Beispiel zeigt sich zugleich die widersinnige Rolle der Kassen. Welchen Vorteil haben die Pflegekassen davon, wenn Heime einen geringen Pflegesatz haben? Die Pflegekasse zahlt doch nicht mehr, wenn der Heimplatz teurer ist. Sie zahlt die festgelegten Einheitssätze je nach Pflegestufe. Müssten nicht die Kassen in erster Linie an einer guten Versorgung interessiert sein? Dass die Kommunen einen Vorteil von möglichst niedrigen Heimkosten haben, ist  verständlich, da die Sozialhilfe für die Differenz aufkommen muss, bei den Bürgern, die die Kosten nicht vollständig tragen können. Doch selbst zu diesem Zwecke bedürfte es keiner Pflegesatzverhandlungen. Denn alleine schon aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit sind Heimträger von ganz alleine bemüht, die Kosten gering zu halten. Vor allem in Regionen mit einem Überangebot an Heimplätzen, zeigt sich ein Preiskampf, der auf dem Rücken des Personals ausgetragen wird. Denn ein Heim, kann wirtschaftlich nur überleben, wenn die Belegung über der der Pflegesatzermittlung zu Grunde gelegten Auslastung liegt (in NRW also z. B. 98 %). Da Menschen, die einen Heimplatz suchen, natürlich auch aufs Geld schauen, bevorzugen sie das preiswertere Heim, wenn dieses vom äußeren Erscheinungsbild und der Lage akzeptabel erscheint. Die letzte Sicherheit gibt dem Heimplatzsuchenden, die im Eingang aushängende überall gleiche, sehr gute Pflegenote. Kann das preiswerte Heim außerdem noch den grünen Haken für Verbraucherfreundlichkeit, vorweisen, wähnen sich die Gutgläubigen auf der sicheren Seite. Wer die Wahl hat zwischen zwei Heimen mit gleich guten Bewertungen, aber einem Preisunterschied von mehreren 100 Euro/Monat, schaut in der Regel erst einmal auf das Geld. Nach dem Einzug stellen viele Angehörige erschrocken fest, dass es am nötigsten mangelt und sich das Personal vierteilen müsste, um den Bedürfnissen der Bewohner einigermaßen gerecht werden zu können.

Eine weitere Negativauswirkung der Pflegesatzverhandlung auf die Personalausstattung erklärte ein ehemaliger Heimleiter wie folgt: Während das System der Personalschlüssel fest steht, geht es bei den Pflegesatzverhandlungen um das Budget, welches die Kostenträger festlegen. Hat beispielsweise eine Einrichtung, die ihre Mitarbeiter nach Tarif bezahlt, viele ältere Mitarbeiter oder einen höheren Anteil an Fachkräften, hat sie höhere Personalkosten. Einrichtungen mit überwiegend jüngeren Mitarbeitern oder mit schlechteren Tarifverträgen, haben für die gleiche Anzahl an Personal weniger Kosten. Wir haben also auf der einen Seite den Personalschlüssel und auf der anderen das zur Verfügung stehende Budget. Rechnet man das Budget um, kommen Einrichtungen mit vielen langjährigen Mitarbeitern nicht auf den Personalschlüssel. Das bedeutet, dass am Ende nicht der Personalschlüssel die Besetzung regelt, sondern das in der Verhandlung genehmigte Budget.

Das wiederum hat zur Folge, dass manche Träger darauf kommen aus dem Tarifvertrag auszusteigen in dem sie eine GmbH gründen. Viele Träger, die früher Tariflöhne zahlten, haben einzelne Bereiche oder gar ihre gesamte Einrichtung in eine GmbH umgewandelt. Das geschieht seltener, als angenommen, aus Gewinnstreben, sondern weil ich als Heimleiter die Lohnkosten möglichst gering halten muss, damit ich in der Summe mehr Personal beschäftigen kann. Insofern muss man hier aufpassen, dass die Forderung eines höheren Personalschlüssels, nicht auf der anderen Seite die Lohnspirale noch weiter nach unten schraubt. Um das zu verhindern wird man auch in der Pflegebranche nicht umhinkommen, Mindestlöhne einzuführen.

