Ungleichbehandlung von Menschen im Wachkoma

Erstickungsgefahr bei meldeunfähigen Wachkoma-Tracheostoma-Patienten in einem Seniorenheim in Schleswig-Holstein, aufgrund personeller Unterbesetzung. So der Untertitel des Berichtes, Wachkomastation-Ha, mit dem  der Pflege-SHV die zuständige Heimaufsicht auf eine fahrlässige Personalausstattung hingewiesen hat.
Uns war diese Mitteilung  Anlass, die Hintergründe der doch sehr unterschiedlichen finanziellen und personellen Bedingungen aufzuzeigen.  Die Spanne reicht von einer 1:1 Betreuung für mehr als  30.000 Euro/Monat, die komplett von der Krankenkasse getragen wird  und der Pflege im Wachkomabereich eines Pflegeheimes, die im Schnitt   5.500 Euro kostet, wobei nur rd. 1.900 Euro (Härtefallbetrag) von der Pflegekasse getragen werden. Da die wenigsten dieser Intensivpflege-Patienten/Familien in der Lage sein dürften, monatlich  3.500 Euro  für die Pflege im Heim aufzubringen, geht diese Regelung auch zu Lasten der Sozialkasse.

Wir sprechen hier von Patienten mit gleicher Diagnose  (apallisches Syndrom) und gleichem Intensivpflegebedarf und wundern uns über eine solche Ungleichbehandlung.   Wie kann es sein, dass die Krankenversicherungen bei der häuslichen Versorgung von Wachkomapatienten zwischen 18.000 und  35.000 Euro Pflegekosten pro Monat zahlen, bei der stationären Versorgung der Patienten überhaupt keine Pflegekosten zahlen müssen?    Welche Auswirkung hat diese Ungleichbehandlung für die Betroffenen?

Hintergründe und Beispiele

Bevor ein Mensch als sog. Wachkomapatient in ein stationäres Pflegeheim kommt,  hat er bereits eine Zeit auf der Intensivstation einer Klinik hinter sich. In der Zeit vor den DRGs  (Fallpauschalen) kam es durchaus vor, dass diese Patienten monatelang auf der Intensivstation blieben, wenn sie beatmet werden mussten, sogar bis sie starben. Denn Normalstationen oder Pflegeheime  besaßen weder technisch noch personell die Vorrausetzung, beatmete Patienten zu versorgen.  Die nicht beatmungspflichtigen wurden je nach Zustand  entweder auf eine normale neurologische Station verlegt oder in eine Rehaeinrichtung.  Abhängig vom Ergebnis der Reha und je nach familiärer Situation hat sich anschließend die Familie zu Hause um den Kranken gekümmert.  Konnte der hohe Pflegeaufwand zu Hause nicht sicher gestellt werden, mussten diese Patienten in einem Krankenhaus weiter versorgt werden.
Noch gut erinnere ich mich an einen jungen Mann, der nach einem Motoradunfall fast ein halbes Jahr im Wachkoma auf einer normalen Station in unserem  Krankenhaus  lag, in einem Dreibettzimmer.  Er atmete durch eine Trachealkanüle und wurde über Magensonde ernährt. Eine Frührehabilitation in einer Spezialklinik kam damals (bis Ende der 70iger Jahre) für Patienten mit apallischem Syndrom selten in Betracht.  Dass er wieder erwacht ist und nach Hause konnte, verdankte er vor allem seinen Eltern und einigen Zimmernachbarn, die sich intuitiv sehr viel mit ihm beschäftigt haben.  Er war nie alleine. Mitpatienten,  Besucher, Pflegepersonal, jeder kannte ihn, jeder nahm Anteil. Personal und Mitpatienten wurde empfohlen diesem „Jungen“ so zu begegnen, als würde er alles verstehen. „Stefan“ war der einzige erwachsene Patient, den wir mit Vornamen ansprechen durften.  Es war auch der einzige Wachkomapatient, den ich erlebt habe, der keine Kontrakturen an Händen und Füßen entwickelte.  Denn seine Arm- und Beingelenke wurden täglich mehrmals  durchbewegt.  Nicht nur wenn ein Krankengymnast kam. Auch bei der Körperpflege, vor dem Lagern waren wir Pflegenden gehalten, die uns gezeigten Bewegungsübungen zu machen.  Angefangen beim Schultergelenk bis hin zu den Fingergelenken, ebenso wurden die Bein- und Fußgelenke in allen Achsen wenigstens 4 x täglich durchbewegt.  Außerdem wurde er täglich mehrmals auf die Bettkante gesetzt, wozu jeweils drei Personen erforderlich waren. Sein Oberkörper wurde aufgerichtet, der Kopf gerade gehalten, Rücken abgerieben und abgeklopft.  Es würde zu weit führen, im Einzelnen aufzuzählen was alles mit und für diesen Mann getan wurde.  Als es eines Tages hieß „der Stefan wird wach“, waren alle Pflegekräfte,  Ärzte wie jeder der ihn kannte  aus dem Häuschen.  Man gab sich die Klinke in die Hand, um ihn zu begrüßen und sich mit den Eltern und anderen zu freuen.  Eine Erfolgsstory, mit großem Seltenheitswert!

