Gegen die Zulassung fremdnütziger Forschung an Demenzkranken

Das bisher geltende Verbot einer fremdnützigen bzw. „gruppennützigen Forschung“, mit nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen – soll zukünftig erlaubt werden, sofern eine Patientenverfügung des Betreffenden dies ausdrücklich gestattet und der gesetzliche Betreuer auf der Basis der Patientenverfügung und nach umfassender Aufklärung in die konkrete klinische Prüfung einwilligt.

Gesundheitsminister Gröhe und Forschungsministerin Wanka, treten gemeinsam für die Zulassung fremdnütziger Forschung an Demenzkranken ein, wie sie seit langem von den Vertretern der Alzheimerforschung als  scheinbar einzige Möglichkeit gesehen wird, die Krankheit medizinisch in den Griff zu bekommen.

Fast wäre die entsprechende Änderung des Arzneimittelgesetzes  von der Öffentlichkeit unbemerkt vollzogen worden. Inzwischen jedoch wächst der Widerstand.

Der Pflege-SHV hat sich mit dem  unten eingefügten offenen Brief ebenfalls deutlich gegen dieses Vorhaben positioniert.  Dabei haben wir uns auf  Punkte konzentriert, die im Vorfeld gar nicht oder wenig bedacht wurden, deren Beachtung jedoch eingefordert werden muss.

Wehret den Anfängen

Gegen die  geplante Erlaubnis von Arzneimittelprüfungen an Menschen mit der Diagnose Demenz

Stellungnahme zum Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und
anderer Vorschriften

Der Pflege-SHV ist aus folgenden Gründen gegen jede Arzneimitteltestung an Menschen die sich nicht wehren können:

1. Menschen mit der Diagnose Demenz sind in einer besonders schutzbedürftigen Lage. Da sie ihre Rechte selbst nicht einfordern können, sind sie gefährdet an Personen zu geraten, die ihre Lage zum eigenen Vorteil ausnutzen. Personen die mit der Diagnose Demenz unter Betreuung gestellt sind, können sich beschweren wie sie wollen, ihnen muss niemand glauben.

2. Wer heute alt ist und einen verwirrten Eindruck macht, muss damit rechnen nach einer kurzen Arztvisite mit der Diagnose Alzheimer-Demenz unter Betreuung gestellt zu werden.  Hat der Betreffende es versäumt, einer Person seines Vertrauens Vorsorgevollmacht zu erteilen oder hat er niemanden, dem er dieses Vertrauen schenkt, muss er damit rechnen an Berufsbetreuer zu geraten, die mit wenig Aufwand versuchen möglichst viele Betreuungsfälle zu bearbeiten. Eine individuelle Abwägung des Risikos kann dabei nicht erwartet werden.

3.  Die Pharmaforschung löst das Problem Demenz nicht, sie vergrößert es!   Wir fordern eine ganzheitliche Forschung, die den Menschen in seinen sozialen Bezügen sieht und alle Faktoren einbezieht. Wir sind überzeugt, dass die Ursachen dort zu finden sind, wo sie noch nicht gesucht wurden, weil, wenn sie dort gefunden werden, die Geldquellen für immer neue Forschungsprojekte und Medikamente versiegen würde.

4. Kein Mensch kann im gesunden Zustand ermessen, auf was er sich bei einer Zustimmung einlässt. Diejenigen, die diesen Punkt in der Patientenverfügung ankreuzen, werden dies tun, weil sie denken, sie würden damit die Suche nach einem Alzheimer-Heilmittel unterstützen.  Tatsächlich liefern sie sich in einer vollkommen schutzlosen Lage den Interessen  eigennütziger Pharmaforschung aus.  Sie nehmen in Kauf zu den Beeinträchtigungen durch  Demenzsymptome  an Beschwerden durch Mittel zu leiden, deren Wirkung und Nebenwirkung an ihnen getestet wird.   Während einwillungsfähige Erwachsene, aus einer Medikamentenstudie aussteigen können, sollte die Wirkung zu unangenehm sein, müssen Patienten mit der Diagnose Demenz, Magenkrämpfe, Übelkeit, Durchfall und vieles andere mehr bis zum Ende ertragen, wenn sie nicht sogar an den Folgen versterben.  Diese erfahren ja nicht einmal, dass sie Testobjekt sind.  Wenn sie Glück haben, achtet vielleicht der Arzt auf Verschlechterungen und bricht die Studie dann ab.

5. Wenn wir es als Mitglieder dieser Gesellschaft hinnehmen, dass Arzneimitteltestung an Menschen mit Demenz erlaubt wird, sind wir nicht besser als unsere Vorfahren, die den Holocaust heraufziehen sahen und nicht sehen wollten, wozu Menschen fähig sind, wenn sie meinen dass es einer guten Sache dient.

