Patientenverfügungen als Ersatz für fehlende Sterbekultur

Die Medizin ist aus dem Ruder gelaufen. Sie setzt auf Lebenserhaltung um jeden Preis, und setzt damit ungezählte Menschen einem qualvollen Sterben aus.  Wer  sich als  Todkranker nicht endlos lange quälen lassen will, weil sich Ärzte und Pflegekräfte verpflichtet sehen das medizinisch  Machbare auszuschöpfen um das Sterben zu verhindern, ist aufgefordert in einer Patientenverfügung möglichst genau darzulegen, welche Medizin er nicht wünscht.  Unser  Staat empfiehlt den Bürgern sich vor dem Machbarkeitswahn und Geschäftspraktiken einer Medizin zu schützen, die das Sterben nicht als Teil des Lebens versteht, sondern als ein Übel, das verhindert werden muss.   „Viele Ärzte machen mit sterbenskranken Patienten Geschäfte, statt sie human in den Tod zu begleiten. Diese Vorwürfe erhebt der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns in seinem Buch „Patient ohne Verfügung“, das am Donnerstag (01.09.2016) erscheint.“, heißt es in diesem WDR Beitrag .

Zeitgleich erklärt der Bundesgerichtshof  allgemeine Aussagen in Patientenverfügungen für unwirksam.  Aktuell diskutiert der Bundestag das Arzneimittelgesetz dahingehend zu ändern, dass Medikamentenforschung selbst bei Demenzkranken durchgeführt werden dürfen, sofern diese nicht zu gesunden Zeiten ausdrücklich in ihrer Patientenverfügung erklären, dass sie damit nicht einverstanden sind.   Genaugenommen werden wir Bundesbürger aufgefordert, für jeden erdenklichen Behandungsfall vorausschauend festzulegen, ob wir diesem  Zustimmen oder nicht.  Wer das nicht tut, liefert sich einer Medizin aus, die auf dem Markt der Möglichkeiten vor allem den eigenen wirtschaftlichen Vorteil im Blick hat.

Jedoch selbst die ausgefeilteste Patientenverfügung nützt nichts, wenn ich als Patient in aussichtsloser Lage an Ärzte,  Pflegedienste und Betreuer gerate, die wissen wie sie argumentieren müssen, damit sie möglichst lange daran verdienen können, mich mit allen Mitteln am Leben zu erhalten. Solange an  Todkranken, die künstlich am Leben erhalten werden, viel mehr Geld verdient werden kann, als an nicht intensivpflichtigen Patienten, muss der Bürger damit rechnen, dass seine Patientenverfügung kurzerhand verschwindet oder solange uminterpretiert wird, bis zweifelnde Angehörige/Betreuer  schließlich nachgeben, wie dieser  Monitorbericht vom 08.09.2016 zeigt.

Hintergrundinformationen zu diesem Thema finden Sie in unserem Beitrag auf Pflege-Prisma: Ungleichbehandlung von Wachkomapatienten.

Sterbende in der Obhut von Lebensrettern

Zu den ethischen Grundregeln wie sie Hippokrates  lehrte, gehört sinngemäß diese:  Wenn der Arzt erkennt, dass er den Kranken nicht heilen kann, sollte er nichts tun, um sein Sterben zu behindern.  „Heilen oder wenigstens nicht schaden.“, ist auch ein Leitgedanke  dieses Urvaters des Arztberufes.   Die heutigen Ärzte verfahren hingegeben nach dem Grundsatz, nichts unversucht zu lassen. Koste es was es wolle. Alles was die Medizin hergibt und die Kassen bezahlen, wird probiert. Bis zum letzten Atemzug werden noch Infusionen, Antibiotika, Herzmittel und anderes verabreicht.  Auch wenn jeder weiß, dass die Untersuchung oder der Eingriff keinen Nutzen für den Patienten bringt,  werden in wohl  jeder deutschen Klinik, Todkranke  durch die Untersuchungsräume rauf und runter  geschleust.