Später lernte ich Stationen in neurologischen Kliniken kennen, wo überwiegend nur „Apalliker“, wie sie dort genannt wurden, lagen.  Da gab es keine wachen, anteilnehmenden Mitpatienten. Pflegekräfte und Ärzte konnten sich unmöglich emotional mit jedem befassen.  Die Abläufe waren funktional organisiert. Bei meinen Bemühungen, Bezugspflege auf einer der Stationen einzuführen, stieß ich auf folgenden Widerstand: „Immer dieselben Patienten in diesem Zustand zu sehen, das hält keiner aus.“  Wir vereinbarten einen Kompromiss. Wenigstens 14 Tage sollte jede Pflegekraft nur und ausschließlich die 5-6 Patienten pflegen, für die sie sich als Bezugsperson erklärt.  Nach den 14 Tagen kann das Team dann entscheiden, ob es Bezugspflege einführt oder nicht.  Tatsächlich wollte jede Bezugspflegekraft  „ihre Patienten“ weiterhin hauptverantwortlich betreuen.  Ausnahmslos alle erklärten, dass sie einen persönlichen Kontakt zu ihren Patienten empfinden konnten und Reaktionen beobachteten, die man im Vorbeilaufen nicht wahrnimmt.  Dieses Einlassen auf den Menschen, der da in seinem Körper eingeschlossen liegt, hat beiden Seiten gut getan.  Insgesamt wäre es jedoch besser, die  Menschen im Wachkoma, nicht zu isolieren auf Spezialstationen.  Auch Angehörigen macht  das „geballte Elend“ auf einer Wachkomastation zu schaffen.  Wer eine solche Station betritt oder dort arbeitet, fühlt sich unweigerlich ein Stückweit gelähmt.  Wo soll man da anfangen?  Die Ohnmacht und totale Hilflosigkeit dieser Kranken überträgt sich auf   jeden, der in diesem Bereich arbeitet.  Entsprechend hoch ist die Fluktuation.  „Die Mitarbeiter wechseln auf der Station schneller wie die Handtücher.  Anfangs  hab ich mir noch die Namen neuer Schwestern zu merken versucht. ….  Ich bin ja jeden Tag bei meinem Mann. Zweimal in der Woche muss ich einer neuen Pflegerin (oft sind es Aushilfen) erklären, was sie bei seiner Versorgung beachten muss.  Doch viele Patienten bekommen kaum noch Besuch. An denen zerrt und macht jeder Neue irgendwie herum. Die Kranken können ja nicht schreien wenn man ihnen weh tut.  Es ist so furchtbar. Ich wache manchmal nachts auf, und sehe schreiende Gesichter vor mir.  Aber meinen Mann nach Hause nehmen, das traue ich mir nicht zu.  Ich wünsche manchmal, es wäre alles vorbei. ….“, schrieb mir eine Angehörige.

Im Grunde ist das für alle eine Zumutung.  Ein Zustand, den man grundsätzlich ändern sollte!

Nach Einführung der DRGs konnten sich Krankenhäuser keine Langzeitfälle mehr leisten.  Folglich versuchte man Patienten mit der Diagnose apallisches Syndrom  (umgangssprachlich Wachkoma) nach der Akutbehandlung schnellstmöglich zur Reha in eine Spezialklinik  zu verlegen.  War das nicht möglich, mussten entweder die Angehörigen zu Hause sehen, wie sie die Pflege organisieren und bewältigen oder der Patient kam sofort von der Intensivstation ins Pflegeheim.
Zusammen mit der Pflegeversicherung (SGB XI),  die kurz vor  den Fallpauschalen (DRG) eingeführt worden war,  ergab sich für die Krankenkassen eine prima Gelegenheit,  sich der teuren Langzeitpflege dieser Kranken zu entledigen, indem  diese in Einrichtungen verbracht wurden, die unter das SGB XI fallen.  Rasch wurden Regelungen für  Wachkoma- und Intensivpflegeeinheiten in Pflegeheimen  geschaffen.  Seit Ende der 90er Jahre werden Wachkomapatienten, die nicht zu Hause von Angehörigen und Pflegediensten betreut werden können,  in Pflegeheimen untergebracht.  Da nur verhältnismäßig wenige Heime über spezielle Wachkomabereiche verfügen,  werden  Menschen im Wachkoma (die selbstständig atmen können) auch in normalen Wohnbereichen untergebracht.  Das kann einen ähnlich positiven Effekt haben, wie im oben geschilderten  Fall des „Stefan“.  So erinnere ich mich an eine Heimleiterin, die mir  stolz ihren jüngsten Bewohner (28 oder 29 Jahre)  vorstellte,  den sie zunächst mit großen Bedenken und nur auf das inständige Bitten der Angehörigen aufgenommen hatte. „Die Krankenkassen zahlen ja nichts für die Intensivpflege, die wir hier leisten müssen und ich hab ja auch nicht das Personal.“, erklärte sie.  „Der kam mit PEG Sonde, Tracheostoma und Katheter zu uns.  Es waren anfangs gar keine Reaktionen zu sehen. Und schauen Sie sich den „Kerle“ jetzt mal an.   Wenn ich in sein Zimmer komme und er mich anstrahlt, dann geht die Sonne auf.  Das geht allen hier so. Wenn der weiter so Fortschritte macht, kann er bald nach Hause. Das erlebt man im Altenheim ja auch nicht oft.“