„Nun muss man ja nicht nur teure Fachkräfte einstellen. Wir hatten in meiner Einrichtung zeitweise bis 75 % Fachkräfte. Das ließ sich aber durch die wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr halten. Also wurden mehr Hilfskräfte bzw. Assistenten eingestellt. Auch die Sozialarbeit (wir hatten einen Stellenschlüssel von ca. 2,5), wirkt ja in dem ganzen Geschehen mit. Allerdings kenne ich viele Einrichtungen, wo der Sozialdienst gar nicht vorhanden ist bzw. wo es eine „Basteltante“ gibt (und neuerdings die 87b Kräfte). Auch einen Stamm an Ehrenamtlichen braucht man. Die können zwar keine Fehlbesetzung beim Fachpersonal auffangen. Aber eine gute, flexible Planung und Leitungskräfte, die sich überlegen, wie es denn mit den vorhanden Möglichkeiten gehen kann, können schon viel schaffen.“

Alle Heimleiter, die an diesem Papier mitgewirkt haben erklären übereinstimmend: Das System nach dem die Pflegesätze heute verhandelt werden, ist ein Widerspruch an sich. Darum sollte man die Pflegesatzverhandlungen auf dem schnellsten Wege abschaffen!

Jedes Bundesland hat einen anderen Personalschlüssel

Erschwerend kommt hinzu, dass seit der Förderalismusreform 2006, durch die der öffentlich-rechtliche Teil des Heimrechtes auf die Bundesländer übertragen wurde, in der Bundesrepublik 16 unterschiedliche Regelungen gelten. Mit Ausnahme von Thüringen haben inzwischen alle Länder eigene Heimgesetze erlassen. Wer sich diese Gesetze im Einzelnen anschaut, fragt sich erst Recht, wem diese Regelung einen Vorteil bringen kann.

Bezogen auf die Vorgaben zur Personalausstattung, beschränken sich diese in den meisten Ländern auf folgende Angabe: Ein Heim darf nur betrieben werden, wenn der Träger sicherstellt, dass die Zahl der Beschäftigten und ihre persönliche und fachliche Eignung für die von ihnen zu leistende Tätigkeit aus reicht. Doch welche Zahl reicht aus? Um eine Beantwortung dieser Frage hat sich weder der Bund noch eines seiner Länder bisher bemüht.

Stufe 0 Stufe I Stufe II Stufe III
Baden-Württemberg.* 1 : 7  1: 3,5 1 : 2,5 1 : 1,8
Bayern* 1 : 7,8  1: 3,1 1 : 2,3 1 : 1,9
Berlin 1 : 8  1: 4 1 : 2,5 1 : 2,0
Brandenburg 1 : ?  1: 4,3 1 : 2,0 1 : 1,8
Bremen* 1 : 6,5  1: 3,9 1 : 2,4 1 : 1,9
Hamburg* 1 : 12,5  1: 4,1 1 : 2,4 1 : 1,7
Hessen 1 : 5  1: 3,4 1 : 2,4 1 : 1,9
Meklenb-Vorp.* 1 : 10  1: 4,6 1 : 3,0 1 : 2,0
Niedersachsen* 1 : 13  1: 4,1 1 : 2,7 1 : 2,0
NRW 1 : 8  1: 4 1 : 2,5 1 : 1,8
Rheinland-Pfalz* 1 : 8,6  1: 4,2 1 : 2,8 1 : 1,8
Saarland 1 : 7,6  1: 3,7 1 : 2,6 1 : 2
Sachsen 1 : 7,5  1: 4,8 1 : 3,5 1 : 2,5
Sachsen-Anhalt * 1 : 13  1: 4 1 : 2,7 1 : 2
Schleswig-Holstein* 1 : 10  1 : 5 1 : 3,5 1 :  2,5
Thüringen 1 : 2,83  1: 2,83 1 : 2,83 1 : 2,83

Tabelle Länderübersicht:

Es war gar nicht so einfach, die Personalschlüssel in allen Bundesländern ausfindig zu machen. In den mit * gekennzeichneten Ländern wollte man sich nicht auf einen festen Schlüssel festlegen, sondern überlässt dies den Pflegesatzverhandlern. In unserer Tabelle wurde der Durchschnittswert aus den ‚von – bis‘ Angaben je Stufe, angenommen. Nach welchen Gesichtspunkten die Schlüssel ermittelt wurden, konnte niemand schlüssig erklären. Evidenzbasiert ist keine dieser Zahlen.

Auswirkung der Stellenschlüssel auf die Personalbesetzung

Am Beispiel eines Heimes mit 63 Bewohnern, wollen wir im Folgenden zeigen wie sich die unterschiedlichen Stellenschlüssel auswirken. Die Anzahl der Bewohner je Pflegestufe entspricht der statistischen Verteilung.