„Morgen soll ich noch einmal in die Röhre. Da graut mir jetzt schon vor. Ich weiß gar nicht was das bringen soll. Die Befunde sind doch klar.“, erklärte mir eine frühere Kollegin und Freundin im Juli d.Jahres. Vergangene Woche haben wir sie beerdigt.  Immerhin gab es in ihrem Falle einen  Onkologen, der ihr von einer Chemotherapie abgeraten hat.  Eine wirkliche Heilungschance könne er nach seiner Erfahrung bei ihrem Befund nicht sehen. Die Nebenwirkungen würde er ihr deshalb gerne ersparen. Wenn sie jedoch unbedingt wolle und sich an diesen Strohhalm klammere, dann würde er das machen.   Als Fachfrau mit mehr als fünfzigjähriger Pflegeerfahrung, die selbst ein Hospiz aufgebaut hatte, wusste sie diese Ehrlichkeit zu schätzen.  „Wenn das jetzt mein Schicksal ist, dann nehme ich es an – ohne Wenn und Aber.“, erklärte sie.  Dennoch wurden dieser sterbenskranken Ordensschwester, die zu der Zeit bereits ihr Bett nicht mehr verlassen konnte und wegen Wasser in der Lunge immer wieder punktiert werden musste, fast täglich zu irgendwelchen Untersuchungen gefahren. Dies geschah wohl hauptsächlich deshalb, um den ungewöhnlich langen Krankenhausaufenthalt gegenüber der Kasse zu rechtfertigen.  Etwa 4 Wochen vor ihrem Tod wurde Sr. M dann auf eine Pflegestation für Ordensschwestern im selben Krankenhaus verlegt, was sie insofern gut fand, als dass die Ärzte sie dort in Ruhe ließen.  Nicht ganz jedoch.  Etwa 10 Tage vor ihrem Tod verschlechterte sich ihr Zustand.  Das Finalstadium schien erreicht. Sie sei sehr müde, wolle nichts essen und trinken, erklärte die Stationsleiterin, als ich sie an dem Abend  besuchte.  Sie machte kurz die Augen auf, lächelte und begrüßte mich mit Namen –  dann dämmerte sie wieder weg.  Ich saß neben ihr und hätte ihr gewünscht, dass sie in dieser ruhigen entspannten Atmosphäre gehen kann.  Da kam eine Schwester ins Zimmer und erklärte, der Chefarzt (Internist) habe veranlasst, dass Sr. M wieder stationär aufgenommen wird.  Sie wurde ins Erdgeschoss gefahren, in die Ambulanz. Dort wurde Sauerstoff gegeben, ein EKG geschrieben, Blut abgenommen, eine Infusion angehängt und zum x-ten Mal die Lungen geröntgt.  Immerhin durfte ich sie begleiten. „Was ist hier auf einmal los?  Was soll diese Aufregung?“, fragte sie mehrfach, sichtlich irritiert.  Dieser ganze Aufwand wurde nicht zuletzt deshalb betrieben, damit ihre stationäre Aufnahme abgerechnet werden konnte. Selbst die Krankenschwester und Ärztin im Aufnahmeraum, schüttelten den Kopf, füllten dienstbeflissen zahllose Formulare aus  und dachten sich wohl: Wenn das angeordnet ist, müssen wir das eben machen.  Durch diese „lebenserhaltenden Maßnahmen“ wurde ihr Erdenleben, besser gesagt ihr Sterben, um 10 leidvolle Tage verlängert.  Sie selbst wurde nicht gefragt, ob sie damit einverstanden ist. Der Chefarzt in Absprache mit der Oberin, hatten verfügt, dass diese Patientin noch nicht gehen darf.

Je näher das Ende rückt, desto eifriger die Bemühungen der Ärzte und Pflegenden.  Wenn der Arzt nicht heilen kann, sollte er alles versuchen um den Kranken so lange als möglich am Leben zu halten. Auch wenn jeder den Zustand bedauert und alle die den Kranken sehen,  sagen oder denken: Heiliger Himmel, bewahre mich  in so einer fürchterlichen Lage gequält und hingehalten zu werden.  Hierzulande darf niemand sterben, den die behandelnden Ärzte  noch nicht frei gegeben haben.   Noch in den siebziger Jahren mussten Patienten die älter als 50 waren um einen Dialyseplatz kämpfen, da diese Behandlung nur für jüngere übernommen wurde. Heute müssen selbst 90 jährige in einer Patientenverfügung darlegen, dass sie nicht an die Dialyse wollen.   Und dieser Wahnsinn nimmt kein Ende.   Inzwischen reichen die bisher üblichen – allgemeinen Erklärungen in Patientenverfügungen nicht mehr aus.   Von gesunden Bürgern wird erwartet, dass sie – alle Eventualitäten vorausblickend –  in der Patientenverfügung genau auflisten, welche medizinischen Maßnahmen sie in welchem Falle ablehnen. Anstatt das unser Staat die Bürger vor der Geschäftemacherei mit  künstlicher Lebenserhaltung schützt, fordert er sie auf sich in gesunden Jahren in die Lage eines Todkranken zu versetzen und sich mit Ärzten, Anwälten und Notaren über Auslegungsfragen und Formulierungen zu beraten, die im Zweifelsfalle dann doch uminterpretiert werden können.
Unser Gesundheitssystem ist falsch programmiert.  Die Ärzte lernen wie sie den Körper möglichst lange am Leben erhalten können. Sie lernen nicht, wie man die Grenze erkennt, an der es für den Kranken gesünder wäre, sterben zu dürfen.  Selbst in einem hochkatholischen Krankenhaus, musste ich im Jahre 2016 erleben, wie  dann kurz vor dem Tod nochmals die Lebenserhaltungsmaschinerie angeworfen wurde.  Und dies bei einer Ordensschwester, die selbst längst Frieden mit ihrem Sterben geschlossen hatte und der jeder nur wünschen konnte, bald erlöst zu sein.