Erfolgsgeschichten solcher Art dürften auf einer  Wachkomastation  mit überwiegend tracheostomierten und beatmeten Menschen  kaum zu erwarten sein.  Die Personalausstattung ist jedenfalls nicht darauf ausgelegt, mehr als   „satt und sauber“ erfüllen zu können.   Das bestätigt auch die Antwort der  Heimaufsicht: „Zum Prüfzeitpunkt bestand offensichtlich keine Gefahr in Verzug, aufgrund der Personalsituation. Auch der mit dem Kostenträger geeinigte Personalschlüssel wurde, bis auf eine geringfügige Abweichung, eingehalten.“ Demnach entspricht die im Bericht, Wachkomastation-Bericht_okt14, als fahrlässig und unverantwortlich beschriebene Personalbesetzung  den Vorgaben, die der Heimbetreiber mit den Kassen und der Kommune – verhandelt hat.  Um somehr interessierte uns nun der vereinbarte Personalschlüssel.  Diese Anfrage leitete die Heimaufsicht  an den  zuständigen Vertreter der AOK -NORDWEST  weiter, der mir am Telefon erklärte, dass er  Verhandlungsergebnisse mit einzelnen Einrichtungen nicht bekannt geben dürfe,  er könne uns jedoch den Rahmenvertrag  schicken nach dem sich alle Einrichtungen mit Bereichen für Pflegebedürftige der Phase F  richten müssen.

Insgesamt erscheinen  die Personalvorgaben  vor allem folgendem Maßstab entsprungen:   Teurer darf diese Pflege nicht werden! Mehr sind wir nicht bereit für diese Kranken aufzuwenden!  Ohnehin müssen sich die Betroffenen hier in doppelter Weise geschlagen fühlen.  Stirbt ein  Kind/Geschwister/Elternteil oder sonst ein geliebter Mensch, ist der Schmerz groß, aber er lässt irgendwann nach.  Der Verstorbene kann losgelassen werden.  Der Schmerz und die Sorgen von Angehörigen, die einen geliebten Menschen im Zustand des Wachkomas vor sich sehen, nicht wissen ob er jemals erwachen wird und wie es weiter geht, dürfte um einiges größer sein, und dieser hält an.  Statt diesen Unterstützung und Entlastung zu bieten, wurde mit der Auslagerung von Wachkomapatienten in die Heime, eine Entlastung der Kassen beschlossen.  Wahrscheinlich war dies sogar  die Strategie hinter dem Beschluss, Krankenkasse  und Pflegekasse von einander getrennt zu führen.  So können Zuständigkeiten hin- und her verschoben werden. Im Zusammenhang mit den Fallpauschalen bedeutet diese Verschiebetaktik, dass die Krankenhäuser nur noch eine kurzzeitige Akutbehandlung machen und jeder Patient, der danach nicht nach Hause entlassen werden kann, in ein Pflegeheim verfrachtet wird.   Für die Krankenkassen ist das jedenfalls die günstigste Lösung, vor allem bei Versicherten mit einem hohen Behandlungspflegebedarf, wie er bei Langzeitbeatmeten und  Patienten  im Wachkoma anfällt.