Stufe I     24 Bewohner     (abgerundet  38 % von 63)
Stufe II    26  Bewohner    (aufgerundet 40 % von 63)
Stufe III   13  Bewohner    (aufgerundet 20 % von 63)

(Stufe 0 und Härtefälle bilden zusammen 2 Prozent – die auch deshalb hier vernachlässigt werden, weil in den Länderschlüsseln dazu nicht überall Angaben zu finden waren.  Die Zahlen entsprechen der durchschnittlichen Heimgröße und Verteilung – lt. Statistischem Bundesamt –Bericht 2011)

Wie aus der folgenden Tabelle ersehen werden kann, haben Bayern und Brandenburg mit rund 26 Vollzeitstellen (VZS) für 63 Bewohner, den höchsten Stellenschlüssel, während Schleswig-Holstein und Sachsen für Heime der gleichen Größe nur 17 bis 18 Stellen vorsehen. In den Heimen dieser beiden Länder sind also für die gleiche Arbeit 8-9 Vollzeitmitarbeiter weniger eingeplant.  Thüringen hat als einziges Bundesland einen  pflegestufenunabhängigen Stellenschlüssel (1: 2,83). Bildet man einen Durchschnittswert aus allen Länderschlüsseln in dem hier vorgestellten Vergleich (siehe Tabelle) kommt man auf 1 : 2,88.

Stufe I Stufe II Stufe III VZS
Baden-Württemb.  24 : 3,5= 6,85 26 : 2,5= 10,4 13 : 1,8 = 7,2 24,47
Bayern  24 : 3,1= 7.74 26 : 2,3 = 11,3 13 : 1,9= 6,8 25,88
Berlin 24 : 4 = 6 26 : 2,5 = 10,4 13 : 2,0 = 6,5 22,8
Brandenburg 24 : 4,3 = 5,58 26 : 2,0= 13 13 : 1,8 = 7,2 25,8
Bremen 24 : 3,9 = 6,1 26 :2,4 = 10,83 13 : 1,9 = 6,84 23,77
Hamburg 24 : 4,1 = 5,85 26 :2,4 = 10,83 13 : 1,7 = 7,6 24,32
Hessen 24 : 3,4 = 7,0 26 :2,4 = 10,83 13 : 1,9 =6,84 24,67
Meklenb-Vorp. 24 : 4,6 = 5,21 26 : 3,0 = 8,66 13 : 2,0 = 6,5 20.37
Niedersachsen 24 : 4,1= 5,85 26 : 2,7= 9,62 13 : 2,0 = 6,5 21,97
NRW 24 : 4= 6 26 : 2,5= 10,4 13 : 1,8 = 7,2 23,6
RLP 24 : 4,2= 5,51 26 : 2,8 = 9,28 13 : 1,8 = 7,2 21,99
Saarland 24 : 3,7= 6.48 26 : 2,6 = 10 13 : 2 = 6,5 22,98
Sachsen 24 : 4,8 = 5 26 : 3,5 = 7,42 13 : 2,5 =5,2 17,62
Sachsen-Anhalt 24 : 4 = 6 26 : 2,7 = 9,62 13 : 2 = 6,5 22,12
Schleswig-Holstein 24 : 5 = 4,8 26 : 3,5= 7,42 13 :  2,5 = 5,2 17,42
Thüringen 24 :2,83 = 8,48 26 : 2,83= 9,1 13 :2,83 =4,59 22,17

Durchschnittswert aller Länder: 21,88 VZ-Stellen, Schlüssel 1: 2,88  (63 Bew. : 21,88 Stellen)

Evidenzbasierte Personalbemessung erscheint zu teuer und zu aufwendig.

Bislang gab es bundesweit zwei Ansätze zur Entwicklung oder Einführung einer evidenzbasierten Personalbemessung, die jedoch, weil man eine deutliche Kostensteigerung verhindern wollte in der Versenkung verschwanden.  Viele erinnern sich wohl noch an PLAISIR, ein in Kanada entwickeltes Pflegebedarfs- und Personalbemessungsverfahren für Bewohner/-innen von Einrichtungen der Langzeitpflege, für dessen Implementierung sich das KDA (Kuratorium Deutsche Altershilfe) stark gemacht hatte. Zwischen Dez. 1999 und Ende 2002, wurde das Verfahren an insgesamt 10.239 Bewohnern deutscher Heime evaluiert. Die Einführung schien fast schon beschlossen, als es plötzlich hieß, dass dieses Verfahren urheberrechtlich geschützt sei bzw. die Lizenzkosten zu hoch wären. Tatsächlich erschien das System vielen, die es in der Erprobungsphase erlebt oder nach praktischen Gesichtspunkten bewertet hatten, zu aufwändig und zu kompliziert.