Zu Hause sterben dürfen.

Obwohl, wie Umfragen bestätigen, die meisten Menschen zu Hause sterben wollen, kann dieser Wunsch nur in seltenen Fällen realisiert werden.  Gerade in der Endphase wenn dann keine Fachleute vor Ort sind, die wissen, wie sie den Sterbenden unterstützen  können, greifen Angehörige oft zum Telefon und rufen den Rettungsdienst.  Das ist verständlich. Denn wer hat schon als Angehöriger Erfahrung mit dem Sterben? Wenn ein Mensch plötzlich nach Luft ringt und Veränderungen auftreten, die er beängstigend findet, liegt der Ruf nach dem Arzt nahe. Ambulante Hospize mit für die Sterbebegleitung geschulten Frauen und Männern, gibt es längst nicht überall. Meine Freundin, die oben erwähnte Sr. M., war eine der ersten die in Deutschland ein ambulantes Hospiz gründete und ein Netzwerk mit HospizhelferInnen, Pflegefachkräften und Ärzten aufgebaut hat. Während der rund 20 Jahre, als sie einen großen ambulanten Pflegedienst geleitet hatte, erlebte sie immer wieder verzweifelte Angehörige die es bedauerten, nicht verhindern zu haben, dass die sterbende Ehefrau, der Mann, die Mutter, der Vater, der Bruder, die Tochter etc. die letzten Lebenstage auf der Intensivstation zubringen musste. Viele sind auf dem Weg ins Krankenhaus oder noch im Aufnahmeraum verstorben.  Auch das kann sehr belastend sein, weil Angehörige dann nicht wirklich Abschied nehmen können und das Gefühl haben, den Sterbenden in dieser letzten Stunde alleine gelassen zu haben.

Als Krankenpflegeschülerin und junge Schwester  lernte ich das Sterben in einer Weise kennen, die befremdlich und beklemmend war. Man gewöhnte sich daran, entwickelte eine gewisse Routine im Umgang mit Sterbenden und der Versorgung  Toter.  Ich habe sie nicht gezählt, die Patienten, die ich sterben sah. Aber es waren viele, auf der großen internistischen Station.  Manche starben kurz nach der Aufnahme, andere fand man plötzlich reglos im Bett, wieder andere sorgten durch unvorhergesehene Verschlechterung für klassische Notfallsituationen auf Station.   Bei den meisten kündigte  sich das Ende jedoch längere Zeit vorher an.  Viele Patienten waren alte Bekannte, die in immer kürzen Abständen stationär kamen, bis sie dann irgendwann nicht mehr entlassen werden konnten, sondern im Leichenwagen abtransportiert wurden.  Sterbenskranke, die von den Angehörigen zu Hause nicht betreut werden konnten, blieben bis zu ihrem Tod auf Station, selbst wenn sich das über Monate hinzog.   Auch wenn es künstliche Ernährung über PEG Sonde noch nicht gab und niemand in diesem Krankenhaus Langzeit beatmet wurde,  hätte ich auf  „meiner Station“ als Sterbende nicht liegen wollen.  Wer möchte schon in einem Dreibettzimmer seine letzten Tage verbringen,  mit anderen Kranken die mit ihren  Sorgen genauso alleine gelassen da liegen.  Wo es tagsüber kaum eine ruhige Minute gibt, weil andauernd die Tür aufgeht  und irgendjemand vom Personal etwas erledigen muss.  Alle gehen geschäftig ihrer Arbeit nach.  Keiner interessiert sich wirklich für den einzelnen Kranken. Und wenn es Patienten gibt, die einem am Herzen liegen, fehlt die Zeit sich zu diesen zu setzen.   Die meisten Deutschen sterben auch heute immer noch in solch einer institutionellen Atmosphäre. Oben am Bett hängt eine Infusion, durch die Flüssigkeit einfließt, unten der Katheterbeutel in den Flüssigkeit ausfließt.