Auch bei der Reha versucht man zu sparen.  Bis zu drei Monaten werden  Rehakosten meist ohne Sonderanträge von  Kassen/Berufsgenossenschaften u.a. übernommen.  Stellt sich in dieser Zeit keine Besserung ein, werden  Patienten mit apallischem Syndrom  als   austherapierte Fälle (sog. Patienten der  Phase F )  in die Langzeitpflege überführt.    Da es sich jedoch häufig um jüngere Menschen oder Kinder handelt, deren Eltern diese scheinbare Aussichtslosigkeit nicht  hinnehmen können und sich herausgestellt hat, dass mit viel Liebe und Einsatz,  Menschen aus dem Koma erwachen können, die die Medizin aufgegeben hatte,  haben sich Angehörige von Wachkomapatienten zusammengetan.  Den  Selbsthilfegruppen ist es zu verdanken, dass heute zumindest ein Teil der Aufgegebenen eine zweite Chance erhält.  Sogar wenn die Reha erfolglos blieb und  medizinisch keine Hoffnung gemacht wird,  können Angehörige/Betreuer  heute darauf bestehen, dass der Kranke zu Hause die notwendige Intensivpflege und Therapie auf Krankenschein erhält.  Beispielhaft hier der  Link zu einem dieser Vereine, der  1995 den Grundstein für eine Wachkoma-WG in NRW legte und mit zu den ältesten WGs dieser Art zählt.  Derzeit liegen  WGs im Trend und gelten als Alternative zum Heim, zum einen wegen der individuelleren Betreuung und entsprechend höheren Erfolgsrate, zum anderen, weil die Intensivpflegerische Behandlung komplett über die Kasse abgerechnet werden kann, nicht wie im Heim, wo nur der Leistungssatz der Pflegeversicherung gezahlt wird.  Die von den Kassen übernommenen Pflegekosten  in der WG bewegen sich zwischen 15.000 – und 20.000 Euro/monatlich.  Bei Unterbringung der Patienten im Pflegeheim  entstehen der Versicherung lediglich Kosten von maximal 1.900 Euro. Und dies auch nur, wenn ein Patient im Wachkoma als Härtefall anerkannt wird.  Nicht selten wird diesen lediglich die Pflegestufe II anerkannt, weil sie über PEG Sonde ernährt und auch sonst keine Ansprüche stellen.

Große Verdienste um die Rehabilitation von Menschen nach Schädel-Hirn-Trauma werden der Hannelore Kohl Stifung zugesprochen.   Einen guten Überblick über die Neurorehabilitation, in der die Phasen B-F unterschieden werden, finden Sie hier.

Genaue Daten über die Anzahl von Menschen im Wachkoma die zu Hause, in WGs oder in Einrichtungen gepflegt werden, fand ich nicht. Dafür fand ich diesen interessanten Vortrag von Walter Ullmer aus dem Jahre 2007.

Schon seit den 70er Jahren ist bekannt, dass ein Wiedererwachen, wenn überhaupt nur bei den Patienten erreicht wird, die einen Angehörigen oder feste Bezugspersonen haben, die es durch emotionale Nähe und geeignete  Stimulation schafften,  ihr Kind, Bruder, Schwester, Partner ….  wieder zurückzuholen.  Dank der Initiative dieser Angehörigen, die sich in Selbsthilfegruppen für bessere Lebensbedingungen einsetzen,  können  Krankenkasse Anträge auf häusliche Intensivpflege von Patienten im Wachkoma heute kaum noch ablehnen.   So besteht seit wenigen Jahren die Möglichkeit einer 24-Stunden-Pflege durch ein Team von 5-6 Pflegefachkräften im eigenen Zuhause.   Die Kosten dieser 1:1 Pflege  liegen bei mehr als  30.000 Euro pro Monat und werden von der Krankenkasse komplett übernommen. Hinzu kommen Arztkosten, Rehakosten, Hilfsmittel und Medikamente.  Allerdings besteht diese Möglichkeit oft nur theoretisch.  Es wäre interessant zu erfahren, in wie vielen Fällen das aktuell praktiziert wird.  Tatsächlich scheitert der Versuch einer häuslichen Intensivpflege häufig  am nicht vorhandenen Personal.  Dazu ein Hilferuf hier aus der Region: “ …. Ich weiß mir keinen Rat mehr und hoffe, dass Sie mir irgendwie helfen können. Ich werde meinen Mann wohl wieder ins Krankenhaus einweisen lassen müssen.  Seit zwei Tagen ist hier eine junge Krankenschwester alleine im Einsatz, die kann nicht mehr, aber sie kann auch nicht einfach gehen.  Mit der Beatmung bei meinem Mann, da muss man sich auskennen. Der ist auch schon ganz unruhig, weil er merkt, dass es wieder eng wird.    Wenn wir den Pflegedienstleiter anrufen, werden wir vertröstet, es wären einige krank aber er würde sehen ….  Immer das Gleiche.   Jetzt habe ich schon den dritten Pflegedienst der versprochen hat, genügend Personal zu haben und wieder klappt das hinten und vorne nicht. ….“

Was kann man Angehörigen raten? 