Zwischen 2004 und 2006 wurde mit dem Referenzmodell NRW ein zweiter Anlauf unternommen, „Leistungsbeschreibungen und übergeordnete Qualitätsmaßstäbe zur Verbesserung der Pflege und Betreuung von Bewohnern in vollstationärer Altenpflege in 20 Referenzeinrichtungen beispielgebend zu entwickeln und zu erproben.“   Das Einzige was bei diesem als wegweisend angepriesenen Großprojekt herauskam, ist ein gut 400 Seiten starker Bericht mit Ergebnissen und Empfehlungen, denen darüber hinaus bis heute keine Beachtung geschenkt wurde.

Seitdem tut sich deutschlandweit gar nichts.

Hauptverantwortlich für die chronische Unterbesetzung unserer Heime ist eine Politik des Wegsehens und Schönredens.

Da die Bundesländer verantwortlich sind, müsste ein Land den Anfang machen. Besser wäre jedoch eine bundesweit gültige Lösung. Schließlich haben pflegebedürftige Menschen in Sachsen das gleiche Anrecht auf menschenwürdige Pflege. Und die Pflegekräfte in Sachsen, haben auch nur zwei Hände.

Alternative
Personalberechnung orientiert an Mindestbesetzung

Statt des bisherigen Systems, das sich an den Pflegestufen orientiert, stellen wir uns eine Berechnung vor, die von einer „ausreichenden“ Personalbesetzung pro Dienstzeit ausgeht.

In einem ersten Schritt wäre festzustellen, welche Besetzung von den Pflegenden wie den Gepflegten als „ausreichend“ empfunden wird und zufrieden stellende Ergebnisse gewährleistet.  Dabei sollte die Politik nicht warten, bis eine Studie betreffende Daten ermittelt hat. Vor allem sollte nicht weitere Zeit verstreichen.

Bei unserer Modellrechnung gehen wir von den uns bekannten Erfahrungswerten aus.  Als  „ausreichende“  Besetzung für den Tagdienst, könnten wir einem Schlüssel von 1: 8 zustimmen. Denn eine Pflegekraft (PK) kann erfahrungsgemäß bis zu 8 Bewohner mit der nötigen Ruhe im Tagdienst betreuen. Darüber hinaus wird es kritisch.  Nachts fordern wir eine Nachtwache pro Wohnbereich bzw. einen Schlüssel von 1:30.

Beispielrechnung für ein Heim mit 63 Plätzen ließe sich nach diesem Modell der Personalschlüssel wie folgt ermitteln:

Personalbedarf Tagdienst

Frühdienst (7,5 Std)       63 BW : 8 PK = 7,87 PK

Spätdienst (7,5 Std)       63 BW : 8 PK = 7,87 PK

15,75 PK x 7,5 Std = 118 MStd/Tag
Mitarbeiterstunden (MStd) pro Jahr:      365 Tage x 118 = 43070 MStd/Jahr

Personalbedarf Nachtdienst (9 Std, Schlüssel 1 : 30)
63 BW : 30 = 2,1 PK  x  9 Std  = rd. 19 MStd/Nacht  x 365 Tage = 6935 MStd/Nacht/Jahr

Mitarbeiterstunden Tag- und Nachtdienst

43070 MStd/Tag + 6935 MStd/Nacht = 50.005, zzgl 20 Prozent, für Urlaub, Krankheit, Fortbildung (üblicher Pauschalsatz) 50005 x 0,20 = 10001

50005 + 10001 = 60006 MStd die übers Jahr personell abgedeckt werden müssen

Umrechnung auf Vollzeitstellen (bei 38,5 Stunden/Woche)

60006 MStd : 52 Wochen : 38,5 Stunden pro Woche = 30 VZS (aufgerundet)

30 VZS bei 63 BW ergibt den Stellenschlüssel   1 : 2,1

Personalberechnung im Vergleich

 