Mein Großvater war der erste Mensch, den ich erlebt habe, der das Sterben zu seiner privaten Angelegenheit machte und jede medizinische  Einmischung auf seine humorige Art zurückwies.  Als man ihm wenige Wochen vor seinem Tod Infusionen geben wollte, weil er kaum noch etwas getrunken hat, meinte er : „Wenn ich Durst hätte, würde ich trinken.  …. Wenn es mit einem alten Gaul  zu Ende geht, dann merkt man das daran, dass er nichts mehr trinken und fressen will.  Mit mir altem Knaben ist auch nicht mehr viel los.  Das muss man dann akzeptieren. ….. Ich warte jetzt hier auf meinen Abruf und habe dem da oben schon erklärt, dass ich bereit stehe.“  Nachdem ich vor rund 32 Jahren am Beispiel meines Großvaters erleben durfte, wie unproblematisch das Sterben sein kann, wenn man der  Natur nicht durch Infusionen und Medikamente ins Handwerk pfuscht, habe ich angefangen anders darüber nachzudenken.  Bis dahin war auch ich der Meinung, man müsse wenigstens Infusionen geben, gegen den Durst.  In meiner Patientenverfügung lehne ich in aussichtsloser Lage nicht nur künstliche Ernährung sondern auch Infusionen ab, wie eigentlich alle Medikamente.

Das zunehmend gestörte Verhältnis von Ärzten im Umgang mit unheilbar Kranken, erlebte ich vor kurzem in der eigenen Familie.   So wurde meinem achtundachtzigjährigen Vater, der bereits deutlich geschwächt war als er im August 2015 die Diagnose Lymphom (Lympknotenkrebs) bekam, zu einer Chemotherapie geraten, mit dem Hinweis auf eine vergleichsweise hohe Erfolgsrate bei dieser Krebsart. Anfangs lehnte er ab, hatte sogar in seiner Patientenverfügung ausgeführt, dass er keine Chemotherapie wolle.  Daraufhin erklärte ihm der Arzt, dann könne er nichts mehr für ihn tun.  Er wurde entlassen mit einer Lebenserwartung von bestenfalls einem halben Jahr.  Da meinem Vater das alles zu schnell ging und er sich noch nicht aufs Sterben einstellen konnte, ging ihm der Gedanke, diesen Krebs vielleicht doch durch Chemo besiegen zu können, nicht  aus dem Kopf.  Tatsächlich vertrug er den ersten Zyklus – bestehend aus 4 Behandlungen – erstaunlich gut; ohne Übelkeit, ohne Haarausfall.  Als sich der Krebs kurz darauf jedoch, in noch stärkerer Form bemerkbar machte, konnte er sich damit abfinden und die Wochen die ihm noch blieben, für alles was ihm noch wichtig war  nutzen.  Vor allem war ihm wichtig, Geschichten aus seinem Leben zu erzählen, die ihm während schlafloser Stunden ins Gedächtnis kamen.  Er freute sich über jeden Besucher. Gemeinsamkeiten wurden ausgetauscht. Es wurde viel gelacht – machmal auch geweint.  Wenige Tage vor seinem Tod legte er fest, dass er keine traurigen Lieder und Ansprachen bei seiner Beerdigung wünscht.  Er legte die Lieder fest, die der Chor singen sollte,  in dem er viele Jahrzehnte Mitglied war.  Unterstützt von seiner Familie konnte er am 03.Mai 2016 zu Hause sterben, ohne dass palliative  Maßnahmen notwendig wurden.  Auch weil mehrere seiner Kinder/Schwiegerkinder  Pflegeerfahrungen mitbrachten und in der Lage waren, ihm die nötige Hilfestellung zu geben. So ein „natürliches  Sterben“ im Beisein ihrer sechs Kinder wünscht sich meine Mutter auch, die ihm Tag und Nacht zur Seite stand.  Uns allen, die wir ihn begleitet hatten und dabei waren, als er starb, hat er vor Augen geführt, dass wir uns nicht fürchten müssen vor dem Sterben an sich.