Von den drei Möglichkeiten  der Langzeitpflege von  Menschen im Wachkoma (Phase F) erscheint die Pflege auf einer  Wachkomastation die für den Patienten am wenigsten förderliche.  Ausnahmen mag es geben.  Zudem stellt diese wegen des hohen Eigenanteils  eine zusätzliche Belastung dar, die im Vergleich zu den ambulanten Möglichkeiten unverständlich und ungerecht ist.   Betroffene werden dabei in doppelter Weise benachteiligt.  Sie müssen viel Geld zahlen für viel weniger Zeit und Zuwendung durch das Personal.  Wachkomastationen in der beschriebenen Form sind hoffentlich Auslaufmodelle.

Von ambulanten Pflegediensten betriebene WGs für Intensivpflege- und Beatmungspatienten scheinen zur Zeit die Alternative für Angehörige zu sein,  die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind,  die erforderliche Betreuung im eigenen Haushalt zu gewährleisten.  Der Angehörige/Betreuer mietet  sich ein in die WG und zahlt die veranschlagte Miete/Nebenkosten plus ggf. Verpflegungskosten.  Er schließt mit dem Pflegedienst einen  Vertrag.  Der Pflegedienst kümmert sich um Anträge und rechnet die Kosten direkt mit den Kassen ab.   Doch ist hier auch Vorsicht geboten.  Betreiber von Pflegediensten wittern in diesem Bereich ein lukratives Geschäft.   Die Nachfrage ist groß, die Gewinnaussichten ebenso.  Wie Pilze sprießen zur Zeit solche Pflege-WGs aus dem Boden.  Auf dem Papier kann auch hier vieles versprochen werden, wie z.B. der ausschließliche Einsatz von Fachkräften, deren Gehälter bei den Kassen geltend gemacht werden.    Ob eine WG für den Kranken förderlich ist,  hängt wie überall vom Einfühlungsvermögen und der Haltung der dort tätigen Personen ab.  Grundsätzlich sollten in einer  WG  immer, auch nachts,  zwei Pflegekräfte im Dienst sein.   Angehörige sollten sich einbringen dürfen und in alles einbezogen werden.  Bei der  Qualität von Pflege-WGs dürfte es große Unterschiede gegeben.  Und die Auswahl ist gering. Je weiter weg  der  Kranke von seiner Familie untergebracht ist, desto seltener wird er besucht.

Die 1:1 Betreuung im eigenen zu Hause klingt ideal, vor allem seit die Krankenkassen die Personalkosten  vollständig übernehmen müssen.  Allerdings nur, wenn dahinter ein anerkannter Pflegedienst steht,  der entsprechende Verträge mit den Kassen abschließen kann.   Die  Umsetzung scheitert jedoch häufig schon daran, dass die erforderlichen Fachkräfte in dem Umfange schwer zu finden sind.  Mir wurden Fälle berichtet, in denen für eine häusliche  1:1 Betreuung, Fachkräfte aus dem ganzen Bundesgebiet eingesetzt werden.  Das geht soweit, dass  der  Pflegedienst  eine Wohnung in der Nähe des Patienten anmietet, in der die Pflegekräfte leben, wenn sie nicht im Dienst sind.  Eine Kinderkrankenschwester aus BW, eine Krankenschwester mit Intensivausbildung aus RLP und eine aus Hessen wechselten sich in der ersten Woche mit  Früh-, Spät-, und Nachtdienst bei dem Kranken ab.  In der  zweiten Woche konnten die drei nach Hause fahren und wurden durch drei andere ersetzt, die auch einen weiten Anreiseweg hatten, weshalb sie in der Wohnung lebten.  Damit Fachkräfte solch ein Angebot überhaupt annehmen, muss die Bezahlung stimmen.  „Wir haben kein Problem, Fachkräfte für unsere Patienten zu bekommen“, erklärte voll Stolz der Geschäftsführer eines Vereins, der  häusliche Intensivbetreuung von Kindern ermöglicht.   „Bei uns verdienen Pflegekräfte für 14 Tage Arbeitszeit das Doppelte einer Vollzeitkraft. Reisekosten und Spesen werden selbstverständlich auch übernommen.  Wir kalkulieren den Preis einer solchen Betreuung und beantragen diese dann bei der Kasse.  Anfangs sträubten sich einige Kassen dagegen, inzwischen wissen wir, wie man sie davon überzeugt, dass sie die Kosten übernehmen müssen.“  Ein Hauptargument bei intensivpflichtigen Kindern ist natürlich, dass eine Langzeitintensivbehandlung in einer Kinderklinik ähnlich teuer würde.  Noch 2001 wurde Eltern mit einem Kind im Wachkoma erklärt, dass ein weiterer Klinikaufenthalt nicht mehr bezahlt werden könne, wie dieser Film „Marie lebt“,  zeigt.      Heute hätten diese Eltern die Möglichkeit ihre „Marie“ zu Hause versorgen zu lassen.    Fast alle Eltern möchten ihr krankes Kind bei sich zu Hause haben. Und in den wohl allermeisten Fällen kümmern sich Familien sogar ohne Pflegedienst alleine um alles, wie beispielsweise eine Mutter berichtet:  „Ich kenne meine Tochter, weiß wie sie reagiert.  Der Pflegedienst schickte immer wieder jemand neues vorbei, dem ich erklären musste, worauf zu achten ist. Was soll mir das bringen?“  Auch Christopher kämpfte sich mit Hilfe seiner Familie zurück ins Leben.