Als Bundesinitiative für menschliche Pflege setzt sich unser Verein für die Wahrung der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen ein.  Denn als Betroffene, Fachleute und Angehörige, erleben wir regelmäßig, dass es im Grunde niemanden interessiert, wenn elementare Grundrechte im Umgang mit unseren alten und kranken MitbürgerInnen missachtet werden. Dies betrifft vor allem alte Menschen mit Demenz. Wer heute mit dieser Diagnose an die falschen Betreuer gerät ist schutzlos ausgeliefert. Was nützen unsere vielen, vielversprechenden Gesetze, wenn deren Durchsetzung nicht sichergestellt wird.  Es besteht wahrhaftig kein Mangel an Vorschriften und Gesetzen. Woran es jedoch erheblich mangelt, ist die Umsetzung.

Dies lässt sich am Beispiel der Demenz besonders gut veranschaulichen: Wie jeder weiß sind Ärzte verpflichtet den Patienten oder seinen rechtlichen Vertreter über Risiken und Nebenwirkungen von Arzneimitteln zu informieren. Nur unter Notfallbedingungen ist es erlaubt ohne Information und Einverständnis des Patienten/ seines Vertreters, ein Medikament zu verabreichen. Die Praxis sieht jedoch oft folgendermaßen aus: Bevollmächtigte/Betreuer stellen kurze Zeit nach  Aufnahme/Einzug des betreuungsbedürftigen Angehörigen  ins Krankenhaus/ Heim besorgniserregende Veränderungen fest, die sich weder aus dem Krankheitsbild erklären noch auf bekannte Eingriffe/Medikamente zurückführen lassen.    Sie erkundigen sich beim Pflegepersonal nach den möglichen Ursachen für die extreme Müdigkeit, Gangunsicherheit und anderes. Hier eine sinngemäße Schilderung wie wir sie immer wieder in ähnlicher Weise hören:
Mutter war völlig weggetreten, wie narkotisiert. Ich bin total erschrocken gleich ins Stationszimmer. Dort wusste zunächst niemand Bescheid. Daraufhin habe ich den behandelnden Arzt verlangt und erfuhr, dass dieser schon dienstfrei hat. Auf mein Drängen rief eine Pflegerin schließlich den Diensthabenden. Der kannte meine Mutter nicht, schnappte sich ihre Akte und begleitete mich zu ihr ins Zimmer. Nachdem er den Zustand meiner Mutter gesehen und die Medikamentenverordnung angeschaut hatte, vermutete er eine Überdosierung eines Medikamentes (zumeist sind dies Neuroleptika), welches sie seit zwei Tagen bekomme. Ich wusste nichts von diesem Medikament und verwies darauf, dass ich eine Vorsorgevollmacht habe und davon ausgehe, dass die Behandlung mit mir abgesprochen werde. Am nächsten Tag bin ich wieder ins Krankenhaus und frage den zuständigen Stationsarzt wer das Medikament angeordnet habe und warum. Dieser erklärt, die Anordnung sei notwendig geworden, weil meine Mutter mehrfach versucht habe, aus dem Bett zu steigen und sehr ungehalten regiert habe, als das Personal sie daran hindern wollte. Bei ihr bestehe erhöhte Sturzgefahr. In solchen Fällen gebe es keine andere Möglichkeit, wenn man den Patienten nicht komplett mit Gurten fixieren will.  Auf meine Erklärung, dass die Mutter vermutlich auf die Toilette wollte und auf gutes Zureden problemlos reagiere, verwies er auf die angespannte Personalsituation in der Pflege. Er habe die Dosis des Medikamentes reduziert, sie sei ja jetzt auch wieder ansprechbar, versuchte der Arzt mich zu beschwichtigen. Ich wies ihn auf meine Funktion als gesetzliche Vertretung hin und dass ich dem Personal erklärte hätte, mich jeder Zeit anrufen zu können, wenn etwas ist.

Ein geradezu typisches Beispiel, das eine bis heute ungeschriebene Gesetzmäßigkeit der Praxis in Krankenhäusern und Heimen beschreibt. In früheren Jahren haben Chef- und Oberärzte nach der Visite vor dem Zimmer der Patienten beraten, was getan wird. Als Krankenschwester wurde man mehr oder weniger einbezogen, meist jedoch nur angewiesen, die Anordnung zu notieren und auszuführen. Fragte der Patient, wofür das Medikament ist, das ihm dann gebracht wurde, bekam er in der Regel kurze Erklärungen wie: „Das ist ein Antibiotikum.“ Name und Wirkstoff wurden selten genannt, weil man davon ausging, dass der Patient damit ohnehin nichts anfangen kann. Was bis in die achtziger Jahre selbstverständliche Praxis in jeder Klinik war, wird heute immer noch (nur noch) gegenüber Patienten mit kognitiven Einschränkungen praktiziert. Patienten, die komplizierte Sachverhalte nicht verstehen. Also genau diese Gruppe von Kranken, die das o.g. Gesetz im Visier hat.