  Heutiges System
Berechnung orientiert an Pflegestufen und Pflegesätzen 
Alternative
Berechnung orientiert an Mindestbesetzung
Nachvollziehbarkeit Die Stellenschlüssel der Länder sind nicht nachvollziehbar.  Kein Bundesland kann eine plausible Berechnungsgrundlage für die Zahlen vorlegen. Die Berechnung orientiert sich an der Praxis, sie ist klar und für jedermann verständlich. Sie lässt sich pflegestufenunabhängig jederzeit und überall leicht anwenden.
Zuverlässigkeit Intransparent von A-Z.
Sogar die Heimaufsicht die sich eigentlich auskennen müsste, kapituliert in der Regel, angesichts der Schlupflöcher, mit denen der Personalschlüssel unterlaufen werden kann.
Die wohl einfachste und sicherste Methode, um die vorgegebene mit der tatsächlichen   Personalbesetzung vergleichen zu können.
Bedarfgerecht Mangelhaft bis Ungenügend kann man hier nur feststellen. Selbst in den Bundesländern mit einem verhältnismäßig guten Stellenschlüssel, klagen Mitarbeiter wegen Überlastung. Der in unserem Beispiel ermittelte  Schlüssel von 1 : 2,1 dürfte auf jeden Fall zu einem entspannteren Arbeiten beitragen. Zufriedenheit und Verweildauer im Beruf erhöhen sowie das Image der Pflege verbessern.
Auswirkung auf  Personal Dieses System bedingt eine Negativspirale: Zuwenig Personal – permanente Überlastung – häufige Krankheit – angespanntes Klima – frühzeitiger Ausstieg – häufige Pflegefehler schlechtes Image – Personalnotstand in der BRD wächst Dieses System ermöglicht eine Positivspirale: Ausreichend Personal – entspanntes Klima – weniger Krankheiten – längere Verweildauer im Beruf – besseres Image – mehr Interesse für den Beruf – Pflegenotstand baut sich ab
Auswirkung auf Bewohner Negativspirale bei zu wenig Personal:  Individuellen Bedürfnissen kann kaum entsprochen werden – Bewohner fühlen sich abgefertigt – entwickeln Verhaltensauffälligkeiten (Pflegeaufwand steigt) – werden ruhig gestellt – verlieren Selbstständigkeit und Selbstachtung – ziehen sich zurück. Es ist bekannt, dass mangelnde Zuwendung  Depression, Regression und Demenz fördert. Positivspirale bei genügend Personal:  Individuellen Bedürfnissen kann besser entsprochen werden,  Bewohner entwickeln vertrauen, integrieren sich ohne Verhaltsauffälligkeiten (weniger Pflegeaufwand), werden nicht ruhig gestellt und fixiert, können am Leben teilnehmen, bleiben in Beziehung und behalten ihre Würde in der letzten Lebensphase bis zum Tod.
Wirtschaftlichkeit Die Personalkosten, die man durch zu knapp kalkulierte Stellenschlüssel einsparen will, zahlt man an anderen Stellen drauf. In Form von Behandlungskosten, die durch Stürze, Austrocknung, Mangelernährung, Bewegungsmangel, Depression, Aggression und Unruhe entstehen. Sowie Behandlungskosten auf Grund der hohen Krankheitsrate der Pflegekräfte, die nicht selten in Erwerbsunfähigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit endet. Außerdem kostet die Einstufung Geld, in Form zahlreicher Mitarbeiter beim MDK, die diese vornehmen. Die höheren Personalkosten, die durch diese Verbesserung der Personalbesetzung entstehen, zahlen sich an anderer Stelle mit Sicherheit wieder aus: In Form geringer Behandlungskosten, weil es seltener zu den nebenstehenden Ergebnissen mangelhafter Pflege kommt. Weniger Krankenhausaufenthalte, weniger Arztbesuchte, weniger Medikamente.
Gesünderes Personal, das länger in der praktischen Pflege tätig bleibt und eher in der Lage ist bis ins Rentenalter Vollzeit zu arbeiten.

 

Mit dem Pflegestufensystem wird schlechte Pflege belohnt und gute bestraft

Neben den oben beschriebenen negativen Auswirkungen  pflegestufenbezogener Pflegesätze und Personalschlüssel, steht diese Regelung im Widerspruch zur aktivierenden, präventiven oder rehabilitativen Pflege, wie sie §2 und §5 des SGB XI ausdrücklich fordert.
Zur Verdeutlichung und Erinnerung:
§ 2  (1) Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wiederzugewinnen oder zu erhalten.
§ 5 (1) Die Pflegekassen wirken bei den zuständigen Leistungsträgern darauf hin, dass frühzeitig alle geeigneten Maßnahmen der Prävention, der Krankenbehandlung und der Rehabilitation eingeleitet werden, um den Eintritt von Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. § 5 (2) Die Leistungsträger haben im Rahmen ihres Leistungsrechts auch nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit ihre medizinischen und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation in vollem Umfange einzusetzen und darauf hinzuwirken, die Pflegebedürftigkeit zu überwinden, zu mindern sowie eine Verschlimmerung zu verhindern.“
Das Regelwerk zur Umsetzung dieser Paragraphen wirkt jedoch in die entgegengesetzte Richtung:

In der Praxis setzen sich die Pflegekassen bei den Pflegesatzverhandlungen für Personaldeckelung ein. Beispiel: Heimträger müssen Gutachten und Erklärungen vorlegen wenn sie mehr als die übliche Anzahl von Nachtwachen einplanen. „Wieso brauchen Sie 5 Nachtwachen, die meisten Heime ihrer Größe kommen mit 3 aus, einige sogar mit 2 (für 150 Bewohner).“ Solche Nachtdienstbesetzungen sind doch überhaupt nur möglich, weil es üblich ist, die Bewohner medikamentös so einzustellen, dass sie ruhig liegen bleiben. Auf diese Weise werden vorher noch mobile Menschen binnen weniger Tage immobilisiert.