Wie die Langzeitpflege von Menschen im Wachkoma zufriedenstellender gelöst werden könnte!

Jeder Fall ist anders und in jedem Falle sollte eine individuelle Lösung gesucht werden.  Eine Lösung,  die sich an dem Menschen orientiert, der da eingeschlossen in seinem Körper liegt und sich nicht äußern kann.  Man fragt ja auch nicht danach was es kostet, wenn es z.B. darum geht, eingeschlossene Bergleute aus einem Schacht zu befreien. Solange sich Leben regt, wird alles Mögliche versucht.  Dies sollte auch und vor allem bei  Menschen mit apallischem Syndrom gelten. Wir wissen schließlich von denen, die erwacht sind und beschreiben wie sie sich gefühlt haben,  dass hier eine ganz besondere Notlage besteht.   Menschen  mit der Diagnose apallisches Syndrom, sollten nie aufgegeben werden, indem ihnen der Stempel „austherapiert“  angehaftet wird.  Die Pflege und Betreuung dieser Menschen muss in jedem Falle bis zuletzt von dem Ziel geleitet sein, einen Zugang zu dem Eingeschlossenen zu finden und ihm aus diesem Käfig herauszuhelfen.

Dass dies möglich ist und wie man hier vorgehen muss,  dazu gibt es wunderbare Beispiele, Filme und Bücher.  Jeder, der Menschen im Wachkoma behandelt, pflegt und betreut, sollte sich damit beschäftigen.

 

Fernsehberichte  und Buchempfehlungen  

Dieser Film zeigt die Situation auf Wachkomastationen.   Erst als sich eine ehrenamtliche Helferin,  um eine dieser „austherapierten“  Menschen kümmerte und das Fernsehen ins Haus kam, wurden eines Tages  Spezialstühle  für diese Frau und ihre Zimmergenossin organisiert, die ihnen den Aufenthalt in anderen Räumen ermöglichten und ein wenige Teilhabe außerhalb des Krankenzimmers.

Aus dem Leben gerissen: WDR, November 2014

Wachkomapatient konnte 12 Jahre nicht sprechen. Was er heute erzählt ist unvorstellbar.

Verkaufte Patienten: Aufsehenerrender Beitrag von Gottlob Schober über geradezu kriminelle Geschäftspraktiken im Bereich der häuslichen Intensivbetreuung

 

Ingrid Brill empfiehlt folgende Bücher:

  • Angèle Lieby mit Hervé de Chalendar, „Eine Träne hat mich gerettet“, Weltbild 2013
    • Wegen starker Kopfschmerzen wird Angèle Lieby in die Notaufnahme gebracht. Als sie das Bewusstsein verliert, versetzt man sie in ein künstliches Koma, aus dem sie nicht mehr aufwacht. Die Ärzte erklären sie für tot und raten dem Ehemann, die Beerdigung vorzubereiten. Doch Angèle lebt. Eingesperrt in ihrem Körper leidet sie höllische Qualen. Erst als ihre Tochter sie anfleht, nicht zu gehen, rinnt ihr eine einzige Träne über die Wange. Dieses kleine Lebenszeichen ist ihre Rettung. Mit Hilfe der Familie kämpft sie sich Schritt für Schritt zurück ins Leben. – Was Menschen erleiden, die sich nicht mehr äußern können, wird hier deutlich. Ein absolutes Muss für jeden Pflegenden, Arzt, Betreuer.
  • Jean-Dominique Bauby, „Schmetterling und Taucherglocke“, dtv, 2008 (auch verfilmt, als DVD erhältlich)
    • Ein Akt der Selbstbehauptung angesichts der totalen physischen Niederlage.  Er war 43 Jahre alt, Vater zweier Kinder und erfolgreicher Redakteur, als ihn am 8.12.1995 ein Gehirnschlag all seiner bisherigen Lebensmöglichkeiten beraubte. Von diesem Tag an blieb er vollständig gelähmt, unfähig zu sprechen, zu schlucken oder auch nur ein Glied zu rühren, und die einzige Möglichkeit, sich verständlich zu machen, war das Blinzeln mit einem Auge. Fünfzehn Monate später beendete er ein Buch, das er allein mit dem linken Augenlid diktiert hatte. Ein einzigartiges Dokument: zum ersten Mal berichtet ein Opfer des Locked-in-Syndroms, was in einem Menschen vorgeht, der äußerlich zur Statue erstarrt, doch innerlich quicklebendig geblieben ist. Bauby selbst hat die Hoffnung nie aufgegeben. Die Krankheit hat ihn zu einem Schriftsteller gemacht, der nicht nur mit bewundernswertem Humor seine Situation analysiert, sondern Phantasie und das Schreiben als das beste Gegenmittel begreift. Ein absolutes Muss für jeden Pflegenden, Arzt, Betreuer

