Altenpflegerin: Früher hätte ich mich über ein Lob gefreut

Fragt man Politiker*innen worin diese die Ursache und Lösung  für den drohenden Kollaps in der Pflege sehen, setzen diese mit schöner Regelmäßigkeit  auf Imagekampagnen. Der Beruf muss attraktiver werden. Den Pflegekräften muss mehr Anerkennung und Lob entgegengebracht werden. Fragt man die Pflegenden, erfährt man, dass es mit Lobhudelei eben gerade nicht getan ist.

Heimbetreiber werfen Kritikern wie Claus Fussek vor, sie würden die Pflege schlecht reden und  Medien seien nur an Skandalen interessiert.   Wir würden uns hingegen noch viel mehr öffentliche Kritik an den Zuständen  in der Pflege wünschen, angesichts des tatsächlichen Ausmaßes.

Pflegende wollen nicht dafür gelobt werden, dass sie Verständnis für die ständigen Dienstplanänderungen haben,weil wieder jemand ausgefallen ist und dergleichen.  Sie wollen mit dem guten Gefühl nach Hause fahren, den Alten und Kranken gegebenüber.  Sie wollen kein Lob dafür, dass sie eine immer größere Anzahl pflegebedürftiger Menschen  in immer kürzerer Zeit abfertigen können.    Tatsächlich käme es einem Armutszeugnis gleich, würden Pflegende öffentlich dafür gelobt, wenn sie verständnisvoll mit den Kranken umgehen und dafür sorgen, dass Patienten/Bewohner angemessen ernährt werden und nicht stundenlang warten müssen, bis jemand Zeit hat, sie zur Toilette zu begleiten. Denn das sollte Selbstverständlich sein, dass versteht man unter menschenwürdiger Pflege.  Außerdem ist dies der Anspruch, den Pflegende selbst an sich und ihre Arbeit stellen – sofern sie noch nicht völlig abgestumpft sind und den Unterschied wahrnehmen, zwischen einer lobenswerten Pflege und einer für die man sich eher schämen müsste.

Der folgende Text stammt von der Altenpflegerin Anne Hallinger, die leider viel zu früh verstorben ist:

Früher hätte ich mich über ein Lob gefreut

Und heute . . . ?

Als ich vor knapp 20 Jahren in der Altenpflege angefangen habe, hätte ich mich sicher über ein Lob von Vorgesetzten gefreut, wenn ich meine Arbeit besonders gut gemacht hatte.

Aber wenn ich genau überlege, war das gar nicht nötig. Wir alle hatten viel Spaß bei der Arbeit, sowohl im Team als auch und besonders mit ‚unseren“ Heimbewohnen.

Wir waren mit den Bewohnern und deren Angehörigen eine Familie, wir hatten Zeit, wir konnten zuhören, wir kannten die Nöte der Bewohner und niemand musste gegenüber den Kollegen ein schlechtes Gewissen haben, wenn er bei einem Bewohner mal mehr Zeit „verplempert“ hatte.

Obwohl das Wort „ganzheitlich“ damals noch ziemlich unbekannt war, haben wir es getan. Wir haben instinktiv ganzheitlich gepflegt.

Und heute? Heute werde ich gelobt. Ich werde nicht gelobt, weil meine Arbeit (ich möchte hier nicht von „Pflege“ sprechen, denn Pflege ist für mich sehr viel mehr als Minimalversorgung) besonders gut ist. Ich werde gelobt, weil ich meine Arbeit schön rede. Ich werde gelobt, weil ich potentiellen Interessenten als reell verkaufe, was zwar in meinem Kopf ist, im Arbeitsalltag unter den gegebenen Bedingungen aber niemals umsetzbar ist. Ich werde gelobt, weil die Dokumentation perfekt geführt wird (Papier ist geduldig) und ich werde gelobt, weil ich den Prüfungsorganen nicht die Wahrheit sage. Ich werde gelobt, weil ich lüge !  Und diese Lügen sind im Sinne meiner Vorgesetzten. Und solange ich lüge, bin ich bei meinen Vorgesetzten anerkannt, habe meine Ruhe (Der pflegebedürftige Heimbewohner spielt dabei überhaupt keine Rolle, ist lediglich der Geldgeber).

Warum ich das tue ? Ich lüge nicht (mehr). Ich prostituiere mich nicht mehr für meinen Arbeitgeber. Ich rede nichts mehr schön. Ich sage, wie es ist, auch den Kontrollorganen. Ich rebelliere und bin unbequem. Jeder, der Unrecht an den Bewohnern zu verantworten hat, kann sich wehren. Nur kaum ein Bewohner kann sich gegen ihm zugeführtes Unrecht wehren. Der Bewohner ist mir vorrangig. Wenn die Dokumentation nicht korrekt geführt und  andere administrativen Arbeiten liegen bleiben, weil ich mir mehr Zeit für unsere Bewohner nehme — Na und?

Im Mittelpunkt unseres Handelns steht der Mensch — so oder ähnlich beginnen die Pflegeleitbilder der Altenheime. Warum nur lese ich immer: Im Mittelpunkt unseres Handelns steht das Geld des Menschen?

Solange die Pflegeleitbilder nicht wortwörtlich umgesetzt werden können, solange wollen und brauchen wir Pflegekräfte keine verlogenen Lobeshymnen.

Und wenn das Pflegeleitbild in jedem Haus korrekt umgesetzt wird, dann brauchen wir erst recht kein Lob. Dann ist uns ein Lächeln, dann sind uns wache, strahlende Augen der Bewohner weit mehr Wert und ehrlicher als ein Lob unserer Vorgesetzten.

Ich bin bei meinen Vorgesetzten nicht mehr anerkannt, ich habe nicht mehr meine Ruhe, ich werde beobachtet und kontrolliert, ich bin unbequem. Das alles ist sehr anstrengend für mich — und es geht mir gut damit. Ich bin wieder Ich.

Anne H. (2007)


Für eine Pflege die Lob und Anerkennung verdient!

www.pflegeethik.zusammenhandeln.org

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