Pflegepersonal in Kliniken systematisch abgebaut

Wie eine vom Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip) im Juli 2007 vorgelegte Studie bestätigt, wurden seit 1995 rund 50.000 Pflegestellen in bundesdeutschen Krankenhäusern/Kliniken abgebaut. Gleichzeitig ist die Zahl der stationär gepflegten Krankenhauspatienten deutlich gestiegen. So werden heute eine Million Patienten mehr behandelt und pflegerisch betreut, dies entspricht einer Erhöhung der Patienten-Pflegekraft-Quote um 23 Prozent. Hinzu kommt eine steigende Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit der Patienten auf Grund des gestiegenen Durchschnittsalters, mit einem hohen Anteil an Menschen mit Demenz und Mehrfacherkrankungen, so wie auf Grund einer Medizin, die das Sterben immer weiter hinauszuzögern versucht.

Statt diesen wachsenden Anforderungen mit Personalaufstockung zu entsprechen, wurde und wird weiterhin Pflegepersonal abgebaut. Lediglich bei den Ärzten hat es eine gewisse Personalanpassung gegeben. Doch selbst die rund 20 Prozent mehr Ärzte in den Krankenhäusern reichen kaum aus, um die medizinische Versorgung einigermaßen sicher zu stellen. Überstunden und Doppelschichten sind auch bei den Krankenhausärzten eher die Regel als die Ausnahme. In der Pflege wurden 2006 so viele Überstunden geleistet, dass dafür umgerechnet 5.000 Pflegekräfte hätten Vollzeit beschäftigt werden können.

Die Krankhäuser versuchen den Personalabbau durch Umstrukturierungen zu kompensieren. Erklärtes Ziel dabei ist es, mit möglichst wenig Personalkosten eine möglichst sichere Patientenversorgung zu gewährleisten. Von angemessener oder optimaler Qualität ist heute nicht mehr die Rede, denn auch die PflegedirektorInnen wissen, dass sie mit dem vorhandenen Personal bestenfalls eine sichere Grundversorgung auf körperlicher Ebene gewährleisten können. Zeit für Zuwendung, die ja gerade für die älteren und schwerkranken Patienten besonders wichtig wäre, ist in den Krankenhäusern ebenso Mangelware wie in den Pflegeheimen oder im häuslichen Bereich. Wehe dem der Hilfe beim Essen braucht und nicht schnell genug kauen und schlucken kann. In einer früheren Studie wurde eine eklatante Mangelernährung aufgrund von Zeitmangel bestätigt (fünf Kilo Gewichtsverlust in einer Woche, das entspricht einer Hungerkur). Statt sich darum zu bemühen, dass alten Menschen ihre Selbstständigkeit und Mobilität behalten oder wiedererlangen werden diese meist sofort in die Betten verfrachtet, mit Katheter oder Windel versorgt und medikamentös so eingestellt, dass sie möglichst wenig Arbeit machen. Häufig genügen bereits kurzfristige stationäre Aufenthalte um aus einem bis dato weitgehend selbstständigen alten Menschen einen Dauerpflegefall zu machen, ohne das es dafür eine plausible medizinische Begründung geben würde. Wie eine Studie zur Frage der Entstehung von Bettlägerigkeit bestätigt, ließe sich diese durch gezielte pflegerische Interventionen in den meisten Fällen verhindern oder rückgängig machen. Doch für diese „Luxuspflege“ fehlt es an Zeit – beziehungsweise an der richtigen Einstellung. Die Mobilisation beschränkt sich in den Krankenhäusern häufig auf eine zehnminütige krankengymnastische Anwendung.

Pflege-shv liegt die Beschwerde einer Tochter vor, die ihre alte Mutter im Krankenhaus nicht nur täglich besucht, sondern auch körperpflegerisch komplett versorgt, nachdem sie erfahren musste, dass sie außer regelmäßigem Windelwechsel und Infusionswechsel nahezu keine Pflege erhielt. Die Stationsleitung habe dies mit Zeitmangel begründet und ganz klar zugegeben, dass sie bei der personellen Situation nur eine Notversorgung sicher stellen könnten. In einem andern Fall berichtet eine Altenpflegerin von einer Bewohnerin, die mit einem schweren Dekubitus aus dem Krankenhaus zurückgekommen sei und gestunken habe, als sei sie nicht ein einziges mal gewaschen worden. Seitens des Krankenhauses wurden einerseits alle Vorwürfe abgestritten, andererseits jedoch erklärt, bei dem hohen „Durchlauf an Patienten“ (und der ständigen Personalrotation) unmöglich alles und jeden im Blick behalten zu können.

Zunehmend wenden sich auch Pflegefachkräfte aus Krankenhäusern und Kliniken hilfesuchend an unseren Verband, weil sie sich der Verantwortung nicht gewachsen fühlen, für immer mehr und immer intensiver pflegebedürftige Patienten verantwortlich sein zu müssen.