 

 

8 Kommentare

  1. Unser sohn mathias geb.16.4.1965 ,hatte im november2017 ,einen 20minuten herzstillstand ,die bronchen waren zu gegangen,in der frühreha schaffte er es in den rollstuhl und zur sprachkanüle ,er brauchte nicht mehr abgesaugt werden,seine tochter ist die betreuerin.nach der frühreha kam er in eine wohngemeinschaft ,hier wurde ihm die sprachkanüle von der pflegeleitung weg genommen und es fanden keine therapien statt,mit dem einverständnis der betreuerin,man wollte einen atmungspflichtigen patienten aus ihm machen. Zu tiefes absaugen, die nicht gabe der bronchen medikamende fürten zu 6 aufenhalten in der intensivstadion.nach verlegung in ein anders haus fing alles von vorne an.durch eine anzeige bei der polizei wurde mathias in ein angebliches gutes haus verlegt.am anfang war alles gut,als wir darauf drängten ihn zu therapieren,wurde er plötzlich ruhig gestellt,so das nicht mehr ansprechbar war,auf nach frage beim arzt ,wurde uns erklärt ,dies sei zum eigenschutz,weil er sich wehrt,herz rasen un schweis aus brüche bekäme,er liegt nur flach im bett wird nich auf gesetzt,wurde mit morphin behandelt, kam im november 2019 für 8 tage ins krankenhaus,mit aufgeblätem bauch und schwer atmend,nach 2tage saß er gerade atmend ruhig,er war sichtlich gerührt das er uns wieder sah.die ärztin sagte wenn wir ihn endlassen könnt ihr ihn mit heim hole wenn euch die arbeit nicht zuviel ist.mitlerweile haben wir als eltern besuchsverbot.

  2. Meine Tochter liegt seid fast fünf Monaten im Wachkoma. Die war jetzt 4 Monate zur Rea und geht jetzt ins Heim. Mir wird Himmel Angst wenn ich das alles lese.

  3. ..Unser Sohn liegt seit dem Unfall vor 19 Jahren im Wachkoma. Wir pflegen ihn selbst. Pflegedienste wollten nicht pflegen ist ihnen zu wenig Geld. Wir bekamen bisher 700 Euro, seit Januar wurde das Pflegegeld auf 900 Euro erhöht. Für die Pflege im Heim würde die Kasse das doppelte zahlen. Als pflegende Angehörige sind wir 24 Stunden rund und um die Uhr da, ohne Urlaub, Nächte mit wenig Schlaf. Keine Ablösung nach gewissen Stunden. Und das im ganzen Jahr. Wir machen es gerne, es ist unser Herzplatte. ABER es gibt zu wenig Hilfen. Unterstützung gibt es für Angehörige die zu Hause Pflegen nicht. Beratunsstellen sind überfordert im Wachkomabereich. Die Krankenkasse sagte, diese Patienten sind Randgruppen.

  4. Man kann „Medizin“ und viele Mediziner können nicht „Koma“.
    Reflexe nennt man die Reaktion – ich nenne es Gefühle zeigen.
    An wen wende ich mich, um richtig beraten zu werden?

  5. Die Oberärztin hat mich in Kenntnis gesetzt, dass die Früh-Reha wohl unterbrochen wird, da sie keine Fortschritte sieht. Was ich sage, gilt nicht. Sie hätte es festgestellt. Ich soll mich mit dem Sozial-Dienst in Verbindung setzen. Mein Mann ist reanimiert mit Herzinfarkt eingeliefert worden, Kältebett und Koma. Danach hat er Fieber bekommen. Alle möglichen Erkrankungen hat er im Krankenhaus bekommen, die man sich nur einfangen konnte. Nach 5 Wochen Koma ist er in die Früh-Reha. Dort bekam er Bakterien im Urin. Fieber mit Antibiotika. Er wird immer schwächer. Durch das „Durchtrainieren“ der Gliedmaßen 5x Arme hoch, 5x Beine beugen, bisher 2x auf die Bettkante. Wochenende – nach meiner Meinung – so wenig wie möglich oder gar nichts.
    Man solle doch mehr ihn selbst ansprechen, denn er würde es durch seine Gestig zur Kenntnis nehmen – nimmt man erst seit 2 Tagen wahr. Die Oberärztin spricht negativ am Krankenbett, sie dreht sich um und ein verzweifeltes Gesicht schaut hinter ihr her. Es ist zum Verzweifeln.