In der Praxis setzen sich die Pflegekassen außerdem für die Deckelung der Leistungsausschüttung ein. Mancherorts ist es ganz offensichtlich, dass die MDK Gutachter angewiesen werden Höherstufungsanträge kritisch zu bescheiden. Kann aus der Dokumentation nicht zweifelsfrei herausgelesen werden, dass ein Hilfebedarf besteht, der eine Höherstufung rechtfertigt, werden die Anträge abgelehnt. In Essen haben sich aus diesem Grunde einige Heimleiter zusammengeschlossen. Seit Jahren legen diese sich regelmäßig mit dem MDK an, haben, über zeitraubende Widerspruchsverfahren in hunderten von Fällen, die Anerkennung der höheren Pflegestufe, erstritten: „Wir tun das nicht aus Streitlust oder weil wir Gewinne erwirtschaften wollen, sondern weil wir sonst das Personal nicht bezahlen können, das wir brauchen um unsere Bewohner vernünftig pflegen zu können“ Andere tun sich und den Angehörigen diesen Stress nicht an.

In der Praxis bestrafen sich die Heime selbst, wenn sie einen Bewohner soweit aktiviert haben, dass er Dinge, die er vorher nicht mehr konnte, wieder kann. Korrekterweise müsste in solchen Fällen ein Antrag auf Herunterstufung gestellt werden. Die Fälle, in denen dass vorgekommen ist, dürften jedoch unter einem Prozent liegen. Oft ist es so, dass die Mitarbeiter angehalten werden, Aktivierungserfolge nicht zu dokumentieren. Die Regel dürfte sein, dass nur einpaar wenige Idealisten unter den Heimbetreibern, Wert darauf legen, dass ihre Bewohner aktiv und mobil bleiben oder wieder auf die Beine kommen. Ob Aktivierung gelingt oder nicht, hängt vor allem vom Kopf des Hauses ab. Welche Ziele, welche Prioritäten setzt die Heimleitung? Wie wichtig ist es ihr, dass kein Bewohner fixiert und ruhig gestellt wird? Ist ihr dies ein zentrales Anliegen, wird sie gemeinsam mit den (wenigen) Mitarbeiten Alternativen finden. Ist es ihr wichtiger, keine Scherereien zu bekommen, weil Bewohner stürzen oder in fremde Zimmer laufen etc., werden in diesem Heim unruhige und sturzgefährdete Bewohner „sicherungsverwahrt“, wie ein Angehöriger seine Beobachtung bei den täglichen Besuchen nannte. Auch diese Heime erhalten sehr gute Noten und den grünen Haken, denn sie erfüllen schließlich die dafür gesetzten Maßstäbe.

Durch dieses System werden die Heime förmlich gezwungen, dafür zu sorgen, dass die Bewohner möglichst hoch eingestuft sind. Fast täglich hören wir von Angehörigen, dass z.B. die Mutter, binnen weniger Tage nach Einzug ins Heim, ihre vorherige Selbstständigkeit verloren hat. Oder es kommen Meldungen wie diese: „Heute wurde ich von der Pflegedienstleiterin gebeten, einen Antrag auf Höherstufung bei der Kasse zu stellen. Auf meine Frage nach dem Warum, erklärte sie mir, dass man meine Mutter sonst nicht, ihrem Pflegebedarf entsprechend, versorgen könne. Ihre Pflege sei zeitaufwendiger geworden, das Budget der Pflegestufe 1 reiche dafür nicht aus. Darf das Heim meiner Mutter die nötige Pflege verweigern, wenn ich den Antrag nicht stelle und sie in Stufe 1 bleibt?“ Angehörige haben für die Höherstufungen nur dann Verständnis, wenn sie die Zusammenhänge durchschauen und mit der Pflege zufrieden sind. Kein Angehöriger hat jedoch Verständnis, der nach der Höherstufung die gleichen Mängel feststellt. „Vorher waren nur 2 Schwestern auf der Station hinterher ebenso. Was soll sich da verbessern? Die verbringen anschließend keine Minute mehr Zeit bei meiner Mutter“. Der einzige Effekt den Bewohner/Angehörige nach einer Höherstufung sehen, ist, dass sie rund 400 Euro im Monat mehr zahlen müssen. Auf diesem Nährboden wächst Unzufriedenheit. „Die zocken die Leute ab und lassen sie nach der Höherstufung genauso in ihrem Dreck liegen, wie vorher“, schrieb eine erboste Tochter.
So haben wir dieses Papier nicht zuletzt geschrieben, um den vielen Angehörigen, die sich deshalb an den Pflege-SHV wenden, die Zusammenhänge besser klar machen zu können