Schön war die Zeit.  Als sie zu Ende ging, war ich bereit, zurückzukehren in die ewige Heimat, wo wir uns wiedersehen“  In diesem Sinne hat mein Vater diese Lebensbühne  verlassen.  In Liebe und Dankbarkeit, mit Würde und Wertschätzung.  Ich kann nur jedem wünschen, dass er das ähnlich gut hin bekommt.

Auch Herbert D., aktives Mitglied des Pflege-SHV,  kennt den Unterschied. Seine Mutter lebte bis zu ihrem Tod mit 102 Jahren in ihrer eigenen Wohnung im Haus der Schwester. Als sie nicht mehr alleine zurechtkam, wurde von seiner Schwester, Schwager seiner Frau und ihm eine Rund-um-Betreuung organsiert, mit Unterstützung durch den Pflegedienst. „Und zu ihrem Lebensende hatten wir glücklicherweise eine Ärztin da, die über den Sterbevorgang und den Umgang in dieser Phase gute Aufklärung vornahm. Die Mutter konnte so in Würde sterben, ohne die unnötigen Behandlungen, die das Sterben erschweren.“ Rückblickende sagt er: „Wir würden das auch jeder Zeit wieder so machen. Meine Frau und ich wären auch bereit gewesen, für die Schwiegermutter in der Pflegephase eine Rundumbetreuung zu organisieren, abgestimmt zwischen den 5 Geschwistern. Sie wohnte über 50 Jahre in einer Wohnung mit großem Garten und wollte diese nie verlassen. Wir waren sogar bereit sie in unserem Haus zu betreuen.“ Aber dazu kam es nicht, weil die Schwiegermutter von ihrer anderen Tochter ins Heim geschafft wurde, wo sie rund sechs Jahre lang am Leben gehindert wurde, und  in der letzten Phase auch am Sterben.  Jetzt ist sie endlich erlöst und alle, die das mit ansehen mussten, können zumindest wieder aufatmen.  „Ihr Sterben hat  fast 3 Monate gedauert. Wie mit ihr am Lebensende – auf wessen Anweisung auch immer – umgegangen wurde,  ist so als ob man jemanden den Kopf unter Wasser hält und jedes Mal bevor er ertrinkt, darf er noch mal Luft holen. „, beschreibt Herbert D. seinen Eindruck.   Gegen ihren Willen und ohne Notwendigkeit wurde diese körperlich vitale und leicht verwirrte Frau 2010 ins Heim verfrachtet. Weil sie anfangs ständig raus wollte und wieder nach Hause, stellten Ärzte und Pflegekräfte die Frau ruhig. Nicht nur mit Medikamenten, sondern auch – mit richterlicher Genehmigung – durch Bauchgurte am Stuhl. Bildlich gesprochen, drückte man sie mit dem Kopf unter Wasser, man nahm ihr die Luft zum Leben. „Ihre Mobilität ging so zusehends verloren und als Folge kam dann die Pflegestufen III. Psychopharmaka gab es reichlich wodurch sie oft nicht ansprechbar war. Dafür waren Ängste bei ihr vorhanden, die sich auch in Aggressionen äußerten. Auf Zuwendung reagierte sie jedoch sehr positiv.“

Diese und ungezählte andere Erfahrungen im Umgang mit Sterbenden zeigen, dass hier einiges völlig aus dem Ruder gelaufen ist, wobei den führenden Köpfen im Lande bisher nichts anderes einfällt, als  die Bürger in die Pflicht zu nehmen, sich vor der Fremdbestimmung durch Patientenverfügungen  selbst zu schützen.   Wir haben heute eine Situation in der man Kranke vor den Ärzten schützen muss.  Auch deshalb weil sich unsere  Ärzte, in Kammern organisiert, nur sehr schwer zur Rechenschaft ziehen lassen, von Patienten, die durch ihre Behandlung geschädigt wurden.  Vor jedem Eingriffe lässt sich der Arzt unterschreiben, dass alleine der Patient das Risiko trägt, für alle Schäden die passieren.   Ärzte bekommen auf jeden Fall ihr Geld über die Krankenversicherung, auch wenn ihre Behandlung nachweislich zum Tode geführt oder schweren Schaden verursacht hat.