  6. Hallo, mein Mann ist seid 7 Jahren im Wachkoma, aber er wird nicht beatmet. Was ich immer wieder vermisse, ist die Förderung dieser Patienten. Zum Beispeil eine Reha, Phase B zum Aufbau und als Beschäftigungstherapie. Wir sehen immer wieder, dass die Patienten in den Betten liegen, zur Decke starren oder zu dem Fernseher. Bei diesem Tagesablauf bekommt selbst ein gesunder Mensch Depressionen. Auch die Weiterentwicklung ist doch zu fördern. Sie müssen doch nicht immer Wachkomapatienten bleiben.Aber da stößt man auf taube Ohren, weil die Schnelligkeit den Ablauf beherrscht und nicht die feinstofflichen Reaktionen der Patienten. Eine sehr traurige Ansicht der Menschheit!!! Kämpfe immer noch für eine Reha für meinen Mann, weil ich weiß, das er es möchte.

  7. Die meisten Einrichtungen für Wachkomapatienten sind personell völlig unterbesetzt. Um einen Wachkomapatienten optimal zu betreuen ist eine 1:1 Pflege unumgänglich.
    Ich persönlich kann nur jedem empfehlen die Pflege und Versorgung zuhause zu organisieren. Sicher weiss ich dass das nicht immer leicht ist aber es ist möglich wenn man will.

    In einem Kommentar hier steht dass ausschliesslich bei beatmeten Patienten die Versorgung zuhause bezahlt wird. Das ist so nicht richtig.
    Hier stehen die Voraussetzungen für die häusliche Intensivpflege und die Kostenübernahme durch die Krankenkasse.
    https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%A4usliche_Intensivpflege

    Sollte die Krankenkasse nicht zuständig sein kann die Pflege auch über andere Kostenträger finanziert werden. Stichwort : Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe, Persönliches Budget.

    Ich selbst pflege meine Frau seit 2009 zuhause. Ich habe es bis heute nicht bereut und würde es immer wieder so machen.

    Hier ein kleiner Filmbeitrag dazu
    http://www.zdf.de/37-grad/ich-lass-dich-nicht-alleine-wenn-maenner-pflegen-34977742.html

  8. Sehr geehrte Frau Stoesser,

    Ihr Beitrag über eine Wachkoma Station ist erschreckend jedoch aber nicht gut recherchiert von Ihnen.
    Bin seit 5 Jahren Angehöriger einer sog. Wachkoma Pat.
    Meine Frau liegt in einem Heim, da ich leider keine Kapazitäten habe mein Haus umzubauen.
    Mir fiel es schwer, aber irgendwie muss ich auch an mich denken, so hat es mein Psychologe mir erklärt.
    Da Sie hier den Heimbetreiber und das Pflegepersonal an den Pranger stellen finde ich nicht in Ordnung, denn die können am wenigsten dafür, viel mehr die Pflege bzw. Krankenkasse.
    Das Pflegepersonal mit 6-7 Kräfte im FD und 4-5 Kräfte im SD und 3 im ND finde ich gar nicht schlecht, aber natürlich ausbaufähig.
    Das hängt natürlich von der Pflege- und KK ab.
    Aber wie ist es denn finanziell zumutbar, schließlich bezahlt man „nur“ 5.500 €
    Mein Pflegeplatz kostet etwas weniger bei Pflegestufe 3+, was jedoch schwierig war es durchzubekommen, denn der MDK sah es mit einer Pflegestufe 3, kein erhöhten Aufwand, da die Pflege kein Essen usw. geben muss.
    Wie im LINK ausführlich Beschrieben wurde über die Einrichtung nur negative Seiten dargestellt, was ist mit den positiven Aspekte?.
    Waren Sie schomnal in solch einer Einrichtung bzw. in dieser ??
    Meine Ehefrau erhält eine Liebevolle Pflege, in meiner Einrichtung liegen 20 Bewohner,
    im durchschnitt 1:4 / 1:5 Pflegekräfte
    Leider wurde hier zu oft Heim gegenüber häusliche Pflege gegenüber dargestellt.
    Meine KK sagte mir, das ausschließlich beatmete Pat. in der Häuslichkeit versorgt werden.

    Für mich als Angehörigen ist es umso schwieriger das hier zu lesen, da ich mich 100 Prozent auf die Pflege meiner Frau verlassen muss. Bin fast tgl. bei Ihr.
    Wie soll ich das Jetzt bewerten ?
    Gibt es andere Erfahrungsberichte in einem anderen Bundesland ?

    Vielen Dank für Ihre Antwort

    Mit freundl. Gruß

    Julius Holms

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