Wer hat einen Vorteil von dieser Regelung? Allenfalls die vielen Tausend Pflegefachkräfte, die der MDK zu dem Zweck einstellen musste, die Pflegestufe festzustellen. Diese mögen sich freuen, sie haben jedes Wochenende frei, müssen nicht damit rechnen aus ihren freien Tagen abgerufen zu werden, weil es auf Station wieder einmal brennt. Sie kennen ihre Arbeitszeiten und müssen nicht, wie die Kolleginnen im Heim, täglich mit Dienstplanänderungen rechnen oder Überstunden machen. Außerdem zahlt der MDK den Pflegefachkräften einen tarifgemäßen, ordentlichen Lohn. Die Gehälter dieser Fachkräfte werden aus der Pflegekasse bezahlt.

Es wäre interessant zu erfahren, auf welche Summe sich der Aufwand beläuft, der zum Zwecke der Einstufungen betrieben wird. Angaben dazu obliegen scheinbar der Geheimhaltung. Fest steht, dieses Geld kommt den Pflegebedürftigen nicht zu gute, sondern stützt ein System, das den Pflegebedarf fördert, indem sich fehlende Aktivierung und Verschlechterung bezahlt machen, hingegen Prävention und Rehabilitation sich negativ auf die Einnahmen und Personalstellen auswirken.

Alternative

Einheitliche Pflegesätze und einheitliche Leistung der Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigen die im Heim leben.

Aktuell verhandelt das Heim für jede Pflegestufe separat einen Pflegesatz und die Pflegekasse übernimmt pro Pflegestufe einen gesetzlich bestimmten Betrag.

In dem nachfolgenden Beispiel, setzen wir in die Rubrik „verhandelter Pflegesatz“ den Betrag aus einem uns bekannten Heim an. Es handelt sich um die Summe pflegebezogener Aufwendungen an denen sich die Pflegekasse beteiligt. Hinzu kommen die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, sowie Investitionskosten.

verhandelter Pflegesatz abzüglich Leistung
der Pflegekasse
Betrag den der Bewohner selbst zahlt
Pflegestufe 1 1470 € 1023 €   447 €
Pflegestufe 2 2100 € 1279 €   821 €
Pflegestufe 3 2790 € 1550 € 1240 €

Zur Ermittlung durchschnittlicher Sätze nehmen wir wieder unser Musterheim mit 63 Bewohnern, davon 24 Stufe I,  26 Stufe II, 13 Stufe III

Pflegesatz

24 BW x 1470 € = 35280 €
26 BW x 2100 € = 54600 €
13 BW x 2790 € = 36270 €
126150 €  : 63 BW = 2002 €

Diese Einrichtung würde auf die gleichen monatlichen Einnahmen kommen, wenn alle 63 Bewohner für die Pflege einen Betrag von 2002 € monatlich zahlten.

Leistungssatz Pflegekasse

24 BW x 1023 € = 24552 €
26 BW x 1279 € = 33254 €
13 BW x 1550 € = 20150 €
77956 €  : 63 BW = 1237 €
Die Pflegekasse würde auf die gleiche Ausgabensumme kommen, wenn sie für alle 63 Bewohner 1237€ zahlte

Alle 63 Bewohner müsste in diesem Falle 765 € für ihre Pflege im Heim zahlen, zzgl. Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten.

Für den Umstieg von der Pflegestufen- auf die von uns empfohlene  Mindestbesetzungsregelung kann es hilfreich sein, sich an solchen Durchschnittswerten zu orientieren. Einfacher geht das jedoch, geht man stattdessen von den pflegebezogenen Aufwendungen der Einrichtung aus. Unter dem „Pflege- Aufwand pro Jahr“, wie es im Pflegesatzverhandlungspapier heißt, summieren sich neben den Lohnkosten für das Pflegepersonal auch die anteiligen Kosten des übrigen Personals (von der Verwaltung bis zum Hausmeister) sowie verschiedene Sachkosten.