Deutschland hat Sterbehilfe zum Tabu erklärt und damit Sterbeszenarien etabliert, die grauenvoll und furchtbar sind.  Kurzfristig können wir uns vor einem grauenvollen Ende bestenfalls durch Patientenverfügungen schützen. Langfristig müsste sich die Einstellung zum Sterben und Tod ändern.  Wir alle werden früher oder später an dieser Schwelle ankommen. Die Medizin kann das Leben hier auf Erden nicht retten. Damit sollten wir lernen ohne Angst umzugehen.

 

 

2 Kommentare

  1. Das Thema Patientenverfügung ist immer ein heikles Thema, vor allem wenn man zur Streiterei innerhalb der Familie kommt. Eine Freundin von mir setzt sich gerade damit auseinander und ich merke, weil stressig das sein kann. Alles, was man machen kann, ich lernen, vernünftig damit umzugehen.

  2. Liebe Frau von Stösser,
    ich habe Ihren Beitrag mit Gänsehaut gelesen – weil Sie mit Ihrer besorgten Kritik nur allzu sehr recht haben! Auch der Titel trifft es gut!
    Die Interessenlage und die entsprechenden Verhaltensmuster, die Sie beschreiben, decken sich auch mit meinen privaten und beruflichen Erfahrungen.
    Viele Probleme könnten freilich vermieden werden, wenn die Menschen sich dem Thema „Patientenvorsorge“ endlich rechtzeitig und konsequent stellen würden. Sicher, dazu müssten sie bereit sein, Zeit und etwas Geld zu investieren. ZEIT: Um sich intensiv mit den eigenen Vorstellungen (vom „lebenswerten“ Leben) mit den, bei diesem Themenkreis allgegenwärtigen, Ängsten und Sorgen auseinanderzusetzen. Übrigens nicht zuletzt auch mit der Frage, zu welchen Personen aus dem nahen Umfeld man hinreichend Vertrauen hat, um ihnen die Kontrolle über sein Leben – und Sterben – zu übertragen! Dazu gehört es auch, einen engagierten Arzt auszuwählen, mit dem man in den wesentlichen Fragen übereinstimmt.
    GELD: Ich weiß aus manchen Gesprächen, dass wenig Bereitschaft besteht, „dafür auch noch weiß Gott, wieviel Geld zu bezahlen“ bzw. „Anwälte und Notare noch reicher“ zu machen. Nun, wer die Kriterien für die wohl folgenreichsten Entscheidungen seines Lebens möglichst kostenlosen Internetformularen entnehmen will, der mag die Konsequenzen halt er-tragen….
    Was ich sagen will: Es gibt die Möglichkeit „wasserdichter“ Patientenverfügungen auch nach der jüngsten BGH-Entscheidung!!! Man muss dann halt zu einem erfahrenen Rechtsanwalt oder Notar (oder einem sonstigen Experten) gehen, der einen Tätigkeitsschwerpunkt gerade in diesem Bereich hat.
    Mindestens eben so wichtig wie die „richtige“ Patientenverfügung ist freilich die den individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten angepasste Vorsorgevollmacht !!!!!!!! Ich kann dies gar nicht stark genug betonen. Denn es wird im Zweifel der Bevollmächtigte sein, der die Patientenverfügung, das bloße „Papier“ mit Leben erfüllt. Der es durchsetzt gegenüber Ärzten, Angehörigen, Pflegeheimen, Behörden etc. Behörden. Er muss dann „stark“ sein, wenn der Vollmachtgeber „schwach“ geworden ist!
    Und dazu braucht es vertrauenswürdige Personen mit Rückgrat und der Bereitschaft, sich zu engagieren. Sie müssen sich schließlich u. U. gegen mächtige pseudomoralische (Wirtschafts-)Interessen behaupten. Oder auch gegen aus Unsicherheit resultierenden Ängsten auf Seiten der medizinischen Entscheidungsträger. Sie haben es ja vielfach sehr deutlich erlebt und beschrieben, liebe Frau von Stösser.
    Also: Die richtige Patientenverfügung mit konkreten Anweisungen für einen/mehrere starke Bevollmächtigten (wenn möglich, bitte nicht auf einen fremden, rechtlichen (Berufs-)Betreuer setzen!)vermeidet sicher nicht mit Garantie alle theoretisch denkbaren, künftigen Konflikte. Dazu ist das Thema zu komplex. Aber das Risiko einer gegen den Willen des einzelnen gerichteten Fremdbestimmung lässt sich sicher minimieren!

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