Schluss, sag ich! – Buchempfehlung

Waltraud Berle: Schluss, sag ich! Von Menschen die in Würde altern wollten.

Über fünf Jahre sah sich die Journalistin und Psychologin, Dr. Waltraud Berle, in der Rolle einer unliebsamen Angehörigen, nachdem sie ihre Mutter der Obhut eines Heimes anvertraut hatte. Nun hat sie das Erlebte in einem Buch verarbeitet. „Schon wieder ein Buch, gespickt mit schlimmen Erfahrungen aus dem Heimalltag“, dachte ich, als sie es mir schickte: „Wann soll ich das lesen? Nicht auch noch an Wochenenden Pflegeprobleme wälzen…..“ Eigentlich wollte ich nur mal überschlägig reinschauen, jedoch dann fing ich an zu lesen und war begeistert. Sowohl von der bildhaften Sprache und Erzählweise die so gar nichts von einem trockenen Sachbuch hat, als auch von den Bezügen zur Lebensgeschichte der drei Hautpersonen, die man, statt ihnen Ehrerbietung entgegen zu bringen nicht für voll nimmt. Ihr taten die „alten Geier mit ihren hängenden Köpfen“ leid und sie stellte fest, wie einfach es war, in diesen alten Frauen wieder die früheren Lebensgeister hervorzulocken. Mit einer anderen Haltung, mit Empathie und der Beachtung einfacher Anstandsregeln. Differenziert und deutlich auch ihr Bild von denen die unsere alten Mütter oder Väter in diesen teuren Unterkünften pflegen. Beispiel:

„Stellen Sie sich nun folgende Szene vor: Eine schwitzende Frau in Pflegeweiß schaut Sie an. Gehetzt? Unwirsch? Sie haben das Gefühl, sehr zu stören mit Ihrer Frage, Ihrer Bitte. Die Frau ist dunkelhäutig, möglicherweise kommt sie aus Afrika, das wissen Sie aber nicht. Sie könnte auch woanders her stammen, jetzt engagiert als Pflegerin in Deutschland. Jedenfalls – und das wird zum Problem – spricht sie nur sehr unvollständig Deutsch. Deswegen Sie die Frau schlecht verstehen. Die Frau schaut Sie kaum an. Ihre Augen sind dunkel, und mir scheinen sie zu flackern. Ich habe keinerlei Übung im Lesen von so dunklen Augen, aus welchem Land auch immer. In meiner mitteleuropäischen Interpretation von Gebärden- und Mimik-Sprache heißt das, sie könnte ein schlechtes Gewissen haben, vielleicht auch Angst vor mir. Ich weiß aber nicht ob das so ist. Ich weiß überhaupt gar nichts über diese Frau. Sie hat sich mir nicht vorgestellt, die Heimleitung stellt sie mir auch nicht vor, es ist, als sei sie ein namenloses Arbeitstier ohne Individualität. Ich kenne bestenfalls ihren Vornamen. Ich weiß nicht woher sie kommt, wie sie lebt, was sie tut in ihrem privaten Leben, ist dieser Mensch Mutter, Ehefrau, katholisch, heidnisch, moslemisch, ich weiß gar nichts. Ja, ich würde sie gerne fragen, aber dafür hat diese Frau gar keine Zeit, so gehetzt wie sie wirkt. Vielleicht ist sie auch froh, dass niemand sie anspricht. Und so sind und bleiben wir uns fremd. Nichts weiß ich von ihr und nichts weiß sie von mir. Und von meiner Mutter weiß sie auch nichts.“ An anderer Stelle: „Wer von den Politikern behauptet, wir bräuchten einfach nur ‚mehr‘ Pfleger ungeachtet ihrer Eignung und Persönlichkeit, plädiert dafür, aus Menschen Arbeitstiere zu machen und das ist schon wieder ein Mangel an Würde.“  Unterstrichen habe ich auch folgenden Hinweis: „Krankenpflege und Altenpflege ist Dienstleistung. Das Wort kommt von Dienen und nicht nur von verdienen! Ob ein Mensch aus dem Kongo kommt oder aus Nowosibirsk oder aus Filderstadt ist egal – er braucht Empathie und auch gute Manieren, will er sein Geld mit Dienstleistung verdienen.“

Diese Buch sollte Pflichtlektüre werden in allen Bildungseinrichtungen für Pflege, sowie für jeden Leistungsanbieter. Angehörige dürften die Einschätzung des Bernd Meurer nur dann teilen, wenn sie das Glück hatten, ein „gutes Heim“ zu finden. Die letzten sieben Wochen ihres Lebens, durfte die Mutter von Waltraud Berle, erfahren, was den Unterschied ausmacht. Dafür konnten Mutter und Tochter dankbar sein. „Meiner Meinung nach müssen wir zuerst viel mehr tun für die Leute, die bereits hier wohnen. Und die keine Flüchtling sind und trotzdem kaserniert wohnen wie in einem Lager.“ Ich denke, Frau Berle steht mit dieser Meinung keineswegs alleine. Zu Ihrer Person und Buch: https://dr-berle.de/die-buecher/schluss-sag-ich/

Lesen Sie hier Interviewbeitrag im Merkur vom 13.10.2015: ich-habe-geweint-verzweifelt-zornig

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