So verständlich es einerseits ist, dass Krankenhausbetriebe bestrebt sein müssen kostendeckend zu arbeiten, so widersinnig erscheinen die Prioritäten die hier bei den Sparmaßnahmen gesetzt werden. Daran muss man jedoch weniger den Krankenhausleitungen die Schuld geben, als z.B. denen, die das Fallpauschalsystem zur Berechnungsgrundlage erklärt haben. Während es vordem lukrativ war, die Patienten möglichst lange stationär zu behandeln, da es für jeden Krankenhaustag einen bestimmten Pflegesatz gab, herrscht seitdem die umgekehrte Bestrebung vor. Heute sind Krankenhäuser nämlich bemüht, die Patienten so schnell als irgendwie noch vertretbar zu entlassen, denn jeder Tag, den ein Patient länger bleibt als in dem für seinen Diagnoseschlüssel vorgesehen Zeitraum, geht zu Lasten des Krankenhauses. Umgekehrt rechnet sich jeder Tag den ein Patient früher entlassen wird. Die Folge ist, dass heute viele Patienten in kritischem Zustand bereits entlassen werden. Das Entlassungsmanagement, mit dessen Hilfe die Risiken vermindert und der so genannte Drehtüreffekt verhindert werden sollte, funktioniert in der Praxis kaum.

Auch wenn es bislang keine Studie gibt, die den Zusammenhang zwischen dem überproportionalen Pflege-Personalabbau und der Einführung der Fallpauschalen untersucht hat, liegt dieser auf der Hand. So habe ich in der Vorphase bereits die Pflegeverbände angemahnt, den pflegerischen Anteil pro Fall (Diagnose) an Hand von Standardpflegeplänen zu ermitteln. Doch statt diese Chance zu nutzen, hat man sich zusammen mit den Kassen und Ärzten auf Pauschalzeiten geeinigt, die weit unter dem liegen, was Pflege tatsächlich leistet oder im Sinne einer angemessenen Betreuung leisten müsste. Zeit für Zuwendung wurde in keinem Falle einkalkuliert. Insofern muss es nicht wundern, wenn seit Einführung der Fallpauschalen (DRGs) rein rechnerisch das medizinische Personal aufgestockt werden konnte, während man den Pflegekräfteanteil, trotz gestiegener Patientenzahl, drastisch abbauen durfte. Die auf den DRGs abgestimmten neuen Personalberechnungsmethoden rechtfertigen dies. Mein persönliches Fazit: Die federführenden meiner Zunft haben sich diese Entwicklung im Wesentlichen selbst zuzuschreiben, wie vieles andere auch, was in die falsche Richtung läuft. Leider haben sie immer noch nichts daraus gelernt und suchen die Schuld bei anderen.

Anstatt sich darum zu bemühen der Pflege einen angemessenen Stellenwert bei den pro Diagnose festgelegten Leistungsbemessungen einzuräumen, bemüht man sich derzeit um die bestmögliche Kompensation dieses Versäumnisses. Statt einer möglichst ganzheitlichen Betreuung durch Bezugspflegekräfte oder ein kleines festes Team, werden die funktionalistischen Methoden früherer Zeiten wiederbelebt.

Die klassische Stationsleitung bei der alle Fäden zusammenlaufen, der verschiedene Hilfskräfte unterstellt sind, die je nach Qualifikation an den Patienten zum Einsatz kommen. Da gibt es welche, die dürfen nur bestimmte Serviceleistungen, wie Essen servieren übernehmen, andere sind für die medizinischen Verordnungen zuständig usw.: Alles wie gehabt, nur das man diese Notstrukturen inzwischen mit den Begriffen Care- oder Case-Management auf einer wissenschaftlichen Ebene zu rechtfertigen versucht.

Auch die Expertenstandards sind aus meiner Sicht nichts anderes, als ein Versuch derart strukturelle Mängel per Detailverordnung zu kompensieren. Ein zum Scheitern verurteilter Versuch. Mitte 2000 wurde z.B. der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe als ein übergeordneter bundesweiter Standard eingeführt. Auf die Dekubitusrate hat sich der damit verbundene hohe Schulungs- und Dokumentationsaufwand nicht ausgewirkt. Wie an anderer Stelle ausgeführt, wäre mehr gewonnen gewesen, hätte man stattdessen die „Bezugspflege“ als Organisationsform vorgegeben. Es ist schließlich seit langem bekannt und erforscht, dass die üblichen Risiken für die Patienten mit dieser Organisation besser ausgeschaltet werden können, wie mit anderen Formen. Doch scheinbar stehen die Zeichen nun wieder komplett in die entgegen gesetzte Richtung, die da heißt: Funktionalisierung, Spezialisierung, Parzellierung. Für den ganzen Mensch als Leib-Seele-Geist Einheit, muss sich in unserem Gesundheitssystem niemand zuständig fühlen. Körperliche Symptome werden isoliert behandelt und betrachtet. Die Pflege fungiert verstärkt wieder als Handlanger des Arztes und bemüht sich derzeit darum ärztliche Tätigkeiten selbstständig übernehmen zu dürfen. Scheinbar ist dieses körperbezogene, funktionalistische Verständnis so eingeprägt, dass man in größeren Zusammenhängen gar nicht denken kann.