Angenommen in unserm Musterheim mit 63 Bewohnern, beträgt der Pflege-Aufwand pro Jahr 1.600.000 €, so würde sich daraus ein Pflegesatz von 2116€ errechnen (1.600000 : 12 Monate : 63 Bewohner = 2116 €)  Zieht man davon die 1237€ Kassenleistung ab, müsste der Bewohner 879 € selbst aufbringen.

Mit diesen Beispielen und Berechnungen soll zunächst lediglich, in einer auch für nicht Insider verständlichen Weise, gezeigt werden, dass es viel einfacher wäre, die Pflegestufen aus der ganzen Berechnung komplett raus zulassen. Heimträger, die sich in den rund 17 Jahren, in denen die Pflegestufenregelung angewandt wird, damit arrangiert haben, die jeden Winkelzug und jedes Schlupfloch kennen, mögen sich das vielleicht gar nicht vorstellen können oder wollen, über den hier vorgeschlagenen  einfachen Rechenweg zu gleichen Ergebnissen kommen zu können.

Wer soll das Bezahlen?

Es muss jedem klar sein, dass ein höherer Personalschlüssel zu höheren Pflegesätzen führt. Die Pflege im Heim wird also entsprechend teurer. Ob sie am Ende wirklich teurer wird, muss bezweifelt werden. Alleine durch Abschaffung des widersinnigen Pflegestufensystems könnte sehr viel Verdruss und Geld gespart werden.

Im ersten Schritt empfehlen wir der Politik die Kosten ermitteln zu lassen, die durch das Pflegestufensystem, die Pflegesatzverhandlungen sowie die Pflegenoten in den stationären Einrichtungen entstehen. Denn die Aufwendungen für diese im Ergebnis nachteiligen Regelungen, werden aus dem Topf der Pflegeversicherung bezahlt.

Vermutlich reicht der ermittelte Betrag, um durch Streichung dieser Regelungen mehr als die Hälfe der höheren Pflegesätze auffangen zu können.

Darüber hinaus plädieren wir dafür auch die Krankenkassen an der stationären Pflege zu beteiligt, denn diese können bei einer besseren Personalausstattung davon ausgehen, dass sehr viel weniger Medikamente, weniger Arztbesuche und Krankenhausaufnahmen bei Heimbewohnern anfallen. Laut Schätzungen der Barmer, könnten die Einsparungen bei 30 Prozent liegen. Auch die zu erwartende Senkung der Krankheitsrate bei den Pflegekräften dürfte zu deutlichen Einsparungen bei den Kassen führen. Wir plädieren auch aus einem anderen Grunde dafür, die Krankenkasse an den Kosten für die Heimpflege zu beteiligen. Immer häufiger werden schwerstkranke, intensivpflegebedürftige Menschen von den Krankenhäusern in die Heime verschoben, bis hin zu Beatmungspatienten. Fachkräfte in (normalen) Altenpflegeheimen, bestellen, richten, verabreichen und überwachen die gesamte   Medikamentenversorgung, kontrollieren Blutzuckerwerte, spritzen Insulin, legen Katheter, wechseln Infusionen, versorgen Wunden, legen Verbände an, wechseln sogar Trachialkanülen, führen aufwändige Speziallagerungen durch, führen Überwachungsprotokolle. Die Anforderungen werden denen der Pflege im Krankenhaus immer ähnlicher.   Viele Heime weigern sich Patienten mit hohem Behandlungspfegeaufwand aufzunehmen, weil sie für solche Fälle keine Aufwandsentschädigung bekommen. Während ambulante Pflegedienste, alle Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege gesondert über die Krankenkasse abrechnen können, fallen diese Maßnahmen bei der stationären Pflege in den Topf des Pflegesatzes.
Dass die Krankenkassen bei der Pflege im Heim überhaupt nicht beteiligt werden, widerspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung.  Weshalb werden die Aufwendungen für die medizinische Behandlungspflege in der stationären Altenhilfe, seit Einführung der Pflegeversicherung 1996,  weder von der Krankenkasse noch von der Pflegekasse übernommen werden?

Wo ein Wille ist, das Problem zu lösen, finden sich auch Wege.

Auch für hilfe- und pflegebedürftiger Menschen, gelten Grundrechte. Es ist eine Schande, dass in einem der wohlhabendsten Länder, pflegebedürftige alte Menschen aus Kostengründen fixiert und ruhig gestellt werden.

Quelle , PDF: personalschluessel_altenheim_032013_0_, Pflege-SHV, März 2013


Adelheid von Stösser im März 2013

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