Jüngere Patienten, lassen sich nicht mehr so leicht abspeisen mit Anordnungen. Viele wollen genau wissen, wie das Medikament wirkt, welche Nebenwirkungen es hat und ob es Alternativen gibt. Sie recherchieren im Internet und löchern nicht selten ihren Arzt mit kritischen Fragen. Einwilligungsfähige Erwachsene   willigen nicht so ohne weiteres in Arzneistudien ein. Nur wenn es dafür ordentlich Geld gibt oder ein gesundheitlicher Nutzen in Aussicht gestellt wird, nimmt der um seine Gesundheit besorgte Bürger  unbekannte Risiken in Kauf.  Aufklärungsgespräche müssen geführt und  Aufklärungsbögen unterschrieben werden, in denen der Proband erklärt, im Falle einer Schädigung durch das an ihm ausprobierte Mittel, weder den Arzt noch das Pharmaunternehmen auf Schadensersatz zu verklagen.  Es versteht sich von selbst, dass die Zahl der freiwilligen Versuchskaninchen, eher gering ist. Zu gering und zeitaufwändig für die Pharmaindustrie, die bestimmte Auflagen für Arzneitest erfüllen muss um neue Medikamente auf den Markt bringen zu dürfen.

Seit langem sucht diese Branche den Schulterschluss mit der Politik, um an die wachsende Zahl der  Demenzkranken heranzukommen. Mit dem nun vorliegenden Kabinettsbeschluss kommt sie diesem Ziel einen großen Schritt näher.

Das bisher geltende Verbot einer fremdnützigen/„gruppennützigen Forschung“, also Forschung, die für den Betreffenden selbst keinen Nutzen verspricht sondern bestenfalls einen Nutzen für die Patientengruppe, des Prüfungsteilnehmers hat – mit nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen soll zukünftig erlaubt werden, sofern eine Patientenverfügung des Betreffenden dies ausdrücklich gestattet und der gesetzliche Betreuer auf der Basis der Patientenverfügung und nach umfassender Aufklärung in die konkrete klinische Prüfung einwilligt.  (Entsprechende Gesetzespassage siehe  § 40b   Besondere Voraussetzungen für die klinische Prüfung)

Angesichts der zuvor skizzierten, bis heute üblichen Praxis im Umgang mit Demenzkranken muss hier schlimmeres befürchtet werden.   Demnächst wird es dann zusätzlich einen Punkt in den Vordrucken zur Patientenverfügung  geben, denen in gesunden Zeiten viele deshalb gutwillig zustimmen, weil sie die Risiken und Nebenwirkung dieses Freibriefes für Pharmaforschung nicht ahnen.

Überdies wird es Zeit die Alzheimerforschung  selbst einer kritischen Bewertung zu unterziehen.  Bei genauerer Betrachtung drängt sich da der Verdacht auf, dass die etablierte Forschung  an den offensichtlichen Ursachen gezielt vorbeiforscht.  Denn  nur solange das Schreckgespenst dieser Krankheit lebendig bleibt, kann die Branche daran Unsummen verdienen.  Zum Glück mehren sich die kritischen Stimmen, die eine grundlegend andere Herangehensweise an das Phänomen Alzheimer fordern.  Mehr dazu in Artikel: „Das Alzheimerphänomen“

Es ist erschreckend, wie schnell ein Mensch, nur auf Grund seines Alters und einer gewissen Hinfälligkeit mit der Diagnose Demenz versehen unter Betreuung gestellt wird.   Lesen Sie dazu auch die Gegenüberstellung von
Anspruch und Wirklichkeit der gesetzlichen Betreuung.

In dem vom unserem Verein herausgegebenen  Pflege-Prisma.de, wird demnächst eine Sonderseite-Demenz veröffentlicht, die einigen Diskussionsstoff bereithält und den Focus der Forschung hoffentlich in eine andere Richtung lenkt. 

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Weitere kritische Stimmen

Tagesspiegel 17.05.2016: Kirchen laufen Sturm gegen Pläne für Medikamententests

Prof. Stefan Sell 17.05.2016: Wenn man die Tür hier nun unnötig öffnet, droht die Gefahr, dass sie immer weiter aufgeschoben wird.

Ärzteblatt 2. Juni 2016: Arzneimittelstudie an Demenzkranken steht auf der Kippe

DocCheck News  17.Juni 2016 – Versuchskaninchen wider Willen

 

Auf EU Ebene wurde bereits laut nachgedacht, Medikamententest an allen Kranken zuzulassen, die nicht ausdrücklich widersprechen.

 

September 2016: Aktueller Fall, der deutlich macht, wie schnell ein Bundesbürger im Alter mit der Diagnose Demenz behaftet und der Willkür von Betreueren ausgeliefert werden kann.

 

 

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