Was soll man angesichts dieser und anderer Zusammenhänge von der Aktion: „Pflege bewegt Deutschland“, halten, mit dem die Stiftung Pflege e.V. und Kooperationspartner auf die Bedeutung der Pflege aufmerksam machen wollen? „Vom 14. September bis zum 14.Oktober 2007 wird ein Pflegebett quer durch Deutschland bewegt. Am Ende der Aktion soll das Bett mit einem Hubschrauber auf die Zugspitze gebracht werden.“ Ich halte dies für einen PR-Gag, mit dem man lediglich kurzfristige einigen Wirbel verursachen wird. Doch wenn den Beteiligten anschließend nicht mehr zur Verbesserung der Pflegebedingungen einfällt, als die Pflegewissenschaft weiter auszubauen und eine unbeachtete Studie nach der anderen in die Welt zu setzen, werden sich die Kollegen an den Pflegebetten wieder einmal geprellt vorkommen müssen.

Eine Fachschwester für Anästhesie- und Intensivpflege, die Mitglied bei uns wurde, weil sie seit Jahren eine Bewegung in die falsche Richtung erlebt und sich zunehmend burnout gefährdet fühlt, kommentierte die Aktion „Pflege bewegt Deutschland“ wie folgt:

Al s ich von dieser Pflegebettaktion gehört hatte, tauchte in mir spontan ein anderes BILD auf:

Was wäre, wenn man einen Trauerzug als Demonstration organisieren würde …

… alle würden schwarz gekleidet gehen …

.. ein Sarg würde vorne getragen werden, für all die TOTEN, die gestorben sind aufgrund von Zeitmangel, Sparmaßnahmen, ärztlicher Behandlungsfehler usw.

… für all die TOTEN, die verschwiegen werden usw. …

… für all die „TOTEN“ Seelen der Pflegekräfte, welche dabei „gestorben“ sind …

… Überschriften könnten lauten:

Liegt vielleicht auch Ihre Mutter in diesem Sarg, ohne dass sie es wissen … ?

Könnte vielleicht auch Ihr Vater demnächst in diesem Sarg liegen … ?

Der Zug würde ganz stumm schreiten – höchstens echte Trauermusik …

Welcher Aktion fühlen Sie sich mehr hingezogen?

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Adelheid von Stösser, St. Katharinen den 2.8.2007

1 Kommentar

  1. Ja, so eine Aktion fände ich gut !
    Alle in schwarz gekleidet, einen Sarg u die entsprechenden Überschriften….
    Das Thema sollte noch viel mehr in die Öffentlichkeit u die Medien getragen werden….
    Eines Tages liegen wir selbst dann auch mal in diesem Sarg, weil das Klinikpersonal nicht genug Zeit hatte,sich „richtig“ um uns zu kümmern….Der nächtliche Sturz meines Vaters aus dem Klinikbett – nach geglückter Op – (eine Klinikkette mit Renomee und großartigem Werbeslogan, quer durch ganz Deutschland!) hätte sich durch mehr Pflegepersonal verhindern lassen können.
    Aber die Nachtschwester musste, „wie immer „ (sagte sie bei der Polizei aus) ganz alleine !!! – 35 Patienten versorgen, worunter sich aber jede Nacht jeweils 10 Frischoperierte befanden. – Leider verstarb mein Vater 6 Tage später. – Sehr seltsam, dass bei den angeforderten Klinikunterlagen von der Pflegedokumentation ganze 31,5Std fehlen – ab der 24.Std nach dem Sturz fehlen die folgenden 31,5 Std . – Der Aufforderung unseres Rechtsanwaltes wurde nicht Folge geleistet u so fehlen diese 31,5;Std noch bis heute. Die Schwester schrieb in dieser Nacht ihre 2. Überlastungsanzeige innerhalb von 12 Monaten – von dieser fehlt uns, trotz mehrmaliger Anforderung, bis heute, die – durch einen Pfeil angedeutete – Fortsetzung, bzw die beschriftete Rückseite. Wirklich seltsam, was uns da so alles vorenthalten wurde – Die total mitgenommene u überstrapazierte Schwester ließ sich verständlicherweise daraufhin auf eine andere Station versetzen – sie „ wolle das nicht mehr länger mitmachen“ sagte sie zu mir. — Das unübersehbare, große Hämatom, das erst ohne Nachthemd sichtbar wurde, ist von niemanden dokumentiert oder jemals erwähnt worden – so, als hätte es niemals existiert. – Ich kann nur allen Angehörigen raten, so viel Zeit, wie irgendwie möglich, bei ihren kranken Familienmitgliedern in der Klinik zu verbringen – und immer einen Fotoapparat mitzunehmen….. für Dokumentationszwecke.

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