„Ich weiß nicht, inwieweit das Thema Demenz in deren Ausbildung überhaupt vorkommt“

Dass Menschen mit Demenz in Pflegeheimen selten die Betreuung erfahren, die sie brauchten, darüber wurde häufig schon berichtet.  Doch wie ist es um die Betreuung von Demenzkranken in den Krankenhäusern und Kliniken bestellt? Uns erreichen immer wieder Meldungen verzweifelter Angehörigen, die es nicht fassen können, was sie im Krankenhaus erlebt haben.  Vor allem chirurgische Ateilungen sind denkbar schlecht auf diese Patienten vorbereitet. Das musste auch der ehemalige Abteilungsleiter des rheinlandpfälzischen Sozialministeriums, Klaus Peter Lohest,  feststellen, dessen Tante im Herbst 2011, nach einem Sturz, einige Tage in der Unfallklinik Mainz zubrachte. Kurze Zeit später erlebte seine Frau in einem Koblenzer Krankenhaus erneut eine Haltung von Ärzten und Pflegekräften gegenüber Demenzkranken, die sie erschüttert hat.

Harald Spies, Redakteur der Zeitschrift „Pflegefreund“ hat im März 2012 folgendes Interview  geführt:

Herr Lohest, wie geht es Ihrer Tante?

Sie ist leider im Februar verstorben.

Das tut mir leid. War das eine Folge ihres Krankenhausaufenthaltes oder der Tatsache geschuldet, dass sie schon sehr betagt war?

Nein, man muss sagen, dass sie nach dem Krankenhausaufenthalt in der Mainzer Uniklinik nie wieder auf die Beine gekommen ist. Zunächst war sie hyperaktiv. Wir vermuteten eine Art Delir bei ihr. Das Krankenhaus hatte, ohne uns zu informieren, sämtliche Medikamente abgesetzt. Als sie wieder in ihrer Wohngemeinschaft war, wurden die Medikamente wieder eingesetzt. Nach dieser Phase wurde meine Tante bettlägerig und ist nie wieder aufgestanden. Im Oktober 2011 kam sie ins Krankenhaus und am 18. Februar 2012 ist sie verstorben. Ich glaube, wenn sie nicht ins Krankenhaus gekommen wäre, würde sie noch leben. Ich vermag es nicht zu entscheiden, ob es ursächlich damit zusammenhängt, aber es ist auffällig, dass sie nach dem Krankenhausaufenthalt nicht mehr auf die Beine gekommen ist. Vor dem Krankenhausaufenthalt bin ich jedenfalls noch mit ihr spazieren gegangen.

Ist das Problem denn nicht bekannt?

Eine Frage, die mich beschäftigt, ist die Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte und des Pflegepersonals. Wie sind die Ausbildungsrichtlinien? Ich weiß nicht, inwieweit das Thema Demenz in deren Ausbildung überhaupt vorkommt. Der zweite Punkt ist ein Gesundheitssystem, das immer stärker an ökonomischen Kriterien ausgerichtet ist. Da ist es doch klar, dass jemand mit hohem pflegerischen Aufwand und Betreuungsbedarf völlig außen vor bleibt. Das ist gar nicht einmal Böswilligkeit der Krankenhäuser, sondern einfach ein Systemmangel unseres Gesundheitswesens. Was aber auch nicht stimmt, ist das Denken in den Kliniken. Es gibt keine Wertschätzung den (älteren) Patientinnen und Patienten gegenüber. Wir hatten ja auch Kontakt mit Pflegerinnen und Pflegern auf der Station. Eine Pflegerin sagte zu uns:„Ich kann Ihre Tante doch nicht mit normalen Patienten zusammenlegen.“ Wenn demente Menschen als unnormal bezeichnet werden, dann ist es folgerichtig, sie auszusondern. Dann passiert genau das, was meiner Tante passiert ist: man steckt zwei demente Patienten zusammen, die sich in keiner Weise gegenseitig stützen können, sondern die sich gegenseitig belasten.

Was können Angehörige tun, wenn ihr dementer Angehöriger ins Krankenhaus muss?

Man muss unterscheiden zwischen einer Notaufnahme und einem geplanten Eingriff. Bei einer Notaufnahme kann man zunächst wenig machen. Man muss sich aber in jedem Fall intensiv kümmern, sobald der betroffene Mensch im Krankenhaus ist. Man muss auch deutlich Widerstand leisten, wenn man den Eindruck hat, dass die Versorgung nicht adäquat und nicht würdevoll ist. Der Widerstand von Angehörigen ist wichtig. Man darf sich das nicht bieten lassen, was die dort Arbeitenden meinen, bieten zu können. Bei einem geplanten Krankenhausaufenthalt würde ich versuchen, so viele Informationen wie möglich über das betreffende Krankenhaus herauszufinden. Es gibt Internetplattformen, auf denen es auch Bewertungen von Krankenhäusern gibt. Die Krankenkassen können sicherlich auch etwas zu den einzelnen Krankenhäusern sagen. Aber auch dann muss man sich als Angehöriger kümmern. Man muss präsent sein. Und man muss dann, wenn man merkt, dass Versorgung, Pflege und Betreuung nicht adäquat sind, darauf drängen, dass das geändert wird. Man muss zu den Chefärzten gehen. Man muss, finde ich, bei kommunal getragenen Krankenhäusern die Politik einschalten. Man darf sich das, was in den Krankenhäusern an Fehlern geschieht, nicht bieten lassen.

Menschen mit Demenz können sich glücklich schätzen, wenn sie pflegende Angehörige haben, die sich engagiert für sie einsetzen.

So sehe ich das. Die Demenz ist bei meiner Tante entdeckt worden, nachdem ihr Hausarzt sie einmal besucht hat und sie in ein Krankenhaus eingewiesen hat. Da war sie 68 Jahre alt. Die Entdeckung ihrer Demenz war quasi zufällig. Ich habe mich dann um sie gekümmert. Wenn ich das nicht gemacht hätte, wäre der Weg vom Krankenhaus eindeutig ins Pflegeheim gewesen. So konnte ich ihr noch 15 Jahre gutes Leben außerhalb eines Pflegeheims
sichern.

Wo sehen Sie eine Lösung?

Es muss eine viel stärkere Sensibilität der Mediziner und der Pflegekräfte in Krankenhäusern zum Thema Demenz entstehen. Die Ausbildung von Ärzten und Pflegepersonal muss das Thema Demenz und den Umgang damit im Krankenhaus dringend aufnehmen. Man muss kritische Fragen an das Abrechnungssystem stellen. Es muss sichergestellt sein, dass eine solche Behandlung und Betreuung adäquat finanziert werden kann. Und es muss ein gesellschaftliches Thema werden. Jeder der mitbekommt, dass alte und besonders demente Menschen, die sich ja noch weniger wehren können, in Krankenhäusern unwürdig behandelt werden, müsste diese Themen aufgreifen, egal, ob es sich dabei um Verwandte handelt, ob ich eine „grüne Dame“ bin oder ein Besucher.

Den Beitrag „Verloren im System: Dement im Krankenhaus“ finden Sie auf Seite 19ff

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